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    Das Fräulein
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Das Fräulein
    Von Christoph Petersen

    Regisseurin und Autorin Andrea Staka selbst ist in der Schweiz aufgewachsen, ihre Familie stammt jedoch ursprünglich aus Bosnien und Kroatien. So kennt sie die beiden Welten, zwischen denen auch die drei Frauen aus ihrem Migrationsdrama „Das Fräulein“ stehen, selbst sehr gut. So verwundert es kaum, dass die Geschichte von Ruza, Ana und Mila, die zwar aus verschiedenen Ländern stammen, die aber die gemeinsame jugoslawische Geschichte dennoch irgendwie verbindet, eine sehr persönliche und intime geworden ist. Für die Jury der Filmfestspiele von Locarno hat diese Qualität ausgereicht, um dem Film ihren Hauptpreis, den Goldenen Leoparden 2006, zu verleihen - eine Entscheidung, die nicht gänzlich nachzuvollziehen ist: Zwar gibt es hochinteressante Ansätze zu entdecken und das Zusammenspiel der beiden Hauptdarstellerinnen ist in den besten Momenten einfach hervorragend, aber der letzte Funke, der nötig gewesen wäre, um die Zuschauer auch emotional an den Frauenschicksalen teilhaben zu lassen, will einfach nicht überspringen.

    Ana (Marija Skaricic) ist aus Sarajevo nach Zürich gekommen, ohne Papiere und an Leukämie erkrankt, versucht sie, mit ihrer aufgesetzten Lebensfreude die Angst vor dem eigenen Tod zu besiegen. Durch Zufall landet sie in der von Ruza (Mirjana Karanovic) geleiteten Kantine, wo sie arbeitet findet. Die serbische Heimat so gut wie möglich verdrängt, klammert sich Ruza an ihr mit eiserner Disziplin geführtes Geschäft und das angesparte Geld – beides gibt ihr trotz der starken Sehnsucht das Gefühl, damals die richtige Entscheidung getroffen zu haben, als sie Belgrad für ein besseres Leben in der Schweiz verließ. Auch Mila (Ljubica Jovic) ist bei Ruza angestellt, ihr großer Traum von einem eigenen Haus in Kroatien ist eigentlich schon lange zerplatzt, nur ihr Mann pumpt noch jeden von ihr verdienten Franken in das Projekt, wodurch ihr Leben in der Schweiz noch schwieriger wird. Als Ana für Ruza zum Geburtstag eine Überraschungsparty schmeißt, ist diese zwar zunächst gar nicht begeistert, scheint nach ein paar Gläsern Wein aber dann doch zumindest ein wenig aufzutauen. Trotz ihrer Lebensstile, die unterschiedlicher eigentlich gar nicht sein könnten, entwickelt sich so zwischen Ruza und der halb so alten Ana eine vorsichtige Freundschaft…

    Mirjana Karanovic, die das deutsche Publikum zuletzt mit dem Berlinale-Gewinner Esmas Geheimnis für sich begeistern konnte, überzeugt auch in „Das Fräulein“ mit ihrem sorgenvollen, aber dennoch irgendwie optimistischen Blick, der perfekt ihren Zustand zwischen Hoffnung und Sehnsucht widerspiegelt. Ihr gegenüber steht Mirja Skariecic – voller Elan und Power verkörpert sie die um ihr letztes Glück kämpfende Ana. Ein wunderbarer Kontrast, der die vorsichtig aufkeimende und meist auch nur angedeutete Freundschaft zwischen den beiden Figuren zu etwas so Besonderem macht – während man Ruza zumindest ein wenig von Anas Begeisterung für das Leben wünscht, könnte sich diese durchaus mal eine Scheibe von Ruzas Disziplin abschneiden, die ihr beim Kampf gegen die Leukämie sicher helfen würde. Eine sehr präzise und ungeheuer intim herausgearbeitete Beziehung, die man in dieser differenzierten Form nur selten zu sehen bekommt, die allerdings in ihren besten Momenten „nur“ bewegend, aber nie wirklich mitreißend geraten ist. Hier hätte vielleicht sogar ein bisschen weniger Zurückhaltung Wunder gewirkt.

    Im Vergleich zu diesen beiden starken Figuren fällt der Auftritt von Ljubica Jovic als Mila doch schon erheblich ab. Die Idee, dass der Traum von der Rückkehr ganz einfach deshalb platzt, weil man sich im neuen Land dank Kindern und Job plötzlich wohler als in der alten Heimat fühlt, ist im Prinzip sehr interessant und hat man in dieser Form so auch noch nie gesehen. Aber zum einen hat man das Gefühl, dass schon der Film selbst diesen Charakter zugunsten der Freundschaft zwischen Ruza und Ana stark vernachlässigt, und zum anderen sind die „Haus = Heim“-Metapher und der den ganzen lieben langen Tag hindurch faul auf der Couch sitzende Ehemann doch etwas platt geraten, können an die Präzision der anderen Szenen nicht im Entferntesten heranreichen. Hierzu passt auch der Umgang mit den einheimischen Figuren, bis auf eine einzige positive Ausnahme lassen sich nur hohle Karikaturen (wie den undankbaren Taubenfütterer) finden, die lediglich das abweisende Klima gegenüber Migranten deutlich machen sollen, was man aber in dieser Form kaum ernst nehmen kann.

    Sowieso ist der Umgang des Films mit Metaphern eine seiner größten Schwächen. Immer wenn er sich mit kleinen Gesten und vorsichtigen Dialogen begnügt, kann er überzeugen. Wagt er sich dann aber an große Metaphern, schießt er meist über sein Ziel hinaus. Wenn Mila ihre Narbe am Finger streichelt oder Ana sich solange voller Wut und Verzweiflung die Zähne putzt, bis ihr Zahnfleisch blutet, ist das Ergebnis für den Zuschauer nicht wahrhaftig, sondern im Gegenteil eher ziemlich platt. Die Inszenierung stellt sich voll und ganz in den Dienst der intimen Erzählweise, wobei doch einige sehr atmosphärische Szenen herausspringen. Allerdings hat diese „kleine“ Inszenierung auch zur Folge, dass der Film seinen TV-Look im „Kleines Fernsehspiel“-Stil nie wirklich abschütteln kann, es eigentlich keinen wirklichen Grund gibt, ihn sich unbedingt im Kino ansehen zu müssen. Insgesamt hat „Das Fräulein“ so zwar eine wunderbar differenziert ausgearbeitete Frauenfreundschaft zu bieten, aber Drumherum gibt es einfach zu viele Unstimmigkeiten, um den Film wirklich empfehlen zu können.

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