Wider die Normativität
Von Patrick Fey„Wie man normal ist und die Merkwürdigkeiten der anderen Welt“ ist einer dieser Filme, die man unbedingt mögen will, weil da einfach so viele Ideen und Ambitionen drinstecken. Man möchte den Wagemut des Projekts loben, zumal Florian Pochlatko hier sein Regiedebüt abliefert. Aber die schon im ironischen Titel angekündigte Auseinandersetzung mit der schier übermächtigen Normativität ist ein Versprechen, das uneingelöst bleibt. Gewissermaßen lässt sich das Problem bereits am vorangestellten Zitat des marxistischen Denkers Antonio Gramsci festmachen. Dort heißt es, wohl für den folgenden Film maßgebend: „Die alte Welt liegt im Sterben; die neue Welt müht sich damit ab, geboren zu werden. Nun ist die Zeit der Monster.“ Wohl niemand, der diese Zeilen liest, würde diesen Worten ihre Griffigkeit abstreiten wollen.
Sie klingen nicht einfach bloß cool, man ist aufgrund der bildhaften Formulierung auch schnell dabei, dem Urheber eine sezierend-scharfsinnige Gegenwartsanalyse zuzuschreiben. Und damit wohl auch demjenigen, der sie zitiert. Die Sache hat jedoch einen Haken, und man mag es nach dieser verdächtigen Einleitung bereits ahnen: Das Zitat ist verfälscht, so nie von Gramsci geschrieben worden. Im Grunde geht es wohl auf den Philosophen Slavoj Žižek zurück, der es in einem Artikel einst frei übersetzte. Ja nun, so könnte man einwenden, ist das falsche Zitat denn nun wirklich so ein großes Problem, und wenn ja, nicht besser im Uni-Seminar als in der Filmkritik aufgehoben? Vielleicht. Aber die ganze Sache illustriert eben doch recht anschaulich, woran es in Pochlatkos wild-verworrenem Debütfilm hapert. Denn wie dem angeblichen Gramsci-Zitat fehlt auch Pochlatkos filmischer Dystopie besonders eines: ein Fundament.
Dieses Fundament — das, was Pochlatkos Film am Laufen hält — ist ein Mysterium. Für eine ganze Weile war die Protagonistin Pia (Luisa-Céline Gaffron) offenbar in einer Psychiatrie. Was genau vorgefallen ist, scheint unklar. Im persönlichen Umfeld der Mitzwanzigerin wagt sich zumindest niemand, die Umstände ihres Fernbleibens direkt anzusprechen, ganz so, als läge ein Fluch darauf. Und doch herrscht eine gewisse Vorstadt-Mentalität in dieser Heimat, inklusive die Furcht vor dem lückenhaften Lebenslauf. Was ihren Vater Klaus (Cornelius Obonya) dazu veranlasst, Pias Abwesenheit durch ein Auslandssemester in Essex zu erklären und sie als Büro-Assistentin in sein Medienunternehmen zu integrieren.
Die thematische Prämisse eröffnet sich dem Publikum in der Folge denkbar geradlinig, wenngleich etwas verdeckt durch die zahllosen formalen Spielereien, mit denen Pochlatko aufwartet. Unter Michael Haneke in Wien ausgebildet, ähnelt der gebürtige Grazer dabei noch am meisten der Filmemacherin Jessica Hausner („Club Zero“) und versucht sich, wie man es auch im Werk der Österreicherin sehen kann, an der Zustandsbeschreibung einer Welt, die gleichermaßen von ökologischen wie ökonomischen Krisen geplagt wird. Im Radio und Fernsehen ist von anhaltendem Hochwasser in Österreich, Deutschland und Slowenien sowie von Wildbränden auf Kreta zu hören, während Pias Vater sich hoffnungslos dagegen wehrt, dass sein Unternehmen vom Medienkonglomerat „Friendly“ (eine Amazon-Parodie) geschluckt wird.
