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    Yes I am!
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Yes I am!
    Von Christoph Petersen

    Am 14. Juni 2000 erlag der 39-jährige Alberto Adriano im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen, die ihm drei Tage zuvor von jungen Neonazis zugefügt wurden, die ihn auf dem Heimweg nachts im Park abfingen und wahllos und unaufhörlich auf ihn eintraten. Die Reaktionen auf diese Tat waren nicht nur allgemeines Unverständnis und tiefe Trauer, für viele war dies auch der Punkt, an dem sie beschlossen, sich aktiv im Kampf gegen Rassismus zu engagieren. Eines der aus diesem Anlass gegründeten Projekte ist „Brothers Keepers e.V.“, ein Verein, dessen primäres Anliegen es ist, eine Lobby für die Opfer von rechtsradikalen Gewalttaten zu schaffen. Das größte öffentliche Aufsehen hat in diesem Zusammenhang sicherlich das zugehörige Musikprojekt „Brothers Keepers“ erregt, dem sich mittlerweile rund 90 hauptsächlich afro-deutsche Künstler (unter andrem Xavier Naidoo oder Samy Deluxe) und Produzenten angeschlossen haben. In seiner einfühlsamen und wachrüttelnden Dokumentation „Yes I Am!" kümmert sich Regisseur Sven Halfar nun nicht nur um das bewundernswerten Projekt an sich, sondern beschäftigt sich auch mit den Biographien dreier Mitglieder, mit deren Hilfe er den Problemen der entwurzelten Künstler – auch abseits von Rassismus und Fremdenhass – auf einer sehr persönlichen Ebene begegnet.

    Adè Odukoya, der Initiator der „Brothers Keepers“, wuchs in Nigeria auf, bevor sein Vater 1986 brutal ermordet wurde und seine deutsche Mutter mitsamt ihren Kindern nach Köln zog. Hier lebt er nun seit seinem 16. Lebensjahr und kümmert sich neben seiner Band BANTU auch um verschiedene Anti-Diskriminierungs-Projekte. Rapper D-Flame stammt aus Nordweststadt, einem sozialen Brennpunkt am Rande von Frankfurt am Main. Als seine allein erziehende Mutter mit ihm nicht mehr klar kommt, steckte sie ihn in ein Heim, wo er schon bald seine kriminelle Karriere beginnt. Heute ist D-Flame selbst dreifacher Vater und arbeitet in seinen Songs hauptsächlich die eigene Vergangenheit auf. Sängerin Mamadee stammt aus Ostdeutschland, mit dem Thema Rassismus ist sie so richtig eigentlich erst nach der Wende in Berührung gekommen. Drei auf den ersten Blick grundverschiedene Biographien, die aber doch ihren gemeinsamen Kern haben: Nicht nur sind sie alle Musiker, auch stehen sie alle ohne ihren (farbigen) Vater da, weshalb sie sich noch immer auf der Suche nach einem bedeutenden Teil ihrer eigenen Identität befinden. In sehr persönlichen Interviews, die geschickt mit Videoclips unterfüttert sind, versucht Regisseur Halfar nun diesen fehlenden Wurzeln gemeinsam mir seinen Protagonisten auf die Spur zu kommen.

    Neben der einfühlsamen Aufarbeitung der afro-deutschen Biographien überzeugt dieser Teil von „Yes I Am!“ aber auch durch sein radikales Aufräumen mit Rap-Klischees und anderen haltlosen Vorurteilen. Während 50 Cents in seiner seltendämlichen Gangsterphantasie Get Rich Or Die Tryin` leider einmal mehr Hass, falsch verstandene Ehre und materielles Geprotze predigte, zeigt Halfar nun ein komplett entgegengesetztes, von differenziertem Selbstverständnis dominiertes Bild der schwarzen Musikszene. Den einzigen Hass findet man hier in den zwei Zeilen: „Wir ficken die Nazis in den Arsch, wir poppen sie bis auf den Mars!“ Ansonsten bestimmt vielmehr der kritische Umgang mit sich selbst und der eigenen, noch auf wackligen Beinen stehenden Kultur die Szenerie. Wenn D-Flame über die kriminelle Karriere seiner Jugend rappt, dann begegnet er seinem früheren Ich und allen, die in einer ähnlichen Situation stecken, zwar mit tiefem Verständnis, glorifiziert diese Zeit und seine Taten dabei aber auch nie, sondern steht ihnen mit ganz selbstverständlicher und ehrlicher Ablehnung gegenüber.

    Erst nach einer guten Stunde schwenkt die Dokumentation von den drei einzelnen Protagonisten und ihren persönlichen Geschichten hin zum gemeinsamen Projekt „Brothers Keepers“ beziehungsweise dem weiblichen Gegenstück „Sisters Keepers“ um und entwickelt sich dann auch sehr schnell zu einer mitreißenden Ode an Toleranz, Menschlichkeit und Miteinander. Zwar werden auch hier notwendigerweise die bekannten Bilder von brennenden Asylantenheimen und anderer rechter Gewalt gezeigt und diese Taten aufs schärfste verurteilt, aber dennoch liegt der Schwerpunkt nie allein auf dem Hass gegenüber den Nazis, sondern viel häufiger auf der gemeinsamen Hoffnung, etwas ändern zu können. Wenn die Musiker ostdeutsche Schulen in Problemgebieten besuchen und dort auf größtenteils aufgeschlossene, interessierte Jugendliche treffen, die ohne übermächtige Vorbehalte mit der afro-deutschen Kultur in Kontakt treten, ist das mehr als nur ein kleiner Hoffnungsschimmer – man muss dieses Potential nur effektiv ausschöpfen. Xavier Naidoo bringt diese Problematik am treffendsten auf den Punkt, wenn er sinngemäß sagt: „Die einzigen, die sich hier um die Schüler kümmern, sind halt die Rechten. Und dass es diesen hauptsächlich auf die Verbreitung ihrer Ideologie ankommt, können die Jugendlichen eigentlich noch gar nicht alleine durchschauen.“ So ist aus „Yes I Am!“ ein kraftvolles, eindringliches und an den richtigen Stellen auch beklemmendes Toleranz-Plädoyer geworden, bei dem man immer das gute Gefühl hat, dass es nie gegen, sondern stets für etwas eintritt.

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