Die handzahme US-Version eines biestigen deutschen Indie-Hits
Von Lutz GranertDas Boxerdrama „Leberhaken“ ist ein kleines Meisterstück in filmischem Minimalismus. Ursprünglich als Showreel-Szene für Hardy Krüger Jr. und Luise Großmann konzipiert, arbeitete der Filmemacher Torsten Rüther das Skript innerhalb von nur vier Tagen zu einem kompletten Drehbuch für ein abendfüllendes Zwei-Personen-Stück aus, das nur aus einer einzigen (sehr langen) Szene besteht. Nach ausführlichen Proben fanden im von der Corona-Pandemie geprägten Sommer 2020 die Dreharbeiten in einem echten Boxerkeller im Berliner Stadtteil Wedding statt – und nach gerade einmal drei Nächten war das mit kleinstmöglicher Kamera- und Ton-Crew gedrehte, mit seinen authentischen Charakteren naturalistisch anmutende Low-Budget-Kammerspiel vollständig im Kasten. Kein Wunder, dass „Leberhaken“ bei seiner Uraufführung auf dem Filmfestival Oldenburg 2021 und danach auch international für Aufsehen sorgte.
Mit seinem „Million Dollar Baby“-Vibe und vielen unverhohlenen Filmreferenzen schaffte nicht nur der Film den Sprung über den Atlantik und ins US-Programm von Paramount+, sondern auch Torsten Rüthers Produktionsfirma Hello Moment Productions, die zusammen mit Hauptdarstellerin Luise Großmann (Künstlername inzwischen: Luiii) auch das US-Remake selbst realisierte. Mit dem aus „Pulp Fiction“ und der „Mission: Impossible“-Reihe bekannten Ving Rhames konnte Rüther einen echten Hollywood-Star gewinnen und auch erzählerisch geht „Uppercut“ durch die Öffnung der hermetisch abgeschlossenen Boxkeller-Szenerie neue Wege. Allerdings geschieht die Abkehr vom Minimalismus der Vorlage auf Kosten von Intensität, Authentizität und erzählerischem Fokus.
Eines Abends im Jahr 2014 taucht Toni (Luiii) unangekündigt im längst geschlossenen Gym des gesundheitlich angeschlagenen Elliott (Ving Rhames) im New Yorker Stadtteil Bushwick auf. Die vom Boxsport gleichermaßen frustrierte wie faszinierte Deutsche will unbedingt von dem ehemaligen Champion trainiert werden. Nach anfänglicher Ablehnung lässt sich der neugierige Elliott doch noch darauf ein und vermittelt der jungen Frau zahlreiche Lektionen nicht nur übers Boxen und den Wettkampf, sondern auch fürs Leben. Diese kann sie acht Jahre später gut gebrauchen, als sie sich selbst zu einer erfolgreichen Box-Promoterin hochgearbeitet hat. Beim Titelkampf des großmäuligen Payne Harris (Jordan E. Cooper) muss sie sich zwischen ihrem Box-Schützling und ihrer Rolle als sorgende Mutter entscheiden...
Während die zuweilen etwas zähen Dialoge in „Leberhaken“ noch voller altkluger Gleichnisse, Sprachbildern und Redundanzen steckten, hat Torsten Rüther sie für „Uppercut“ wesentlich entschlackt. Ein großmäuliges Muhammad-Ali-Zitat oder Weisheiten zu Boxhandschuhen sind zwar immer noch im Skript zu finden, werden aber nicht mehr enervierend perpetuiert. Die Plot-Stationen bleiben hingegen weitestgehend gleich – und werden recht überraschungsarm abgehakt: Putzen, durch Sandsäcke tänzeln, Aufstehen-Sitzen-Übung, Tennisbällen ausweichen – und zum Schluss geht’s in den Ring. Dass dabei auch einige „Amerikanisierungen“ des Milieus vorgenommen und etwa die Songs der Country-Band „The Chicks“ gegen Blues von Buddy Guy ausgetauscht (und der Boxkeller mit entsprechenden Postern von Blues-Größen versehen) wurden, ist nur logisch.
Was dem sichtlich höher budgetierten Remake jedoch gegenüber dem wesentlich raueren Original spürbar fehlt, ist die im doppelten Sinne aufgeheizte Atmosphäre. Im stickigen Weddinger Boxkeller herrschte zwischen der trotzigen Schülerin und dem trotz Handicap virilen Trainer, der ihr beim Gang in die Dusche manchmal einen Tick zu lange hinterherschaute, schnell eine unterschwellige erotische Spannung, die in einem unbedachten Vorstoß von Steph verbalisiert wurde. Diese Zwischentöne fehlen in „Uppercut“ komplett – der Film wurde sichtlich auf ein (vermeintlich) prüderes US-Publikum ausgerichtet. Und so legt Ving Rhames seinen Trainer fernab jeglicher Hemdsärmeligkeit arg hüftsteif und im Hoodie mit Kapuze ungleich distanzierter an, gänzlich asexuelle väterliche Aura inklusive.
Auch wenn sich Luiii und Rhames spürbar bemühen: Die Dynamik zwischen ihren Charakteren kommt nicht so recht in Gang. Das ist auch einer Nebenhandlung geschuldet: Tonis künftige Karriere als Box-Promoterin mit reichlich trivialen Konflikten und albernen Episoden (lautes Gähnen bei einem gediegenen Empfang mit Cello-Performance) rückt mit zunehmender Laufzeit immer mehr in den Fokus.
Diese Zwischenspiele, in denen sich die Kostümabteilung für Luiiis flippiges Erscheinungsbild zudem einige Fehltritte leistet (besonders hässlich: ein mit blinkenden Broschen besetzter hellbrauner Hosenanzug), stören die Intimität im Boxkeller ganz erheblich. Erschwerend kommt hinzu, dass der Titel-Boxkampf im Nebenplot auffällig preisgünstig wirkt: Nur der Ring selbst ist hell erleuchtet, während der Zuschauerraum vom Dunkel verschluckt wird. Hier will Torsten Rüther zu viel und scheitert an den eigenen Ambitionen – denn im Kern bleibt auch „Uppercut“ trotz Hollywood-Attitüde ein kleines Kammerspiel.
Fazit: Die Dialoge von „Uppercut“ weisen gegenüber dem Original spürbar mehr Feinheiten auf. Dafür fehlen dem glatten US-Remake die subtilen erotischen Schwingungen – und die hinzugekommenen Szenen außerhalb des Boxkellers wirken oft auffallend billig.