Es gibt kaum einen zeitgenössischen Regisseur, der nicht in der einen oder anderen Form von der beeindruckenden Ästhetik beeinflusst ist, die der Hongkonger Autorenfilmer Wong Kar-wai und sein Stammkameramann Christopher Doyle in den Neunzigerjahren kreierten. Einen großen Durchbruch feierte Kar-wai mit seinem dritten Film „Chungking Express“ (1994) sowie dessen düsterem Gegenstück „Fallen Angels“ (1995), die, der auf Improvisationen beruhenden Arbeitsweise des Regisseurs entsprechend, beide ohne Drehbuch entstanden waren. Mit dem meisterlichen „In The Mood For Love“ (2000) perfektonierte Wong Kar-wai schließlich seinen von erzählerischen Auslassungen und Experimenten geprägten Stil und legte ein elegisches Liebesdrama vor, das von der internationalen Presse gefeiert wurde.
Die Anfänge als Autorenfilmer
Wong Kar-wai wurde am 17. Juli 1958 in Shanghai geboren. Als er fünf Jahre alt war, zog seine Familie von Shanghai nach Hongkong, wo der künftige Filmemacher zunächst Grafikdesign studierte, bevor er zwei Jahre als Produktionsassistent beim Fernsehen arbeitete. Zwischen 1982 und 1987 verfasste Wong Kar-wai zehn Drehbücher für Filme unterschiedlicher Genres, bis er 1988 mit „As Tears Go By“ sein Debüt als Kinoregisseur gab. Das mit Andy Lau, Maggie Cheung und Jacky Cheung prominent besetzte Gangsterdrama lässt die spätere Handschrift des Regisseurs – etwa die hoch stilisierten Bilder oder den pointierten Einsatz von Musik – bereits erkennen, auch wenn sich Kar-wai zu dieser Zeit noch stark von den populären Gangsterfilmen eines Ringo Lam oder John Woo leiten ließ. Mit dem episodisch strukturierten „Days Of Being Wild“ (1991) legte Kar-wai ein vom klassischen Regelwerk des Kinos weit entferntes Drama vor, das an die Werke von Jean-Luc Godard erinnert. Der Film markiert Wong Kar-wais erste Zusammenarbeit mit dem australischen Kameramann Christopher Doyle, die mehr als zehn Jahre währen und das Werk des Hongkong-Chinesen maßgeblich prägen sollte; außerdem traten viele prominente Schauspieler des Hongkong-Kinos auf, die in den weiteren Filmen Kar-wais immer wieder Rollen übernehmen würden: Leslie Cheung, Maggie Cheung, Carina Lau, Rebecca Pan, Andy Lau und – in einer kleinen Gastrolle – Tony Leung Chiu Wai.
Die wilden 90er-Jahre
Seinen bereits in den ersten beiden Kinofilmen angedachten Stil führte Wong Kar-wai mit „Chungking Express“ (1994) zu einem ersten Höhepunkt. Der mit Brigitte Lin, Takeshi Kaneshiro, Tony Leung Chiu-wai und Faye Wong besetzte Episodenfilm zählt heute zu einem der einflussreichsten Filme der 90er-Jahre: Kaum ein Filmemacher kam an der ungewohnten Erzähl- und Inszenierungsweise des Meisterwerks vorbei, für das Quentin Tarantino mit „Miramax“ einen amerikanischen Verleih ausfindig machte und Wong Kar-wai damit erste Aufmerksamkeit außerhalb Asiens verschaffte. Auf den farbenprächtigen „Ashes Of Time“ (1994), eine Variation verschiedener Klischees des Schwertkampf- und Kung-Fu-Genres, ließ Wong Kar-wai mit „Fallen Angels“ (1995) eine düstere Fortsetzung zu „Chungking Express“ folgen: Erneut tauchte der Autorenfilmer mit seinem Stammkameramann Christopher Doyle in die Hongkonger neonfarbenen Nächte ein und erzählte von der Einsamkeit und Isolation seiner Protagonisten. Mit Leslie Cheung und Tony Leung Chiu-wai in den Hauptrollen folgte 1997 das Liebesdrama „Happy Together“, vor allem von der von Wong Kar-wai und Christopher Doyle perfektionierten Clip-Ästhetik lebt - wie andere Filme des Regisseurs aus den Neunzigern wurde der Film von vielen Filmkritikern vor diesem Hintergrund auch als substanzloses MTV-Erlebnis kritisiert.
„In The Mood For Love“
Mit seinem Liebesdrama „In The Mood For Love“ (2000), das bei den Filmfestspielen in Cannes Premiere feierte und dort mit den Preisen für den besten Hauptdarsteller und die beste Kamera ausgezeichnet wurde, konnte Wong Kar-wai dann auch konservative Kritiker erstmals von seinem Talent überzeugen. Im Gegensatz zu seinen verspielten Filmen aus den 90ern wandte sich der Regisseur darin einer eher klassischen Erzählstruktur zu: Im Hongkong der Sechzigerjahre verlieben sich die von Tony Leung Chiu-wai und Maggie Cheung gespielten Protagonisten ineinander, obwohl sie beide bereits liiert sind. Diesen tragischen Konflikt seiner Figuren inszenierte Wong Kar-wai in elegischen Bildern. Mit dem Science-Fiction-Drama „2046“, das im Jahr 2004 Weltpremiere in Cannes feierte, lieferte der Autorenfilmer dann eine erzählerische Ergänzung zu „In The Mood For Love“, indem er dessen tragische Liebesgeschichte aus assoziativ weiterspinnt. Die männliche Hauptrolle übernahm erneut Tony Leung Chiu-wai, während Zhang Ziyi, Gong Li, Faye Wong, Carina Lau und – in einer kleinen Rolle – Maggie Cheung den prominenten Cast vervollständigten. Erwähnenswert ist auch die Musik von Peer Raben, die hervorragend mit den Bildern von Christopher Doyle harmoniert.
US-Debüt & Rückkehr nach Hongkong
Für Wong Kar-wai, der 2006 in Cannes als Jurypräsident reüssierte, folgte 2007 das US-Debüt „My Blueberry Nights“ mit Norah Jones, Jude Law, Natalie Portman und Rachel Weisz. Kar-wais Kameramann Christopher Doyle war allerdings zu diesem Zeitpunkt zunehmend dem Alkohol verfallen und deshalb beim US-Debüt des Regisseurs nicht von der Partie, was sicherlich mit dazu beitrug, dass das Drama auf visueller Ebene wie ein Selbstplagiat erscheint – von der Presse wurde „My Blueberry Nights“ dementsprechend ambivalent aufgenommen. Im Jahr 2008 veröffentlichte Wong Kar-wai eine neu geschnittene und mit einer neuen Farbgebung versehene Redux-Version seines Schwertkampffilms „Ashes Of Time“, bevor er mit der Produktion des biografischen Action-Dramas „The Grandmasters“ (erneut mit Tony Leung Chiu-wai) begann, das die Rückkehr des Regisseurs zum Hongkong-Kino markiert und das 2012 in den Kinos anlaufen soll.