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    Wie die Karnickel
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Wie die Karnickel
    Von Ulrich Behrens

    Ralf Königs Comics der 80er Jahre enthielten zumindest eines: Spott über das Sexualverhalten „ganz normaler“ Bürger „wie Du und ich“, Heteros, Homos, Lesben, in denen sich die Verulkten selbst einfach wiederfinden mussten. Das konnte man mögen und durfte man nicht mögen. Auch in Unterwaldts Karnickel-Film tauchen diese Gestalten auf. König schrieb das Drehbuch, aber wie der Trailer schon ahnen ließ, blieb von der Ironie und der Bissigkeit nur wenig übrig. „Wie die Karnickel“ ist ein Musterbeispiel für Integration: Was einst wenigstens kritischen Touch hatte, gehört heute in den Bereich der political correctness.

    Horst (Michael Lott) spielt Bass im Orchester, Vera (Anna Böttcher) ist Kindergärtnerin. Das Paar führt eine Beziehung, an der lediglich am Geburtstag oder zum Tag der deutschen Einheit unter den Augen des Bundespräsidenten im Fernsehen noch Sex stattfindet – wenn man dies dann überhaupt noch so nennen will. Als die Nachbarin im Müll des Paares ein Pornovideo mit dem Star der Szene Kelly Trump findet, ist für Vera der Ofen ganz aus. Sie geht zu ihrer Mutter. Horst bleibt – ohne allzu schlechtes Gewissen – zurück mit seinem Freund Günter (Heinrich Schafmeister), dessen Frau Gilla (Elke Czischek) ihren Mann ebenfalls in Verdacht hat, sich den „geilen Schlampen mit gespreizten Schenkeln“ hingegeben zu haben. Horst aber „steht“ zu seinen Gelüsten. In einem Gespräch mit Günter denken beide „tiefsinnig“ darüber nach, ob es bei den Menschen nicht ebenso läuft wie bei den Affen, deren Kopulation sie gerade im Fernsehen betrachten. In seiner Phantasie sieht sich Horst an der Käsetheke, seinen Gelüste mit tatkräftiger Unterstützung einer blonden Kundin nachgehend, worüber sich niemand im Supermarkt aufregt. Nur Neid macht sich breit.

    Aber die Realität sieht anders aus. Die Bilder all seines Begehrens dürfen künftig die Wände seiner Wohnung zieren und die Pornovideos, die er bislang im Keller versteckt hatte, türmen sich nun im trauten Heim. Horsts neuer, schwuler Nachbar Sigi (Sven Walser) hat ebenfalls Beziehungsprobleme. Sein Ex Hubert (Heinrich Schmieder) hat ihn verlassen, weil Horst hier und da und des öfteren einen anderen Mann bestieg. Sigi tröstet sich gerade mit dem wenig geistreichen, dafür umso muskulöseren Möbelpacker Benno (Alfonso Losa). Vera hingegen ist verzweifelt. Von ihrer Freundin Gilla nimmt sie (leider) den Rat an, sich in der Dessousabteilung eines Kaufhauses Strapse zu besorgen, um Horst „entgegenzukommen“. Das folgende Treffen im Haus der Schwiegermutter endet im Desaster, als sie in dieser Montur vor ihrem Ex steht. Horst hat inzwischen ganz andere Erfahrungen hinter und noch vor sich. Als während eines Konzerts in dem Moment sein Handy klingelt, in dem die gefeierte Diva Kriemhild Nastrowa (Andreja Schneider) gerade ansetzt, mit ihrer Stimme das Publikum in Wallung zu versetzen, ist er blamiert. Nach dem Konzert entschuldigt er sich bei der Sopranistin, die die Gelegenheit und Horst beim Schopf packt und den verdutzten Bassisten nach Strich und Faden flach legt. Er und die Nastrowa – er kann es selbst nicht glauben. Aber schon bald ist Horst von den Sex-Attacken der Diva lahmgelegt: Morgens, mittags, abends wilde Orgien – das hält er nicht durch, vor allem auch, weil die rothaarige Unersättliche während der Sex-Sessions Arien trällert. Erleichternd, dass die Dame ihm verkündet, es sei Schluss, weil sie den schon etwas senilen Dirigenten ehelichen wolle – zwecks der Karriere.

