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    Blow Up
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Blow Up
    Von René Malgo

    „Film sollen unterhalten. Sie sollen nicht analysiert werden“, polterte mal wer. Wenn diese These stimmt, hat „Blow Up“ keine Daseinsberechtigung. Ohne Analyse kann „Blow Up“ nicht wirklich unterhalten und bloß zur Unterhaltung kann „Blow Up“ auch nicht funktionieren. Um es anders zu formulieren, „Blow Up“ ist eines jener filmischen Beweise dafür, dass dieses Medium wesentlich mehr „Aufgaben“ hat, als nur zu unterhalten. Dafür übrigens steht schon der Name des Regisseurs: Michelangelo Antonioni (Zabriskie Point).

    London, 1966. Thomas (David Hemmings) ist ein gelangweilter Modefotograf, der nicht mehr als Verachtung für die Schmalspurschönheiten um sich übrig hat. Eines Tages fotografiert er in einem Park ein küssendes Pärchen. Wenig später spürt ihn die Frau (Vanessa Redgrave) auf und verlangt den Film zurück. Nach einigem Hin und Her händigt Thomas ihr ein Filmröllchen aus, behält aber eine Kopie für sich. Als er die entwickelten Fotos zu begutachten anfängt, glaubt Thomas einen Mordversuch zu erkennen…

    Wer nach Filmbesprechungen zu Michelangelo Antonionis Werken im Allgemeinen und „Blow Up“ im Besonderen zu suchen anfängt, wird unweigerlich auf ein Wort stoßen: Entfremdung. Darüber handeln einige seiner Arbeiten, „Blow Up“ macht da keine Ausnahme. „Blow Up“ ist kein einfacher Film, etwas anderes war auch nicht zu erwarten. Mehrfaches Ansehen lohnt sich, der Betrachter wird gezwungen, sich mit dem Gesehenen auseinander zu setzen. Aus mehrerlei Gründen.

    Die Inszenierung ist kühl, distanziert und die Protagonisten – oder soll schon fast Antagonisten gesagt werden? – agieren äußerst wortkarg. Antonioni lässt die teils verwirrenden Bilder für sich sprechen. Faszinierend und fordernd ist seine Bildersprache. Bilder sind ein zentrales Thema. Der Blick durch die Linse. Thomas sieht die Welt durch seine Kamera. Ästhetisiert sind seine Bilder, sowohl von heruntergekommenen Obdachlosen, als auch von aufreizenden, weiblichen Fotomodels. „Blow Up“ spielt mit Realität und Einbildung, mit dem, was wir in Bilder hineininterpretieren und eben dem, was wir zu sehen glauben. „Blow Up“ ist aber keine typische, filmische Abhandlung von Realität, Scheinrealität und Wahnvorstellungen, wie z. B. Vertigo. Mit Thomas glaubt bzw. weiß auch der Betrachter einen Mord zu sehen.

    Entfremdung. Das Wort ist schon gefallen. Thomas hat sich von der Welt entfremdet. Er lebt in seiner, eigenen stilisierten Welt, hat schöne Frauen um sich, mal ist die Kamera zwischen ihnen, mal „treibt“ er es auch ohne. Wohl fühlt er sich in seiner Haut oder in seinem Leben jedoch nicht. Er versucht auszubrechen; bewegt sich gegen den Takt eines Musikstückes, will auf Teufel komm raus einen hölzernen Propeller kaufen oder kämpft auf einem Konzert der Yardbirds (ein sehr ansehnlicher Abschnitt des Films im Übrigen) um ein Stück Gitarre, das er gleich anschließend wieder wegwirft. Es scheint ihm gut zu gehen. Er lebt den modernen Zeitgeist, doch eine gewisse gähnende Leere kann er nicht ausfüllen. Der Zuschauer gleicht sich der Stimmung dieses arroganten Burschen an, mit dem man sich trotz seiner widerwärtigen Art identifizieren kann. Exzellent die Leistung von David Hemmings als eben jener junge Mann. Ein Feel-Good-Movie ist etwas anderes.

    Die Inhaltsangabe ist trügerisch. Nach einiger Zeit des Schauens gibt es der Betrachter denn auch auf, einen Thriller zu erwarten. „Blow Up“ ist kein Thriller und schon gar kein Krimi. Der Mord wird nicht aufgelöst, Vanessa Redgrave bleibt in einer einprägsamen Rolle eine mysteriöse Frau, auf die Thomas nicht wieder trifft. In „Blow Up“ geht es auch gar nicht so sehr um den Mordversuch an sich. Es geht nicht um die Täter und Beweggründe. Dafür interessiert sich der Film nicht, dafür interessiert sich das Publikum nach einiger Zeit auch nicht mehr, denn das Drama hat wesentlich mehr zu bieten.

    „Blow Up“ wurde zum Kultfilm seiner Generation. 1966 entstand er. Diese Zeit der modernen Umwälzungen bedarf sicherlich keiner näheren Erläuterung. Kaum ist aber „Blow Up“ das, was bei George Lucas’ American Graffitti für die 50er Jahre gelten mag. Zu kritisch, zu düster ist „Blow Up“. Antonioni kann sich schon deshalb keine nostalgische Verklärung leisten, weil das Werk eben zu besagter Zeit entstanden ist und somit nicht zurückblickt. Eine umso differenziertere und entlarvende Gesellschaftsstudie ist ihm im Gegenzug gelungen. Bis heute hat der Film von seiner leicht verstörenden Faszination, Aktualität und Klasse nichts verloren. Lange nach „Genuss“ dieses Werkes wirkt „Blow Up“ noch auf den Betrachter ein.

    Leichte Kost ist - das haben wir nunmehr festgestellt - die Sache somit nicht. Trotzdem gestaltet sich das Ende wesentlich versöhnlicher und optimistischer, als erwartet. Tatsächlich gelang Antonioni ein wunderschöner Schlussakkord, wohlmöglich eine der besten der Filmgeschichte. Zu Beginn trifft das Publikum auf Pantomime-Hippies, am Ende tauchen sie wieder auf. Zwei von ihnen spielen im Park imaginäres Tennis, der Rest „guckt“ zu. Es ist derselbe Park, in dem der Mord geschah, bezeichnender- bzw. seltsamer Weise der einzig idyllisch und warm anmutende Ort im modernen London des Jahres 1966. Weder Thomas’ Appartement bzw. Atelier, noch die anderen Orte, die er während seiner Streifzüge durch Londons Szene besucht, wirken wirklich einladend auf den Zuschauer. Was es genau mit dem Ende auf sich hat, soll nicht weiter erläutert werden. Das Publikum schaue und staune. Denn plötzlich, auf ganz subtile Art und Weise, berührt der unterkühlte, stets beobachtende Film emotional und hinterlässt einen geradezu erleichterten Zuschauer.

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