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    Mammut
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Mammut
    Von Daniela Leistikow

    Viele Filme in seinem Kopf habe er nicht gemacht, weil er sich von ihnen nicht genügend gefordert fühlte; er brauche das Gefühl, einer Sache nicht gewachsen zu sein, erläuterte Regisseur Lukas Moodysson Ende 2008 in einem Interview. Gemessen an der Lautstärke der Buh-Rufe bei der Vorführung seines sechsten Films „Mammoth“ auf der 59. Berlinale war die Herausforderung diesmal wirklich zu groß und der schwedische Filmemacher hätte auf seine innere Stimme hören sollen. Der 40-Jährige, dessen ersten Film „Raus aus Åmål“ Ingmar Bergman als das „erste Meisterstück eines jungen Meisters“ bezeichnete, verschenkt in dem Drama „Mammoth“ das durchaus vorhandene Potential von Story, Soundtrack und Schauspielern an jeder nur denkbaren Stelle - bis hin zur völligen Demontage. Die vielen guten Einzelteile ergeben zu keiner Zeit ein befriedigendes Ganzes.

    Dem erfolgreichen New Yorker Paar Leo (Gael Garcia Bernal, Amores Perros, Babel) und Ellen (Michelle Williams, Brokeback Mountain) fehlt es an nichts. Sie arbeitet als Chirurgin die Nächte durch, er hat mit einer Spiele-Seite im Internet Millionen verdient. Das schicke Appartement in Soho, das das Paar zusammen mit Tochter Jackie (Sophie Nyweide) und dem philippinischen Kindermädchen Gloria (Marife Necesito) bewohnt, ist voller Designermöbel und mit allen Annehmlichkeiten ausgestattet. Doch glücklich macht das alles nicht: Ellen zweifelt an ihren mütterlichen Qualitäten, da ihr 8-jähriger Sprössling lieber mit Gloria Filipino lernt als mit Mama Pizza zu machen. Und Leo ist in der Big-Business-Welt, in die ihn seine erfolgreiche Internetseite geführt hat, nur ein Statist. Zwar wird er zu Vertragsverhandlungen nach Thailand eingeflogen, aber dann auf Sightseeing-Tour abgeschoben, wo er schließlich in den Armen des Bar-Mädchens Cookie (Run Srinikornchot) landet. Nanny Gloria wiederum arbeitet aus rein wirtschaftlichen Gründen in den USA und wäre viel lieber bei ihren Söhnen auf den Philippinen. Doch damit diese es einmal besser haben als sie, muss Geld her und das lässt sich nur in der westlichen Welt verdienen...

    Viele einzelne Elemente von „Mammoth“ sind für sich betrachtet nicht so schlecht, wie die sehr negative Reaktion des Berlinale-Publikums vermuten lässt. Das Hauptproblem ist schlicht und ergreifend, dass Regisseur Lukas Moodysson, der auch für das Drehbuch verantwortlich ist, viele Dinge nicht wirklich durchdacht zu haben scheint. Der Indie-Elektro-Sound der britischen Band Ladytron zum Beispiel bringt das Lebensgefühl des angenehm unerwachsenen Protagonisten-Pärchens zwar auf den Punkt, Songs wie „Destroy everything you touch“ werden jedoch in einer solchen Lautstärke und Frequenz gespielt, dass es wie eine Attacke aus den Lautsprechern dröhnt. Jeder Ton wird wie mit dem Holzhammer ins Gehirn des Zuschauers geprügelt. Doch diese Art des Musikeinsatzes hat keinerlei tiefere Bedeutung. Als Leo nach Thailand fliegt, hat Ellen ihm eine neue Playlist auf seinen iPod geladen – ein digitaler Ersatz für das „Ich liebe dich“, das zwischen Geschäftsreisen und Nachtschichten nie gesagt wird. Wenn dann Cat Powers „The Greatest“ im Hintergrund läuft, erscheint das passend und stimmungsvoll. Doch dieser Moment wird am Ende des Films völlig zerstört, als der Song zum zweiten Mal erklingt und bestenfalls sentimental wirkt.

    Anfänglich spricht Moodysson durch die Parallelmontage von kleinen Szenen wie der musikalischen Liebeserklärung per Playlist und der Nanny, die ihrem Schützling das Nachtlied noch persönlich singt, interessante Problemkomplexe an. Trotz ständigen Telefonkontakts lebt die Kleinfamilie seltsam unverbunden nebeneinander her. Angestellte und Telekommunikationsgeräte sind Eltern und Kind näher als die engsten Verwandten. So verdeutlicht Moodysson, wie sich traditionelle Familienstrukturen in der globalisierten Welt auflösen und wie das „Ich“ der Hauptfiguren durch immer komplexere unterschiedliche Anforderungen auf erbarmungslose Weise in verschiedene Schubladen gezwängt wird. Dass die Familien-Schicksale in „Mammoth“ den Erdball umspannend vernetzt sind, lässt vermuten, das Drama hätte ein konzentrierteres Babel werden sollen. Aber davon ist „Mammoth“ leider weit entfernt und rutscht mit jeder Szene tiefer in Richtung Globalisierungs-Kitsch ab.

    Trotz tadelloser schauspielerischer Leistungen des gesamten Ensembles wachsen die Charaktere dem Zuschauer niemals ans Herz. Selbst wenn Hilfsbereitschaft und Sehnsucht nach der Mutter in ein schreckliches Erlebnis münden, berührt das kaum. Längst lässt sich in jenem Moment keine Antwort mehr auf die Frage finden, was uns dieser Film eigentlich sagen will. Das Interesse an dem thematisch durchaus reizvollen Drama schwindet auf ein Minimum. Am Schluss sind die anfänglich gezeigten Umarmungen und zärtlichen Spiele der Kleinfamilie endgültig als die ritualisierten „Wir-sind-ja-eigentlich-glücklich“-Handlungen entlarvt, die schon in der ersten Filmminute als solche zu erahnen sind. Die nüchterne Emotionslosigkeit, mit der die Eltern ihre Zukunftspläne besprechen, während sie mit ihrer Kleinen auf dem Sofa kuscheln, befördern weniger Erkenntnisse über das Familienleben in der heutigen Welt als vielmehr Empörung über den ungelenken Zynismus des Filmemachers.

    Fazit: Weder die guten Darsteller, noch der schicke Soundtrack oder die interessante Thematik können „Mammoth“ aus der filmischen Todesspirale retten, die sich wegen des fehlenden roten Fadens und der emotionalen Unzugänglichkeit der Inszenierung mit jeder Minute schneller gen Abgrund dreht. Was ein guter und zum Nachdenken anregender Film hätte werden können, endet als halbherziger, nicht durchdachter Versuch, traditionelle Familienwerte auf ein Podest zu heben. Auf dem Berliner Siegertreppchen wird „Mammoth“ damit wohl kaum landen.

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