    Inzwischen versucht Sigi, sein Leben irgendwie auf die Reihe zu kriegen. Seine Mutter hat ihren Besuch angekündigt. Sigi will ihr „alles“ sagen. Wen aber soll er ihr als „Lebensabschnittsgefährten“ vorstellen? Und auch Vera verzweifelt zusehends. Gilla schickt ihr zwei lesbische Feministinnen auf den Hals, die Vera dazu animieren, ihr Schicksal als unterdrückte und sexuell ausgebeutete Frau unter Frauen in deren Zeitschrift zu veröffentlichen – mit Horst als Paradebeispiel für den Chauvinismus der Männer ...

    Sicher ist auf jeden Fall eines: Unterwaldt und König schwimmen „hervorragend“ auf der Proll-Welle „ganz normaler“ Männer und ebenso „normaler“ Frauen. Was auf den ersten Blick vielleicht paradox erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als durchaus stichhaltig. „Wie die Karnickel“ ist ein Paradebeispiel für political correctness. Das beginnt bei den Figuren und endet bei der Geschichte und ihren Einzelheiten selbst. So gut wie alle Charaktere, die hier präsentiert werden, sind sympathisch. Vielleicht möchte man privat mit dem einen oder der anderen nicht viel zu tun haben, aber Sympathieträger sind sie alle – oder vielmehr: sollen sie laut Drehbuch und Inszenierung wenigstens sein. Dementsprechend kommen die Botschaften des Films – abseits aller meist seichten und zum Teil peinlich-dämlichen Szenen – „rüber“: Es ist nicht nur „erlaubt“, sondern geradezu „geboten“, zu Homosexualität hier, mehr oder weniger heimlichen männlichen Phantasien dort zu „stehen“. Dasselbe gilt für „Frauensoli“ und „natürlich“ erlaubte Kritik an Hardcore-Feministinnen. Alles das ist völlig normal und völlig erlaubt und völlig korrekt. Peinlich wird diese Art einer sich liberal und tolerant gebenden Mode-Philosophie dann, wenn etwa in der Talkshow am Schluss alle Männer im Publikum aufstehen, als der Moderator der Sendung fragt, wer schon einmal einen Porno gesehen hat. Peinlich nicht, weil die alle aufstehen, sondern wegen der allzu aufdringlichen „Toleranz“, die hier zelebriert wird. Oder wenn nicht das Happyend zwischen Horst und Vera ins Haus steht, sondern Vera auf dem Motorrad-Rücksitz des Porno-Stars Kelly Trump in eine möglicherweise lesbische Zukunft davon rattert. Auch der immer wieder bemühte „Vergleich“ zwischen kopulierenden Pavianen und dem Wunsch der präsentierten Männer, sich ebenso „ausleben“ zu können, ist irgendwann, sprich: sehr rasch, nicht mehr lustig.

    Political correctness auf der ganzen Linie verschnüren König und Unterwaldt in einem kommerzgerechten Geschenkpäckchen. Ausgepackt und ausgewickelt dürfen sich hinterher alle, aber auch wirklich alle zufrieden zurücklehnen. Happy Hour. Happy Meeting. Happy Times. Die Schulfreunde Horst und Sigi ziehen am Schluss dieses furchtbar braven Streifens Arm in Arm die Straße hinunter, eine Männerfreundschaft zwischen Homo und Hetero. Die politischen und gesellschaftlichen Wunden scheinen geheilt. Selbst eine kurze, aber umso heftigere Affäre zwischen dem nicht gerade zum Sex animierenden Horst und der „vornehmen“ Sopranistin scheint möglich in einer Welt der unbegrenzten Toleranz und des Alles-geht-wenn-man-nur-will. Was bleibt sind einige sehr wenige wirklich witzige Szenen, dafür aber umso mehr Proll-Klamotte, etwa wenn Horst, als es an der Tür klingelt, sein gerade mal wieder erigiertes, besonders langes wichtigstes Teil zwischen Packungen aus dem Tiefkühlfach auf ein Normalmaß reduziert. So etwas ist seit langem sattsam aus entsprechenden Fernsehserien oder -shows bekannt. Und genau auf der Welle dieser Serien reitet „Wie die Karnickel“.

    Das alles wirkt fade, ermüdend und mag diejenigen zufriedenstellen, die sich bemühen, auf dem breiten Pfad der political correctness zu wandeln, ohne nach rechts und links zu schauen. An den wirklichen Problemen beispielsweise, die Schwule und Lesben noch immer in dieser Gesellschaft haben, von Herzen (!) und mit wachem Verstand akzeptiert zu werden, was hieße: das ist gar kein Gesprächsstoff mehr, an diesen Schwierigkeiten gehen solche Filme schnurstracks und ohne Schnörkel vorbei. Wer angesichts dessen trotzdem noch darüber lachen kann, der soll es tun.

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