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    Casino
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Casino
    Von Carsten Baumgardt

    Obwohl Martin Scorsese zu den außergewöhnlichsten und brillantesten Filmemachern unserer Zeit gehört, hat der New Yorker bisher noch keinen Regie-Oscar gewonnen. Diese schreiende Ungerechtigkeit spricht nicht unbedingt für die Reputation der Academy, die seine Leistung in Klassikern wie „Taxi Driver“, „Wie ein wilder Stier“ oder „GoodFellas“ nicht für auszeichnungswürdig hielt. Ein Armutszeugnis, denn auch für Scorseses furioses Mafia-Drama „Casino“ gab es nicht einmal eine Nominierung. Die Auslandspresse in Hollywood hatte einen etwas geschärfteren Blick und nominierte den Italo-Amerikaner wenigstens für einen Golden Globe. Der inoffizielle Nachfolger zu „GoodFellas“ bietet zwar thematisch nichts soviel Neues, aber stilistisch ist das phantastisch gespielte Drei-Stunden-Epos einfach eine Offenbarung.

    1973: Der disziplinierte Profispieler und Buchhalter Sam „Ace“ Rothstein (Robert DeNiro) steigt in Las Vegas zum Geschäftsführer des angesehenen Tengiers-Casinos auf. Er muss den ständigen Geldfluss für seine Mafiabosse gewährleisten. Politiker werden geschmiert und die Spieler im Zaum gehalten, nicht zuviel zu gewinnen. Dazu zweigt Ace einen satten Anteil für den Mob ab. Der Hitzkopf Nicky Santoro (Joe Pesci) hält seinem Freund Rothstein das Gröbste vom Hals, geht dabei aber mit äußerster Brutalität vor und schafft sich mit dieser Methode nicht nur Freunde. Alles läuft ganz prima, bis Ace sich in die Edel-Prostituierte Ginger McKenna (Sharon Stone) verliebt. Die Glücksritterin ist auf der Suche nach Reichtum und aus diesem Grund willigt sie ein, Rothstein zu heiraten. Eine fatale Entscheidung, denn der Casinomanager verliert nach und nach jegliche Kontrolle über sein Leben. Die frustrierte Ginger flüchtet sich in Drogen und Alkohol. Eine verhängnisvolle Kettenreaktion wird damit losgetreten...

    Anders als vergleichbare Superstars ist Robert DeNiro nicht sehr sorgfältig bei seiner Rollenauswahl. Es drängt sich der Eindruck auf, dass er einfach alles nimmt, was kommt. Zur Not adelt er halt einen Durchschnittsfilm mit seiner Anwesenheit und nimmt den Gehaltsscheck kalt lächelnd mit. Nicht so jedoch im Jahr 1995, dem wohl besten seiner Karriere. Neben der achten Zusammenarbeit mit Meisterregisseur Martin Scorsese („Hexenkessel“, „Taxi Driver“, „New York, New York“, „Wie ein wilder Stier“, „The King Of Comedy“, „GoodFellas“, „Kap der Angst“) spielte DeNiro in dem Jahr auch noch für Michael Mann in dessem grandiosen Cop-Thriller „Heat“.

    Für „Casino“ tat sich das Kernteam aus „GoodFellas” wieder zusammen. Scorsese holte Robert DeNiro und Joe Pesci vor die Kamera, Romanautor Nicolas Pileggi schrieb mit dem Regisseur das Drehbuch. Das Thema ist ähnlich, aber die Akzente werden anders gesetzt. „Casino“ ist eher eine inoffizielle Fortsetzung im Geiste. Vor allem stilistisch unterscheiden sich die Filme doch gewaltig. Noch nie zuvor wagte es ein Filmemacher, seinem Publikum eine derartig große Menge an Informationen gebündelt und in solch irrsinnigem Tempo vorzusetzen. Fast eine Stunde lang breitet Scorsese seine Exposition aus und erklärt in einem atemberaubenden Stakkato die Mechanismen der Mafia-Organisation im Las Vegas der 70er Jahre. Diese charakterliche Einführung zählt zu den furiosesten, die das Kino je gesehen hat. Natürlich ist ein Meister wie Scorsese nötig, damit diese gewagte Konstruktion, die durch einen Off-Kommentar gestützt wird, überhaupt funktionieren kann.

    Die Kernhandlung kommt dann nämlich erst richtig in Schwung. Zuvor setzen Scorsese und Pileggi der Geschichte noch eine clevere Daumenschraube an, indem sie mit einem verheerenden Autobombenanschlag auf Sam Rothstein beginnen und erst spät wieder an diesen Punkt zurückkehren. Neben den exzellenten Dialogen und der brillanten Photographie von Kameraass Robert Richardson („Kill Bill“, „JFK“, „The Doors“, „Aviator“)

    wird „Casino“ von einem popigen 70er-Jahre-Soundtrack nach vorn gepeitscht. Diese Oberflächlichkeit nutzt Scorsese unterschwellig als Metapher auf Las Vegas, dessen Niedergang zum modernen Disneyland-Babylon damals seinen Anfang nahm.

    Das reale Vorbild aus Pileggis Tatsachenroman ist Frank „Lefty“ Rosenthal, der im Film Sam Rothstein entspricht. Scorsese seziert die Arbeitsmethoden der Mafia kühl und analytisch bis in kleinste Detail und verdeutlicht dies anhand des Aufstiegs und Falls des Casinomanagers. Alle sind gierig und unersättlich auf der Jagd nach dem großen Geld, um das Glück dadurch zu erzwingen. In der Wahl der Mittel ist keiner der Protagonisten zimperlich. Dass diese Spirale aus Gewalt und Korruption ins Verderben führen muss, wird mit jeder Leinwandminute deutlicher.

    Auch wenn Robert DeNiro seine Mafioso-Rolle nicht das erste Mal spielt, gibt er seinen Sam Rothstein dennoch mit überragender Präsenz und Ausdrucksfähigkeit. Mit traumwandlerischer Sicherheit brilliert er in seinen Szenen. Sein Zusammenspiel mit dem erneut außergewöhnlichen Joe Pesci („JFK“, „Lethal Weapon“) ist perfekt. Pesci, Oscar-prämiert für „GoodFellas“, begeistert als ultrabrutaler Choleriker Nicky Santoro, der seinem unbändigen Temperament schweren Tribut zollen muss. Die große Überraschung des Films ist jedoch Sharon Stone („Basic Instinct“), die in ihrer mit Abstand besten Karriereleistung beweist, dass sie mehr kann, als ihr viele zugetraut hätten. Ein Golden Globe und eine Oscarnominierung sind der verdiente Lohn. Ihre Ginger McKenna ist die tragische Figur. Sie ist der Schlüssel zu den Ereignissen. Stone überzeugt als geldgieriges Miststück, das im Grunde nur glücklich sein will, sich dabei aber größtenteils selbst im Weg steht und mit Vollgas auf den Abgrund zurast. Dabei zieht sie dank ihrer Unwiderstehlichkeit alles um sich herum mit.

    Als Nachzieher zu „GoodFellas“ immer ein wenig unterschätzt, zählt „Casino“ ohne Frage zu Scorseses besten Filmen, formal ist das atemberaubende Mafia-Kaleidoskop wahrscheinlich sogar sein ausgereiftester. Mit allen erdenklichen Finessen versehen, strahlt „Casino“ eine kühle, aber dennoch elektrisierende Eleganz aus, die den Zuschauer wie in einen Strudel saugt und der gnadenlos guten, kompromisslosen Bilderflut aussetzt. Ein Meisterwerk.

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