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    Küss den Frosch
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Küss den Frosch
    Von Sascha Westphal

    In den vergangenen Jahren steckte die so ungeheuer traditionsreiche Animationsabteilung des Disney-Konzerns praktisch in einer permanenten Krise. Mit dem Aufkommen der 3-D-Animationen hatte das Mäusestudio irgendwie den Anschluss verloren. Die eigenen mit dieser Technik entwickelten Produktionen konnten längst nicht mit den Arbeiten der Konkurrenz mithalten, und zugleich schien das Vertrauen in die eigenen Stärken verloren gegangen zu sein. Es entstanden zwar immer noch Filme in der althergebrachten 2-D-Technik, doch das waren entweder Nebenwerke oder Produktionen, die gleich für den Videomarkt bestimmt waren. Insofern war auch der Aufkauf von Pixar durch Disney nur konsequent, so konnte das Studio einen Konkurrenten übernehmen und zugleich wieder neue Maßstäbe setzen. Außerdem hat dieser wirtschaftliche Coup den Druck von dem Disney-eigenen Animationsdepartement genommen, so dass sich dessen kreative Köpfe nun wieder auf die klassischen Disney-Traditionen besinnen konnten. Und an die schließen die beiden Regisseure und Drehbuchautoren Ron Clements und John Musker mit „Küss den Frosch“ auch an. Endlich hat sich Disney mal wieder an einem großen märchenhaften Musical in 2-D versucht und damit den Bogen zurück zu seinen unvergesslichen Meisterwerken geschlagen. An Schneewittchen und die sieben Zwerge, Das Dschungelbuch und „Die Schöne und das Biest“ kommt dieses romantische Südstaatenmärchen zwar noch nicht wieder heran – das Timing und der Rhythmus stimmen einfach nicht ganz. Aber Clements und Musker sind ohne Frage gleich mehrere Schritte in die richtige Richtung gegangen.

    Schon Tianas Vater träumte davon, einmal das beste und eleganteste Restaurant in New Orleans zu eröffnen. Jahrelang hat er mit seiner kleinen Tochter (Elizabeth M. Dampier) Pläne geschmiedet. Doch dann ist er viel zu früh verstorben. Mittlerweile ist Tiana (Anika Noni Rose) selbst erwachsen und hat zwei Jobs als Kellnerin. Alles, was sie entbehren kann, wird gespart für ihren großen Traum: ein Restaurant in einer alten Zuckermühle direkt am Fluss. Als sie einen Catering-Auftrag für die große Mardi-Gras-Party von Eli „Big Daddy“ LaBouf (John Goodman) bekommt, rückt ihr Ziel in greifbare Nähe. Für die Anzahlung hat sie nun genug zusammen. Doch auf einmal fordern die Makler die ganze Summe, und ihr bleiben nur ein paar Tage, das restliche Geld aufzutreiben. Ausgerechnet in dieser Situation begegnet sie einem sprechenden Frosch, der sich als der verzauberte Prinz Naveen (Bruno Campos) vorstellt. Er bittet sie flehentlich, ihn zu küssen, dafür würde er ihr auch ihren größten Wunsch erfüllen. In ihrer Verzweiflung überwindet Tiana schließlich ihren Ekel vor Fröschen und küsst die schleimige Kreatur. Der Zauber wirkt, aber nicht so wie die beiden sich das vorgestellt haben. Mit dem Kuss verwandelt sich die junge Afroamerikanerin in ein Froschweibchen. Nun müssen sie zusammen durch Straßen und Sümpfe hüpfen und jemanden finden, der ihnen ihre menschliche Gestalt wieder zurückgeben kann...

    Es wird wohl immer ein Rätsel bleiben, warum das Disney-Studio solange gebraucht hat, um sich wieder an ein klassisches Animationsprojekt zu wagen. Da John Lasseter (Toy Story, Cars) als ausführender Produzent an „Küss den Frosch“ beteiligt war und am Ende des Abspanns noch ein ganz besonderes Dankeschön an Pixar geht, liegt die Vermutung nahe, dass ein Anstoß von Außen nötig war. Aber vielleicht war es auch gut so, dass es bis heute gedauert hat. Schließlich ist dieses wundervolle Märchen unverkennbar ein Produkt unserer gegenwärtigen Zeit. Noch vor drei oder vier Jahren wäre eine schwarze Prinzessin in einem Animationsfilm aus dem Hause Disney mehr als nur eine Sensation gewesen. Heute, da Barack Obama im Weißen Haus residiert, ist diese bemerkenswerte Entwicklung und Öffnung fast schon eine Selbstverständlichkeit. Bedauerlich ist nur, dass die eigentlich auch ganz zeitgemäße Entscheidung der Verantwortlichen, Prinz Naveen keinen eindeutigen ethnischen Hintergrund zu geben, schon lange vor der Premiere des Films in den Vereinigten Staaten eine heftige Rassismusdebatte in den Zeitungen und im Netz ausgelöst hat.

