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    Taking Woodstock
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Taking Woodstock
    Von Jens Hamp

    1967 wurde im Summer of Love die Hippiebewegung zu Grabe getragen. Zum Monterey Pop Festival pilgerten 200.000 Besucher und feierten über drei Tage die freie Liebe, schwebten mit „Lucy In The Sky With Diamonds“ und befreiten sich von jeglichen bürgerlichen Zwängen. Spätestens mit diesem Zusammentreffen wurde die einstige Gegenkultur zur Massenkultur, die noch bis in die frühen Siebziger das Bild der Jugend prägte. Zentrales Ereignis der kommerzialisierten Hippiekultur war das Woodstock-Festival, das aufgrund der Auftritte von Jimi Hendrix, The Band, Joe Cocker und The Who zur Legende wurde. Ang Lee (Tiger und Dragon, Hulk) widmet nun Elliot Tiber, einem der Initiatoren des Festivalphänomens, eine verspätete Coming-of-Age-Hommage. Wie für einen Großteil der Besucher ist die Bühne in „Taking Woodstock“ nur ein kleiner Punkt in weiter Ferne und dennoch fängt der taiwanesische Regisseur wunderbar das Gefühl eines ereignisreichen und generationsdefinierenden Festivals ein.

    Obwohl Elliot Teichberg (Demetri Martin) die Kleinstadt Bethel bereits vor Jahren verlassen hat, fühlt er sich für seine Eltern noch immer verantwortlich und reist Sommer für Sommer zurück, um diesen bei der Bewirtschaftung eines heruntergekommenen Motels unter die Arme zu greifen. Als er im Juli 1969 erfährt, dass der wenige Meilen entfernte Ort Wallkill die Genehmigung für das Woodstock-Festival versagt hat, sieht er seine Chance, das elterliche Geschäft wieder anzukurbeln. Kurzerhand setzt er sich mit den Organisatoren in Verbindung und überzeugt sie, dass Bethel der perfekte Ort für das Musikfestival wäre. Doch die Planung läuft aus dem Ruder, als sich plötzlich mehrere hunderttausende Hippies auf den Weg machen, um an dem Happening teil zu haben…

    „If you remember the sixties, you probably weren’t there.“ – Robin Williams

    Ang Lees Herangehensweise an den Woodstock-Mythos ließ den Produzenten vermutlich kurzzeitig den Atem stocken. In einer zweistündigen Erinnerungsblase schwelgen, ohne dabei auch nur einen Blick auf Janis Joplin, CCR oder Santana zu werfen – das kommt eigentlich einem kommerziellen Todesurteil gleich. Doch das Vertrauen in den Oscar-Gewinner zahlt sich qualitativ aus. Fernab der dramatischen Züge seiner vergangenen Filme besinnt sich der Taiwanese auf die amüsanten Töne seines „Hochzeitbanketts“ zurück und porträtiert die Arbeit und persönlichen Ereignisse hinter dem Musikfestival auf eine äußerst unterhaltsame Weise.

    Beruhend auf der gleichnamigen Autobiographie von Elliot Tiber (dessen Geburtsname Eliyahu Teichberg lautet) beschränkt sich Lee nur auf einen minimalen Ausschnitt des Happenings: Er erzählt von der befreienden Wirkung des Großereignisses und zeigt, wie sich die Hauptfigur langsam von seinen Eltern abnabelt. Um den Weg der Selbstfindung glaubhaft und vergnüglich zu gestalten, werden die Teichbergs bereits in der Eröffnungsszene als äußerst schrullig vorgestellt. Die von Imelda Staunton (Harry Potter und der Orden des Phönix, Vera Drake) gespielte Mutter, die mit ihrer granteligen Art jeden Gast vergrault, ist ein echtes Unikat. Vater Jake (Henry Goodman, Notting Hill, „The Saint“) hat da schon längst kapituliert und sich dem störrischen Wesen seiner Frau gebeugt. Ähnlich statisch und eingerostet wie das Leben der jüdischen Einwandererfamilie ist in diesen Sequenzen auch die Kameraführung von Eric Gautier, der zuletzt auch Sean Penns Selbstfindungstrip Into The Wild bebilderte.

    Erst mit der Planung des Festivals kommt langsam Bewegung in das verschlafene Nest. Zwei völlig unterschiedliche Lebensweisen prallen ungebremst aufeinander. Auch visuell erwachen die Bilder immer mehr zum Leben. Der Blick über die weiten, noch unbefleckten Wiesenlandschaften ist schwelgerisch, immer mehr Menschen wuseln über das Motelgelände und um das eifrige Treiben weiter zu verdeutlichen, werden als Referenz an Michael Wadleighs legendäre Woodstock-Dokumentation – nicht unbedingt notwendige – Splitscreens eingesetzt.

