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    Knallhart
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Knallhart
    Von Martin Thoma

    Detlev Buck ist wieder da. 1992 war sein Film „Wir können auch anders“ Kult. 1995 gelang ihm mit „Männerpension“ ein Riesenerfolg an den deutschen Kinokassen. Was danach kam, floppte mehr oder weniger. Seine letzte Regiearbeit „Liebesluder“, die gar nicht so schlecht wie von den meisten Kritikern geschrieben ist, liegt nun schon sechs Jahre zurück. Als Schauspieler war Detlev Buck zwar noch präsent in der deutschen Kinolandschaft, wurde sogar für die Rolle des Karl in Leander Haußmanns bestem Film Herr Lehmann – völlig zurecht – mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet, aber mit ihm als Regisseur hätte man schon fast nicht mehr gerechnet. Das Großstadt-Drama „Knallhart“ ist ganz offensichtlich ein Film, mit dem er sich und der Welt nun beweisen will, dass er aber so was von im neuen Jahrtausend angekommen ist und so durchaus auch die brennendsten gesellschaftlichen Themen anzufassen vermag.

    Die Geschichte könnte plakativer und geradliniger gar nicht sein: Der fünfzehnjährige Michael Polischka (David Kross) muss mit seiner Mutter Miriam (Jenny Elvers-Elbertzhagen) vom reichen Berliner Stadtteil Zehlendorf in den armen Bezirk Neukölln ziehen, weil der Liebhaber seiner Mutter sie sexuell nicht mehr attraktiv genug findet und deshalb kurzerhand rausschmeißt. Neukölln ist da, wo Berlin am meisten Street Credibility zu bieten hat: sozialer Brennpunkt, hoher Anteil von Migranten aus verschiedensten Kulturkreisen, viel Kriminalität usw., knallhart eben. Der neue Mitschüler aus Zehlendorf sieht in den Augen des gefürchteten Erol (Oktay Özdemir) und seiner Gang wie ein ideales Opfer aus. Gleich am ersten Schultag wird Michael von ihnen verprügelt, abgezogen und muss ihnen von nun an regelmäßig Schutzgeld zahlen. Seine neuen Freunde Crille (Arnel Taci) und Matze (Kai Michael Müller), mit denen zusammen er gleich mal die Villa von Mamas bösem Ex-Freund ausraubt, können gegen Erol und seine Gang auch nichts ausrichten. Und Kommissar Gerber (Hans Löw), der eigentlich wegen dieses Einbruchs ermitteln sollte, aber bald viel stärker an Michaels Mutter interessiert ist, erscheint ihm ebenso wenig als ein geeigneter Ansprechpartner. Doch dank seiner kleinkriminellen Freunde begegnet Michael dem Drogendealer Hamal (Erhan Emre). Hamal erkennt in dem mutigen und verzweifelten 15-Jährigen mit dem unschuldigen Gesicht einen perfekten Drogenkurier. Er bietet Michael seinen Schutz an, wenn der für ihn arbeitet. Michael sagt danke. „Danke ja oder danke nein?“ „Danke ja.“ das geht erst einmal gut und dann katastrophal daneben, bis zum knallharten Ende.

    Detlev Buck hat erstmals ein fremdes Drehbuch verfilmt. Es basiert auf einem Jugendbuch von Gregor Tessnow, das dieser selbst zusammen mit seinem Freund und wesentlich bekannteren Schriftstellerkollegen Zoran Drvenkar für den Film adaptiert hat. Drvenkar ist besonders für seine Kinder- und Jugendbücher hoch angesehen. Er schreibt schnörkellos, glaubwürdig, psychologisch genau und äußerst spannend. Über den Film „Knallhart“ sagt er: „Wir waren erst mal froh, dass sie’s machen. Als Drehbuchautor glaubt man ja am Anfang ernsthaft, dass sie das drehen, was man sich vorgestellt hat.“ Lässt sich da gleichsam zwischen den Zeilen versteckt, so ein ganz bisschen der Anflug einer gewissen, nun ja, Distanz zum fertigen Film heraushören? Sie wäre durchaus angebracht.

