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    Chéri
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Chéri
    Von Björn Helbig

    „Wir sind eine Generation von Männern, die von Frauen großgezogen wurde“, sagt Brad Pitt als Tyler Durden in David Finchers Fight Club. Die Dominanz der Mütter und die Abwesenheit von Vaterfiguren sind auch in Stephen Frears‘ Kostümdrama „Cheri“ wichtige Motive. Der Regisseur greift die Thematik in historischer Perspektive auf und arbeitet dabei mehr als 20 Jahre nach Gefährliche Liebschaften wieder mit Michelle Pfeiffer zusammen. Der Star spielt eine Kurtisane, die den Sohn einer Kollegin zum Mann machen soll. An ehemalige Erfolge können Frears und Pfeiffer damit allerdings nicht anknüpfen, die angesprochenen Themenkomplexe bleiben unterbelichtet: „Cheri“ ist der schwächste Film des Regisseurs seit langem.

    Paris, die Belle Epoque neigt sich dem Ende zu: Madame Peloux (Kathy Bates) gibt ihren Sohn Fred (Rupert Friend), genannt Chéri, in die Hände der Kurtisane Léa de Lonval (Michelle Pfeiffer). Die schöne, geistreiche Frau ist in die Jahre gekommen und hat eigentlich bereits ausgesorgt. Doch der junge Mann interessiert sie. Auch Chéri ist von der reifen Léa fasziniert. Aus der Liaison, die eigentlich nur wenige Wochen dauern sollte, wird eine sechs Jahre dauernde Beziehung. Doch dann findet Madame Peloux eine Frau (Felicity Jones), die vor allem finanziell eine gute Partie für ihren Sohn wäre und leitet hinter dem Rücken Léas die Hochzeit in die Wege...

    Das Positive zuerst: Die Kostüme sind prächtig, die Dekors opulent. Blumengestecke, Kaminfeuer, schöne alte und schöne junge Menschen – ansehnliche Bilder soweit das Auge reicht. Neben diesen optischen Oberflächenreizen wartet „Cheri“ auch mit guten Darstellerleistungen auf. Es ist erfreulich, Michelle Pfeiffer (Der Sternwanderer, Hairspray) wieder einmal in einer tragenden Rolle zu sehen, und Kathy Bates (Der Tag, an dem die Erde stillstand, Zeiten des Aufruhrs) demonstriert erneut, dass sie die Rolle der Unsympathin exzellent beherrscht. Rupert Friend (The Libertine, Die letzte Legion) weiß sich als gelangweilter Sprössling mit einer Art Mutterkomplex durchaus neben den Stars zu behaupten. Die von Ränkespielen und Hintergedanken bestimmte Handlung wird dazu mit dem ein oder anderen bissigen Dialog gewürzt.

    „Cheri“ ist ein Film über eine Epoche und die sie prägende Geisteshaltung. Genauer gesagt über die Denkweise und Weltanschauung einer bestimmten Personengruppe. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts geht die Belle Epoque zu Ende, der Blütezeit folgt Dekadenz. Die Jahre des Aufschwungs der europäischen Großstädte hatten den dort ansässigen Cafés und Cabarets, den Ateliers und Galerien gut getan. Vielen Menschen war durch die Industrialisierung und dem damit verbundenen materiellen Wohlstand ein angenehmes Leben möglich geworden. Die dekadenten Auswüchse dieser Entwicklung finden sich auch bei Frears, leider streift er sie aber nur im Vorbeigehen und sein Gesellschaftsporträt bleibt im Ansatz stecken. Er zeigt uns monströse Kostüme, die die Engstirnigkeit des Milieus versinnbildlichen, und wenn in Gesprächen nicht beiläufig schmerzhafte Spitzen ausgeteilt werden, geht es nur um Nichtigkeiten. So bekommt der Zuschauer immerhin einen vagen Eindruck davon, wie es in der Welt der Kurtisanen zu dieser Zeit zugegangen ist und welche gesellschaftlichen Zwänge dort gewirkt haben.

    Aber Stephen Frears (Die Queen, Lady Henderson präsentiert, High Fidelity) möchte keinen Geschichtsunterricht erteilen. Was ihn interessiert, ist die ungewöhnliche Beziehung zwischen Léa und Chéri, diese spezielle Art von gegenseitiger Abhängigkeit. Auf der Titelfigur liegt dabei natürlich ein besonderer Akzent: Er ist intelligent, er hat Frauen und Geld. Was ihm fehlt, ist eine ihn liebende Mutter. Sein Sarkasmus nährt sich aus Überfluss und Mangel zugleich und er fühlt sich zu Léa hingezogen, da sie gleich mehrere seiner Bedürfnisse befriedigt. In den besten Momenten des Films deutet sich die Komplexität einer Beziehung an, die sich sowohl aus den sozialen Begebenheiten als auch aus der psychologischen Verfassung der Protagonisten erklärt. Doch bei der Ausarbeitung des gesellschaftlich bedingten Ödipus-Komplexes lässt der Regisseur die nötige Konsequenz vermissen, so dass „Cheri“ auf halbem Wege steckenbleibt und weder als psychologische Studie noch als reine Liebesgeschichte funktioniert.

    Aber nicht nur der Regisseur, der diesmal weder die Möglichkeiten des Kinos richtig nutzt noch die satirischen, geschichtlichen und romantischen Aspekte seines Films gewohnt pointiert umsetzt, ist von seiner Bestform entfernt. Auch Autor Christopher Hampton, Urheber von so wunderbaren Drehbüchern wie Der stille Amerikaner und Abbitte, der für Frears schon Gefährliche Liebschaften schrieb, gelingt keine überzeugende Umsetzung des Liebesromans der französischen Schriftstellerin Colette. Es finden sich zwar auch in „Cheri“ einige scharfzüngige Dialoge und feine Beobachtungen – insgesamt hätte es aber ruhig etwas mehr sein dürfen. So plätschert die Geschichte behäbig und ohne große Höhen oder Tiefen vor sich hin, auf eine nicht ganz nachvollziehbare Romanze folgen die ebenfalls nicht hundertprozentig glaubwürdigen Monate des Liebeskummers. So manchem Betrachter dürfte das Schicksal des Paares lange vor dem unspektakulären Finale ganz egal sein.

    Fazit: Stephen Frears' Kostümfilm „Cheri“ bietet trotz guter Darsteller und einiger bissiger Dialoge lediglich 100 Minuten gepflegte Langeweile. Er wird so weder als Glanzstück in die Filmografie des Regisseurs eingehen noch als Michelle Pfeiffers Comeback nachhaltig in Erinnerung bleiben.

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