    Angezogen von dem Großereignis wird auch Vilma, eine Transsexuelle, die sich als Bodyguard anbietet. Es wird nie geklärt, als was sich der von Liev Schreiber (Unbeugsam) großartig unaufgeregt gespielte Charakter fühlt. Schreibers Körper ist nach dem Wolverine-Dreh noch immer männlich-muskulär, durch die blonde Perücke und die Kleidung wird aber deutlich die feminine Seite betont. Doch eine präzise sexuelle Bestimmung ist letztlich auch gar nicht notwendig. Vilmas Anwesenheit dient vielmehr als Katalysator für Elliots aufkeimendes Selbstbewusstsein und die neugewonnene Lebenslust des Vaters.

    Das Woodstock-Festival wird von diesen Figuren nur beiläufig wahrgenommen. Elliot unternimmt zwar jeden Tag den Versuch, selbst zur Bühne zu gelangen, doch er schnuppert lediglich am Gefühl des Dazugehörens. Er trifft auf ein Hippiepärchen (Paul Dano, There Will Be Blood; Kelli Garner, Lars und die Frauen), das ihn zu einem LSD-Trip überredet, und rutscht mit seinem aus dem Vietnamkrieg zurückgekehrten Kindheitsfreund (Emile Hirsch, Milk) durch den Matsch. Die Musik auf der entfernten Bühne ist da höchstens als ein verfremdetes Kratzen wahrzunehmen. Trotz der langen Liste von verwendeten Musikfetzen ist nur der Score von Danny Elfman (Big Fish, Milk) deutlich zu vernehmen.

    Doch man vermisst die Auftritte der Musiker gar nicht. James Schamus, der abgesehen von Brokeback Mountain und Sinn und Sinnlichkeit bisher an allen Drehbüchern für Lees Filme mitschrieb, zieht den Zuschauer wie die Teichberg-Familie in das friedvolle Treiben hinein und vermittelt mit unzähligen kleinen Eindrücken den Woodstock-Mythos. Bezeichnend hierfür sind zwei Szenen: Ein mit Blumen am Helm geschmückter Polizist bietet Elliot eine Mitfahrgelegenheit zum Eingang an. Auf dem Motorrad passieren sie sodann liegengebliebene Autos, begegnen Nonnen, sehen Menschen, die am Straßenrand Essen und Getränke verteilen oder friedvoll der Musik entgegenpilgern. Ähnlich zentral sind Elliots Wahrnehmungen während eines LSD-Trips. Von einem entfernten Hügel betrachtet er das Geschehen vor der Bühne und lässt sich treiben, bis die Menschen vor ihm zu einem wogenden Meer verschwimmen.

    Essentiell für das großartige Gelingen ist schließlich Hauptdarsteller Demetri Martin. Der zuvor nur in kleinen Nebenrollen (The Rocker) zu sehende Komiker ist mit seinen unschuldigen Zügen perfekt geeignet, um den sich stets unterordnenden Protagonisten zu verkörpern. Langsam wandelt sich sein sanftmütiges Auftreten zu der befreiten Entschlossenheit, mit der sich die Figur von der elterlichen Bürde löst. Die bereits mehrfach angestrengten Vergleiche zu dem jungen Dustin Hoffman sind dabei nicht zu übersehen – ob Martin aber auch in anderen Filmen dem Die Reifeprüfung-Idol das Wasser wird reichen können, bleibt abzuwarten.

    And I dreamed I saw the bombers

    Riding shotgun in the sky

    And they were turning into butterflies. – Joni Mitchell

    Wer sich mit dem Gedanken anfreundet, dass „Taking Woodstock“ seine Geschichte abseits der Festivalbühne erzählt, erlebt einen Film, der wunderbar detailverliebt das Gefühl des „Summer of 69“ vermittelt. Aufgrund der lockerleichten Herangehensweise ist Ang Lees Geschichtsstunde beinahe so etwas wie eine leichtfüßige Vorstufe zu dem wenige Jahre später spielenden Der Eissturm, der das kriselnde Bürgertum seziert. Obgleich „Taking Woodstock“ diese ernüchternde Tragweite nicht aufweist, ist die Komödie auch großartig. Ähnlich wie Cameron Crowes Almost Famous trifft der Blick hinter die Bühne des wichtigsten Festivals mitten ins Herz des musikbegeisterten Zuschauers und beflügelt die Sehnsucht nach Freiheit, ewiger Jugend und Glückseligkeit. Ließen sich die Uhren doch nur vierzig Jahre zurückstellen…

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