    So wie es letztlich umgesetzt wurde, knirscht es ein paar Mal zu oft im Drehbuch. Wie kommt es, dass ein Mädchen aus Michaels Klasse erst grandios eingeführt, interessant gemacht und dann vom Film vergessen wird? Als bewussten Gegensatz zu einer zu hollywoodähnlichen Liebesgeschichte, also als besonders realistische Darstellungsweise kann man das nicht durchgehen lassen, denn das widerspräche der ganzen Machart des Films. Es ist einfach eine Szene, die in der Luft hängt, und leider nicht die einzige. Wofür braucht man zum Beispiel ein Zickenduell zwischen Miriam und der neuen Blondine ihres Ex-Liebhabers, das über keine der Figuren etwas Neues aussagt und nur einen völlig verkehrten Tonfall in die Geschichte bringt? Der Gag, dass der Laden, vor dem die beiden ineinander rasseln, „Botox to go“ anbietet (Haha), rechtfertigt den Aufwand nun wirklich nicht. Überhaupt hat Miriam einige Szenen zu viel. Nicht etwa, weil Jenny Elvers-Elbertzhagen als Schauspielerin so nerven würde, wie sie es als Boulevardmedienluder getan hat - im Gegenteil, ihre Darstellung einer überforderten arbeitslosen Mutter ist nuanciert und glaubwürdig -, sondern einfach, weil es Michaels Geschichte ist. Buck nutzt viele der Miriam-Szenen ohnehin nur dafür, lächerliche Knallchargen abzuschießen. Das Kunststück ist zu einfach. Mit der Karikatur des reichen Schweins aus Zehlendorf, die – Klischee hin, Klischee her – einen furiosen Auftakt liefert, hätte es gut sein sollen.

    Apropos Klischees. Der Film arbeitet viel mit ihnen, teilweise unterläuft er sie auch. Er nimmt logischerweise die Perspektive Michaels ein. Die ist (und bleibt es auch im Verlauf der Handlung) diejenige des Außenstehenden. Das wird zum Problem, weil sich der Erkenntnisgewinn beim Zuschauer über die tieferen Zusammenhänge der Probleme eines sogenannten sozialen Brennpunkts deswegen in Grenzen hält, und er am Ende hauptsächlich die Bilder vom Großstadtghetto bekommt, wie er sie schon kennt (oder zu kennen meint). Dass sich Kameramann Kolja Brandt für die bildästhetisch offensichtlichste Variante der Neuköllndarstellung entschieden und das gesamte Filmmaterial digital großstadtgrau gebleicht hat, ist gerade in diesem Zusammenhang eher zu bedauern.

    All das bedeutet nicht, dass „Knallhart“ ein schlechter Film wäre. Dafür ist er nicht nur viel zu spannend, dafür sind nicht nur die schauspielerischen Leistungen der Hauptdarsteller und die meisten Dialoge zu gut, dafür hat er auch zu viele wirklich starke Momente. In diesen Szenen, die spannend oder komisch an der Grenze zum Lächerlichen sind, ist man den Protagonisten immer ganz nah. Zum Beispiel das erste Zusammentreffen von Gerber und Miriam, Michaels Eintritt in Hamals Welt, seine Begegnung mit Gangster Erol als Papa, seine Auseinandersetzungen mit seiner Mutter, bei denen man meinen könnte, hier gingen zwei mehrfach angezählte Boxer aufeinander los. Richtig gut ist der Film, wenn er mit seiner Hauptfigur in Bewegung ist. Wie Michael, der unter dem Druck steht, knallhart zu sein, also schneller zu reagieren als die anderen und nicht erst zu denken, geht es auch den Zuschauern. Ab einem gewissen Punkt wird es schwer, innezuhalten und zu überlegen, worauf es gerade hinausläuft. Richtig gut ist das Finale des Films. Es ist das einzige Ende, das zu dieser geradlinigen Erzählung passt, und es ist quälend konsequent in Szene gesetzt. Danach hätte übrigens Schluss sein müssen. Leider folgt noch eine von diesen unausgegorenen, weil schlicht redundanten Szenen. „Knallhart“ hätte ein besserer Film werden können, als er letztlich geworden ist.

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