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    Madeinusa
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Madeinusa
    Von Andreas R. Becker

    Madeinusa (Magaly Solier) ist ein 14 Jahre altes India-Mädchen, das in einem abgelegenen Dorf in den Anden in Peru lebt, zusammen mit ihrer Schwester und ihrem Vater. Eines Tages strandet ein Fremder auf dem Weg nach Lima in Manayaycuna, was auf Quechua soviel bedeutet wie „eingeschlossenes Dorf“. Madeinusa ist fasziniert und sieht in ihm die Fahrkarte in eine bessere Welt. Doch die Ankunft Salvadors (Carlos Juan De La Torre) zur „Tiempo Santo“, der heiligen Zeit, droht die befremdliche Ruhe und Stabilität im Ort empfindlich zu stören.

    Mit der leisen Fabel „Madeinusa“ bringt die 1976 geborene Peruanerin Claudia Llosa ihr erstes Werk als Regisseurin auf die Leinwand, in dem auch alle Darsteller debütieren. Die Ähnlichkeit des Namens der Hauptfigur mit dem Label „Made in USA“ ist dabei weder Scherz noch Zufall, sondern ein tatsächlicher Hinweis auf seinen Ursprung und ein Beleg für die merkwürdigen Auswüchse von Kolonialherrschaft und Globalisierung [1]. Auch die katholische Religion wurde von den Spaniern nach Lateinamerika exportiert und hat sich mit der heimischen Religion und ihren Bräuchen zu einer befremdlichen Mischung vermengt, die den Hintergrund für Llosas Erstlingswerk bildet. Einmal im Jahr wird zum Zeitpunkt Jesu Kreuzigung die „Tiempo Santo“, die heilige Zeit, ausgesprochen: Gott ist für drei Tage tot und seine Abwesenheit öffnet allen Sünden, die nun ungestraft bleiben, Tür und Tor. Ein an Karneval erinnerndes, ausgelassenes Fest durchzieht Tag und Nacht die Stadt und bringt nicht nur Heiterkeit und Alkohol-, sondern auch Inzuchtexzesse und die Entjungferung von jungen Mädchen durch ihre Väter mit sich. Auch Madeinusas Vater Cayo (Juan Ubaldo Huamán), der auch Bürgermeister und Strippenzieher des Dorfes ist, will sich dieses Recht nicht nehmen lassen und wird dabei von seiner Schwester stillschweigend unterstützt. Doch Salvador kommt ihm zuvor: Madeinusa nutzt die Tiempo Santo auf ihre Weise und wirft sich dem fremden Großstädter rau an den Hals. Sie hofft, mit ihm während der sündenfreien Zeit die Flucht nach Lima zu ergreifen, um dort ihre Mutter wieder treffen zu können. Nicht nur Bildsymbolik und Grundstimmung des Films lassen jedoch Zweifel am Gelingen ihres Ausbruchs aus dem Patriarchat aufkommen. Auch ihre ältere Schwester Chale (Yiliana Chong) beneidet Madeinusa um ihre Schönheit und die zweifelhafte Vor-Liebe des Vaters. Zusätzlich zu letzterem macht sie ihr das Leben mit Schere und Schikane zur Hölle.

    „Madeinusa“ ist ein mit Liebe zum Detail ausgestatteter und fotografierter Film über das Leben in den Anden. Zwar wurden die Bräuche von der Regisseurin, die auch das Drehbuch schrieb und mitproduzierte, erfunden und inszeniert, dennoch hinterlassen sie einen authentischen Eindruck. Dies führt jedoch scheinbar gerade zu einem Kritikpunkt des Films: Auch, wenn man ihn als Fiktion zu begreifen weiß, hinterlassen die Taten seiner Figuren eine emotionale Abscheu, die vielleicht gerade bei den wenig beleckten europäischen Zuschauern zu Stereotypen bezüglich indianischer Dörfer führen könnte. Diese Befürchtung lässt sich zumindest den Kommentaren einiger peruanischer Zuschauer entnehmen, die außerdem in der Darstellung der Dorfbewohner die visuelle Bestätigung von rassistischen Vorurteilen der weißen peruanischen Bevölkerung sehen („I don’t know if Claudia Llosa meant to portrait them as barbarians, but she shows the most frequent racist prejudices prevalent among white Peruvians about their Indians compatriots“, Kommentar auf www.imdb.com). Inwieweit diese Befürchtung dadurch zu entkräften ist, dass die Dorfbewohner zu Teilen sich selbst gespielt haben und insofern zumindest authentisch gecastet sind, sei dahingestellt.

    Im Film leben sie mit fiktiven Regeln, die als akzeptiert und nicht als moralisch verwerflich angesehen wirken. Sie sind weder im klassischen böse, noch völlig unschuldig. Vielmehr erscheinen ihre Regeln als Normalität, als streng begrenzte Möglichkeit der Triebauslebung. Gerade das lässt die Geschehnisse für einen westlichen Betrachter als krankhaft, als Kulturschock erscheinen. Die eigenen Wertmaßstäbe lassen sich nicht einfach abschalten und werfen so wieder einmal die alte Frage nach allgemeingültigen Wert- und Moralvorstellungen und ihren Richtern auf.

    Davon abgesehen ist „Madeinusa“ jedoch in erster Linie eine düstere Fabel, eine Reise in eine fremde, hermetisch abgeriegelte Welt, in der der Zuschauer selbst zum Voyeur wird. Diese Welt zeigt auch den Widerspruch, der aus der Vermengung von Kulturen entsprungen ist und die emotionale Verwirrung der Betroffenen. Mit Geduld gefilmt, fordert er auch Geduld vom Zuschauer, die manchmal leider auch schlicht in Langeweile umschlagen kann.

    [1] In einigen lateinamerikanischen Ländern tauchen dieser und ähnlich absurde Namen häufiger auf. Da in der Karibik Eltern ihren Kindern teilweise die Namen von vorbeifahrenden Schiffen geben, kann der Nachwuchs dort z.B. auch schon mal „Usnavy“ gerufen werden (siehe Spiegel Online Artikel vom 20.12.2005: http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,390888,00.html)

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