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    Huhn mit Pflaumen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Huhn mit Pflaumen
    Von Ulf Lepelmeier

    Mit ihrem autobiographischem Zeichentrickfilm „Persepolis" lieferte die in Paris lebende Iranerin Marjane Satrapi zusammen mit ihrem Regiekollegen Vincent Paronnaud ein begeisterndes Kinodebüt ab, das 2008 ganz zu Recht für den Animationsfilm-Oscar nominiert wurde. Mit Witz, Esprit und frischer Animationsoptik erzählte sie darin von ihrer schweren Jugendzeit und von der jüngeren Geschichte des Iran. Mit „Huhn und Pflaumen" lässt das Regiegespann jetzt einen melodramatischen Realfilm mit eingebundenen Animationssequenzen folgen, bei dem Satrapis optische und erzählerische Handschrift einmal mehr sichtbar wird. Doch das verspielte Zweitwerk, das die Lebens- und Leidensgeschichte von Satrapis Großonkel thematisiert, erweist sich trotz der hohen inszenatorischen Qualität als etwas zu süßlicher und überladener Film, dem das politische Feuer des grandiosen Erstlings abhanden gekommen ist.

    Teheran, 1958: Violinist Nasser Ali Khan (Mathieu Amalric) verliert nach der Zerstörung seiner Geige durch seine wutentbrannte Frau Faranguisse (Maria de Medeiros) jeglichen Lebenswillen. Auch wenn er sich zuerst noch auf die Suche nach einem neuen Instrument begibt, ist er sich schnell im Klaren darüber, dass seine zerbrochene Violine, die ihn stets an seine große verlorene Liebe Irâne (Golshifteh Farahani) erinnerte, unersetzbar ist. Daraufhin ist er nicht einmal mehr mit seiner Leibspeise Huhn mit Pflaumen davon abzubringen, im Bett auf seinen Tod zu warten. Bevor ihm der Todesengel Azraël (Edouard Baer) am achten Tage erscheinen soll, lässt Nasser noch einmal sein von Enttäuschungen, Kompromissen und ewiger Sehnsucht geprägtes Leben Revue passieren...

    Nach sieben Tagen der Erinnerung an eine Kindheit im Schatten des Bruders, an die unerfüllte Liebe und eine aufgedrängte Heirat erscheint die Todessehnsucht des freudlosen Geigers durchaus nachvollziehbar. „Huhn mit Pflaumen" kommt dennoch nicht wie ein düsteres Drama, sondern vielmehr wie ein verschachteltes Märchen aus Tausendundeiner Nacht daher, das jede Menge Witz und Heiterkeit versprüht. Die mit Galgenhumor angereicherte Inszenierungsweise wirkt zwar erfrischend, wird aber vom Regieduo Paronnaud/Satrapi letztlich nicht schlüssig mit Nassers Verbitterung in Einklang gebracht. Das Regiegespann ist so stark mit der Bildgestaltung der einzelnen Anekdoten und den kleinen skurrilen Exkursen rund um Nassers Familie beschäftigt, dass es tiefgreifende Einblicke in die Seele des Violinisten darüber vernachlässigt.

    In den schönsten Momenten ihres zweiten Kinofilms, der wie schon „Persepolis" auf einer von Satrapis preisgekrönten Graphic Novels beruht, knüpft die Iranerin an die besondere märchenhaft-entrückte Stimmung an, die schon „Die fabelhafte Welt der Amelie" auszeichnete. Doch während Jean-Pierre Jeunets poetischer Film eine verträumte junge Frau zur Protagonistin hatte, ist Satrapis desillusionierter Hauptfigur in „Huhn mit Pflaumen" gar nicht mehr zum Träumen, sondern nur noch zum Sterben zu Mute. Damit treffen ein süßlicher Stil und ein sehr ernstes Thema aufeinander, was gelegentlich regelrecht disharmonisch wirkt.

    Die Figuren bekommen in den amüsanten Vor- und Rückblenden einen comichaften Anstrich, der es den Schauspielern schwer macht, ihren Figuren Tiefgang zu verleihen. Selbst großartige Schauspieler wie Chiara Mastroianni („Prêt-à-Porter") oder Isabella Rossellini („Blue Velvet") sind durch diese Figurenentwürfe stark eingeschränkt. Und auch Hauptdarsteller Mathieu Amalric („Schmetterling und Taucherglocke") bekommt so kaum eine Chance, Nassers Verzweiflung herauszuarbeiten.

    Die gezeichneten Protagonisten in „Persepolis" wirken merkwürdigerweise um einiges realer und beseelter als die Mitglieder des Khan-Familienclans. „Huhn mit Pflaumen" ist zwar abwechslungsreicher, bunter und romantischer, aber dafür auch trivialer als das Debüt des Regieduos. Die satirische Schilderung der politischen Situation im Iran in den 90er Jahren hat in „Huhn mit Pflaumen" keinen Platz. Dafür ist der ebenfalls in Teheran spielende Film als Metapher über die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat konzipiert – nicht grundlos hört Nassers große Liebe auf den sprechenden Namen Irâne.

    Fazit: „Huhn mit Pflaumen" ist ein stilistisch außergewöhnlicher Film mit vielen spannenden Aspekten – die Klasse von „Persepolis" erreichen Marjane Satrapi und Vincent Paronnaud mit ihrem Zweitwerk aber leider nicht mehr.

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