    Feature

    Küss den Frosch:

    Die Charaktere

    Natürlich hätte ein schwarzer Prinz noch einmal ein sehr deutliches Signal gesetzt. Doch all diejenigen, die ihn nach Ansicht der ersten Trailer eindeutig als Weißen identifiziert haben, waren letzten Endes etwas zu voreilig. Naveen, der aus einem fiktiven, nicht verorteten Königreich stammt, ist mit seinem dunklen Teint und seiner Stimme, die ihm im Original der aus Brasilien stammende Schauspieler Bruno Campos leiht, ein Kind einer Welt, in der ethnische Zugehörigkeiten immer schwerer zu entschlüsseln sind. Im Endeffekt steht diese Figur wie so berühmte Schauspieler wie Vin Diesel, Dwayne Johnson oder Jessica Alba für eine Gesellschaft, in der sich einstmals bestehende ethnische Grenzen nach und nach auflösen. Die Zeiten der klaren Trennung sind vorüber, an ihre Stelle treten nun Paare wie Tiana und Naveen.

    Interview

    Filmstarts trifft...

    ... Disney-Zeichner Andreas Deja.

    Ein klassisches Disney-Märchen und eine schwarze Prinzessin aus New Orleans, 2-D-Animationen und ein von Randy Newman komponierter Musical-Score – Vergangenheit und Gegenwart kommen perfekt zusammen. Ron Clements und John Musker, die gemeinsam auch schon „Arielle – Die Meerjungfrau“, Aladdin, „Hercules“ und zuletzt Der Schatzplanet inszeniert haben, setzen diesmal ganz bewusst auf einen Mix aus Altem und Neuem. So können sie von einer langen Tradition profitieren und zugleich auch den Weg in die Zukunft bereiten. Dabei haben sie in Randy Newman den idealen musikalischen Partner gefunden. Er besitzt ein ungeheueres Bewusstsein und Gespür für das musikalische Erbe Amerikas - für den Jazz und Blues der 20er Jahre, in denen dieses Märchen spielt, genauso wie für Gospel- und Zydeco-Klänge. Anders als Phil Collins oder Elton John, deren Pop-Soundtracks für „Tarzan“, Bärenbrüder und Der König der Löwen auf ewig in den Jahren ihrer Entstehung verhaftet bleiben, hat er ein ganz und gar zeitloses Musical geschrieben, dass sich durchaus mit den in den 50er und 60er Jahren entstandenen Klassiker des Genres messen kann.

    Feature

    Küss den Frosch:

    Disneys Prinzessinnen der Filmgeschichte

    Gleich zwei der zahlreichen (in der zweiten Hälfte vielleicht auch etwas zu zahlreichen) großen Musical-Szenen von „Küss den Frosch“ zählen schon jetzt zu den absoluten Höhepunkten in der nunmehr fast 75-jährigen Disney-Geschichte, die 1937 mit der Adaption von „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ begann. Wenn Tiana ihre Mutter in der alten Zuckermühle herumführt und dabei „Almost There“ singt, verwandelt sich das halb verfallene Gebäude in ein elegantes Restaurant. Die in verschwenderische Gold- und Brauntöne getauchte Szenerie lässt mit ihren Jugendstil- und Art Deco-Elementen den Glanz des Jazz-Age noch einmal in seiner ganzen verführerischen Schönheit erstrahlen.

    Interview

    Filmstarts trifft...

    ... die deutschen Stimmen Cassandra Steen, Roger Cicero und Bill Ramsey.

    Das düstere Gegenstück zu diesem wundervollen Traum von den 20er Jahren, in denen New Orleans in voller Blüte stand und der Jazz die Grenzen zwischen Schwarz und Weiß ins Schwingen brachte, folgt dann sogleich mit „Friends From The Other Side“. In dieser Nummer beschwört der intrigante Zauberer Dr. Facilier, ein sinisterer Shadowman, der Seelen für die dunklen Mächte sammelt, seine „Freunde von der anderen Seite“ herauf und betört zugleich Prinz Naveen und seinen Diener. In einer albtraumhaft schönen, märchenhaft gruseligen Shownummer huldigen Ron Clements und John Tusker den Nachtseiten von New Orleans. Auf eine herrliche verspielte Weise jonglieren sie in dieser Sequenz mit Voodoo-Mythen und Horrorelementen, ohne dabei auch nur einen Moment ihr jüngeres Publikum aus den Augen zu verlieren. Schließlich konnten Märchen schon immer ziemlich unheimlich sein.

    Gegenüber diesen beiden grandiosen Songs und Choreographien fallen die anderen Musical-Nummern ein wenig ab. So haben die beiden großen in den Sümpfen Louisianas spielenden Sequenzen zwar auch ihren Charme, vor allem dank zweier umwerfender Sidekicks - dem Trompete spielenden Alligator Louis, der ein zweiter Louis Armstrong werden will, und dem Glühwürmchen Ray, das den Polarstern für das schönste aller Glühwürmchen-Weibchen hält. Doch letztlich verweisen sie ein bisschen zu deutlich auf „Das Dschungelbuch“. Aber das sind wie auch die gelegentlichen Längen des Films eher lässliche Sünden, die angesichts dieser überaus romantischen Feier einer Liebe, die nicht nur alle Grenzen der Gesellschaft, sondern auch die Macht schwarzer Magie überwindet, beinahe augenblicklich wieder verziehen sind. Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass Disney den hier gewählten Weg auch weiter beschreitet und damit wieder zu seiner alten Größe zurückfindet.

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