Mein Konto
    Auftrag Rache
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Auftrag Rache
    Von Jan Hamm

    Und ob er schon wanderte im finsteren Tal, fürchtete er kein Unglück - denn der Herr war bei ihm! Oscarpreisträger Mel Gibson (Die Passion Christi, Braveheart) wird noch einige Zeit mit dem Hohn Hollywoods leben müssen, den er sich mit seinen wüsten Alkoholeskapaden eingefahren hat. Selbst die Golden-Globe-Gala 2010 kam nicht ohne einen entsprechenden Seitenhieb von Showmaster Ricky Gervais aus - nachdem zuvor Robert De Niro, entrüstet über die all zu vage Apologie seines Kollegen, schlagzeilenträchtig aus dem gemeinsamen Projekt „Auftrag Rache“ ausgestiegen war. Geschadet hat es dem Film nicht, im Gegenteil: Martin Campbells elegischer Thriller dokumentiert Gibsons Rückkehr zu elektrisierender Höchstform. Wie bei State Of Play stand auch für „Auftrag Rache“ eine gefeierte TV-Miniserie Pate, die der zweimalige Bond-Erlöser Campbell (GoldenEye, Casino Royale) in den 80er Jahren selbst inszeniert hatte. Auf die berühmt-berüchtigte Dildosequenz hat Drehbuchautor William Monahan (Departed: Unter Feinden) wohlweislich verzichtet - ein sich am Lustspielzeug seiner ermordeten Tochter abtrauernder William Wallace wäre einfach zu grotesk ausgefallen. Denn was Campbell, Monahan und Gibson hier in perfekter Symbiose verfassen, ist keine augenzwinkernde Zerstörungsorgie à la 96 Hours, sondern ein jeglicher Hektik enthobenes und präzise durchkomponiertes Krimi-Drama.

    Es hätte ein so entspannter Abend werden können! Kaum hat es sich die junge Physikerin Emma (Bojana Novakovic, Drag Me To Hell, Sieben Leben) in der Bostoner Behausung ihres Vaters Thomas Craven (Mel Gibson) bequem gemacht, klappt sie auch schon mit blutender Nase über dem Küchentisch zusammen. Bis zum Krankenhaus bringen es die Zwei nicht. Ein Shotgun-Schuss aus dem Dunkel der Nacht schleudert Emma in den Hausflur zurück, wo sie tödlich verwundet in den Armen ihres paralysierten Vaters verendet. Abseits der träge anlaufenden Ermittlungen recherchiert der erfahrene Mordermittler auf eigene Faust und stößt auf eine erste Spur, als er bei der Autopsie herausfindet, dass Emmas Leichnam radioaktiv verseucht ist. Ihr Arbeitgeber Jack Bennett (Danny Huston, X-Men Origins: Wolverine), Vorstand der Atomforschungseinrichtung Northmoor, ist dabei ebenso undurchschaubar wie der plötzlich vor Cravens Haustür aufkreuzende Regierungsagent Darius Jedburgh (Ray Winstone, Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels). Je aggressiver der trauernde Vater die Verstrickungen seiner Tochter erkundet, desto tiefer taucht er in eine gefährliche Parallelwelt aus Korruption und Erpressung ein...

    Schon ein altes schottisches Sprichwort raunt davon: You don't fuck with Mel Gibson's family. Das haben achtlose Briten erst auf der eigenen Insel („Braveheart“) und dann auf der anderen Seite des großen Teichs (Der Patriot) einsehen müssen. Sogar in postapokalyptischer Zukunft (Mad Max) ist geläufig, zu welch' berserkernder Urgewalt dieser Kerl fähig ist, sobald jemand Hand an seine Liebsten legt. Die Rolle des Thomas Craven ist Gibson also auf den Leib geschneidert, erschöpft sich dabei aber keineswegs in einer schlichten Revue. Wohl spielt Autor Monahan mit Gibsons Filmographie - am direktesten mit der eiskalt auf „Die Passion Christi“ referierenden Drohkulisse Cravens: „You'd better decide if you're hanging on the cross, or banging in the nails.“ Dennoch ist die Figur so stark ausformuliert, dass sie sich hinreichend vom Gibson-Archetyp abhebt.

    Craven ist kein Metzelgeist, sondern ein introvertierter Charakter, der je nach Gegenüber einen passenden Tonfall sucht, um das Mysterium zu entwirren. Das Überschreiten der im Original („Edge Of Darkness“) titelgebenden Grenze spricht weniger vom Rache-Motiv, als eher von einem Abdriften in nunmehr schmerzhafte Erinnerungen und einer latenten, gen Wiedervereinigung mit seiner Tochter gerichteten Todessehnsucht. Mit der ihm eigenen Körperlichkeit und Gravitas spielt Gibson seine Figur aus, ohne den Mann, der nichts mehr zu verlieren hat, zur Phrase verkommen zu lassen. Besonders die ruhigen Zwischentöne begeistern, etwa im angespannten Dialog mit einer Freundin Emmas, über deren gleichsam prekäre Lage die Geschichte der Toten hypothetisch fortgeführt wird. Dass Cravens Gegenspieler sich letzten Endes trotz seiner ausgeprägten Sensibilität - frei nach AC/DC - auf dem Highway To Mel wiederfinden, ist freilich Ehrensache.

    Ob Ray Winstones sinister-charismatischer Regierungsagent ebenfalls zur Antagonistenriege zählt, bleibt bis zum Schlussakt vage. Darius Jedburgh scheint über den Parteien zu stehen. Wonach sucht er, worauf wartet er? Die offene Figurenzeichnung ist interessant, ihr Mehrwert für die Geschichte erschöpft sich jedoch im Verweis auf die Verworrenheit der konspirativen Zusammenhänge. Klare Motive verfolgt hingegen Jack Bennett, den Danny Huston mit kalter Eloquenz als gelackten Patrioten zeichnet. Seine Northmoor-Corporation ist, bis hin zur einschüchternden Architektur der Firmenzentrale, an kontroverse Privatunternehmen wie Blackwater oder Dick Cheneys Halliburton angelehnt. Die sprichwörtlichen Leichen im Firmenkeller sind in „Auftrag Rache“ Fakt: Bereits die erste Einstellung zeigt im See vor der Northmoor-Zentrale auftreibende Kadaver. Die Abbildung fieser Machenschaften im militärisch-industriellen Komplex bedingt dabei noch keinen kritischen Subtext. Dreh- und Angelpunkt bleibt Cravens explizit private Vendetta.

    Die atemberaubend choreographierten Actionsequenzen von „Casino Royale“ weichen in Campbells gekonnt an den ruhigen Erzählgestus angepasster Inszenierung kurzen, aber nicht minder physischen Gewalteruptionen, die sich selten ankündigen und dadurch umso härter einschlagen. „Auftrag Rache“ ist ein über weite Passagen ruhig entfalteter, dadurch aber nicht minder intensiver Vergeltungsakt, mit dem Campbell seinen Ruf als hervorragender Thriller-Regisseur bestätigt und seinem Hauptdarsteller ein kleines Comeback beschert. Auf die Idee, radioaktive Milch zur Waffe umzufunktionieren, kann eben nur ein entfesselter Gibson kommen. Mit Engagements in The Beaver und Cold Warrior sowie seinem bislang unbetitelten Wikinger-Epos demonstriert der verantwortungsbewussteste Autofahrer Hollywoods, dass er von nun an nicht mehr zu bremsen ist - möge der Herr mit ihm sein!

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top