Dies ist die Welt, in die Pia zurückkehrt, eine Welt, in der nun jede Person in ihrem Umfeld andere Ansprüche an sie anlegt: Ihr Vater, der sie so zeitig wie eben möglich der Arbeitswelt zu überantworten versucht, ihre Mutter (Elke Winkens), der sie noch zu beweisen hat, dass die Entlassung aus der Klinik nicht verfrüht war. Vielleicht am schwerwiegendsten wiegt jedoch die Sache mit Joni (Felix Pöchhacker), ihrem Freund, der sich die Pia zurückwünscht, die er vor dem Klinikaufenthalt gekannt hat. Einst hatte ihr dieser auf eine Postkarte geschrieben, dass er immer an sie denken werde. Nun findet sie sich in ihrem WhatsApp-Verlauf von ihm geghostet.
Auf diese Weise verketten sich in Pochlatkos Vorstadt-Dystopie so allerhand Ideen aneinander, die sich jedoch mit zunehmender Laufzeit als trivial herausstellen und sich darüber hinaus auch formal uninspiriert anlassen. So wird etwa wiederholt das Bildformat variiert, bisweilen gesellen sich dann auch Film-im-Film-Momente dazu, die auf all die Aspekte von Konstruiertheit hinweisen, denen sich Pia gegenübersieht — mitunter gar die Geschichte selbst, in der sie sich befindet.
Motivisch zieht sich zudem das Clown-Gesicht durch den Film, das sich Pia wieder und wieder aufschminkt, womit Pochlatko eine lose und seltsam anmutende Verbindung zu Todd Phillips' „Joker“ herstellt. Statt der Radikalisierung, die in „Joker“ in simplifizierter Form dem Herausfallen aus dem sozialen Netz folgt, verbleibt Pochlatkos Debütfilm allerdings im Stadium einer undurchdringlichen Undurchsichtigkeit dieser Welt(en) und der Figuren, die sie bevölkern. „Der Film deines Lebens“, wird der Musiker Daniel Johnston zitiert, „in ihm finden sich alle anderen Hauptrollen und auch du.“
Doch ganz so, wie es die wiederholt auftretende Referenz zu Johnston anklingen lassen, verhält es sich mit Pia nicht. Denn wo die Musik Johnstons sich durch radikale Aufrichtigkeit auszeichnete, die sogar so weit geht, dass es richtig wehtut, ist „Wie man normal ist und die Merkwürdigkeiten der anderen Welt“ vor allem von eklektischer Beliebigkeit, greift hier ein Stichwort und dort ein Pastiche auf. Eigenständigkeit will sich auf diese Weise nicht einstellen, weder auf der Figuren- noch auf der Regie-Ebene. Pochlatko schwebt über den Dingen und zeigt sich zu selten bereit, sich auf das eigens kreierte Szenario einzulassen oder sich in seine Charaktere einzufühlen.
Wenn sich Pia am Ende des Filmes wie in der ersten Szene wieder neben ihrem Mitpatienten auf der Terrasse wiederfindet, scheint sich, trotz all des Chaos, in das sich die Handlung bis dahin manövriert hat, nichts verändert zu haben. Der Kreis scheint geschlossen. Und doch kündigt sich in der letzten Einstellung ein Ausbruch aus diesem an. In die dunkle Nacht jenseits der Kamera blickend, meint Pias Mitpatient die Zukunft auszumachen. „And she is bright“, fügt er angesichts der fragend dreinblickenden Pia hinzu. Sonnenbrille tragend versuchen sie die Umrisse dieser Zukunft auszumachen, eine Aussicht, die uns Zuschauer*innen unzugänglich bleibt. Und auch wenn Pochlatko uns zu diesem Zeitpunkt längst verloren hat, ist da schließlich doch etwas Versöhnliches in dieser letzten Szene – wenn auch nur für einen Moment.
Fazit: Mit seinem Debütfilm „Wie man normal ist und die Merkwürdigkeiten der anderen Welt“ stellt der Österreicher Florian Pochlatko vor allem eines unter Beweis: Wie schwierig es ist, eine inszenatorische Handschrift zu entwickeln. Inmitten eines Wirrwarrs stilistischer Beliebigkeit und fader Gesellschaftsanalyse muss leider konstatiert werden, dass er sich derzeit noch auf der Suche befindet.
Wir haben „Wie man normal ist und die Merkwürdigkeiten der anderen Welt“ im Rahmen der Berlinale 2025 gesehen, wo er in der Sektion Perspectives gezeigt wurde.