Wie zum Teufel soll man dieses Spiel verfilmen?
Von Christoph PetersenDas Konzept des 2023 zunächst für den PC, später aber auch für PlayStation und Xbox veröffentlichten Videospiels ist so simpel wie genial: In einer Mischung aus Horror, Rätsel und Walking Simulator schreitet man immer und immer wieder denselben kurzen U-Bahn-Tunnel entlang. Auf der linken Seite eine Handvoll Poster, auf der rechten zwei Türen und Lüftungsschäfte. Außerdem kommt einem jedes Mal ein Mann mit weitem Hemd und schwarzer Aktentasche entgegen. Die Aufgabe des Spielenden besteht nun darin, zu erkennen, ob alles normal ist – dann geht man einfach geradeheraus weiter. Oder ob es eine sogenannte Anomalie gibt (was alles sein kann, was von der Norm abweicht) – und dann dreht man wieder um. Entscheidet man richtig, kommt man dem titelgebenden Ausgang 8 einen Schritt näher. Entscheidet man nur ein einziges Mal falsch, muss man wieder von vorne beginnen.
„Exit 8“ ist bereits jetzt ein Indie-Kultklassiker – und hat sich zudem auch noch richtig gut verkauft. Deshalb war es eigentlich auch keine große Überraschung, als eine Verfilmung des Spiels angekündigt wurde. Wobei, eigentlich doch: Denn natürlich fragt man sich da sofort, wie zum Teufel man dieses Szenario ohne klar definierte Handlung oder Figuren in Spielfilmlänge verfilmen soll. Schließlich gibt es zwar verschiedene Deutungsansätze, wie man das Gameplay interpretieren könnte – von einer Repräsentation der Vorhölle bis hin zur metaphorischen Darstellung einer Zwangsstörung. Aber mehr eben auch nicht. Der bislang vor allem als Produzent von Anime-Superhits wie „Your Name.“ oder „Weathering With You“ bekannte Regisseur und Co-Autor Genki Kawamura begegnet diesem Problem, indem er einen lynchesken Plot hinzuerfindet. Dieser geht zwar an einigen Stellen tatsächlich zu Herzen, erfindet das Rad aber auch nicht neu.
Ein junger Mann (Kazunari Ninomiya) ist gerade mit der U-Bahn auf dem Weg zu einem Aushilfsjob. Nachdem er sich einfach nicht dazu überwinden konnte, einzugreifen, als eine junge Mutter mit einem kreischenden Baby von einem keifenden Geschäftsmann zusammengeschrien wurde, bekommt er einen Anruf. Seine Freundin ist schwanger im Krankenhaus und steht vor der Entscheidung, ob sie das Kind behalten soll oder nicht. Der Mann hat unterdessen Sorge, dass er wohl eher kein guter Vater wäre – auch weil er gerade wie alle anderen einfach feige weggeschaut hat.
Aber bevor er sich weitere Gedanken machen kann, steckt er plötzlich in einem surrealistischen Kreislauf wie in einem der Paradoxie-Gemälde von M. C. Escher fest: Immer wieder durchschreitet er denselben Tunnel, in dem ihm immer wieder derselbe Walking Man (Yamato Kôchi) entgegenkommt. Es scheint keinen Ausweg zu geben, bis er an der Wand eine Tafel mit Regeln entdeckt, die auf die vermeintlich simple Anweisung hinauslaufen: Wenn du eine Anomalie findest, kehre sofort um. Wenn du keine Anomalie findest, gehe nicht zurück…
Fans des Spiels werden sich in dem Tunnel sofort wie zu Hause fühlen. Genki Kawamura hatte sicherlich nicht das größte Budget zur Verfügung, aber den weißgekachelten Gang hat er trotzdem so exakt wie nur möglich nachbauen lassen. Wer schon Stunden über Stunden in der Pixelversion verbracht hat, der wird auch hier sofort seinen geübten Blick schweifen lassen, um die Anomalien ausfindig zu machen. Einige davon stammen direkt aus der Vorlage, einige besondere Fan-Favoriten fehlen aber. Es bliebe also durchaus noch einiger Stoff für eine potenzielle Fortsetzung – selbst wenn es da mit einer Story drumherum möglicherweise noch schwieriger werden könnte. Fast noch spannender ist das alles aber für jene im Publikum, die das Spiel noch nicht selbst gezockt und sich auch noch kein Let's Play dazu auf YouTube reingezogen haben. Denn dann muss man sich erst einmal gemeinsam mit dem Protagonisten erschließen, was zum Teufel hier eigentlich los ist – und welche Arten von Anomalien es alles gibt.
Zunächst nimmt „Exit 8“ noch die Egoperspektive des Mannes ein – und zwar nicht nur visuell, sondern auch auditiv: Wir sehen nicht nur aus seinen Augen, wir hören auch mit seinen Ohren, was vor allem immer dann zu spannenden Effekten führt, wenn er seine geräuschunterdrückenden AirPods ins Ohr steckt oder wieder herausnimmt. Sobald der Film aber im ikonischen U-Bahn-Tunnel angekommen ist, wird der subjektive Ansatz aufgegeben. So gibt es zwar immer wieder schöne Suspense-Spielereien, wenn Kawamura mit Unschärfen oder Hinterköpfen verhindert, dass wir sehen können, ob auf dem Plakat im nächsten Gang eine höhere Nummer oder eine Null steht – denn erst das sagt uns sicher, ob sich der Mann (und vielleicht ja auch man selbst) im Tunnel zuvor richtig entschieden hat oder nicht. Ansonsten ist die Inszenierung allerdings recht konventionell, was vor allem bei den – ohnehin recht spärlich gesäten – Horroreinschüben schade ist. Gerade die Jump Scares hätten ruhig noch mehr Punch vertragen können.
Im Gegensatz zum Spiel, wo man selbst keinen klar ausdefinierten Charakter verkörpert und mit Ausnahme des Walking Man auch sonst niemandem weiter begegnet, tauchen in der Verfilmung noch einige weitere Figuren auf – und manchmal folgt der Film sogar diesen anstelle des hauptsächlichen Protagonisten. Das ist angesichts des reduzierten, kühl-sterilen Gameplays der Vorlage in seiner Aussage von Verantwortung und Vaterschaft sogar überraschend herzlich an einigen Stellen. Aber es kratzt dann eben doch nur an der Oberfläche und ist offensichtlich in erster Linie Mittel zum Zweck, weil es ansonsten wohl kaum für mehr als einen Kurzfilm gereicht hätte.
Fazit: Fans des Kult-Spiels werden schon vor Begeisterung jauchzen, wenn sie sehen, wie exakt der U-Bahn-Tunnel für den Film nachgebaut wurde. Die hinzugedachte Lynch-light-Story um die Ängste eines werdenden Vaters reicht hingegen nur gerade eben so, um „Exit 8“ mit einiger Mühe auf Spielfilmlänge zu strecken.
Wir haben „Exit 8“ beim Cannes Filmfestival 2025 gesehen, wo er als Mitternachtsscreening seine Weltpremiere gefeiert hat.