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    Sin Nombre
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Sin Nombre
    Von Christian Horn

    Amores Perros und City Of God werden im Presseheft zum Sundance-Beitrag „Sin Nombre“ als Referenzen herangezogen. Und tatsächlich lässt sich bei Cary Fukunagas Langfilmdebüt eine gewisse Verwandtschaft zu diesen beiden lateinamerikanischen Erfolgsfilmen ausmachen – und zwar allein schon deshalb, weil „Sin Nombre“ wohl hauptsächlich dank des weltweiten Anklangs speziell von „City Of God“ mit einem Budget ausgestattet wurde, dass ihm eine gewisse Blockbuster-Ästhetik ermöglichte (co-produziert wurde der Film unter anderem von Schauspieler Gael García Bernal, La Mala Educatión). Die Armut, Gewalt und Anarchie in den Favelas Mexikos dient dem Film als populäre Kulisse, um einen stark vereinfachten gesellschaftskritischen Kommentar mit einer rasanten (Action-)Inszenierung zu verbinden, die leider nicht durchgängig zu fesseln versteht.

    Das 18-jährige Gangmitglied „El Caspar“ (Édgar Flores) verliebt sich in die junge Sayra (Paulina Gaitan, Trade), die sich mit ihrem Vater (Gerardo Taracena, La Zona) und ihrem Onkel (Guillermo Villegas) als blinde Passagiere in einem Zug in die Staaten durchschlagen will. El Caspar löst sich gewaltsam von seiner Gang, um mit Sayra ein neues Leben zu beginnen. Doch seine ehemaligen Kameraden sind ihm dicht auf den Fersen - mit Mordlust in den Augen und Pistolen im Hosenbund…

    Der (Anti-)Held hat gleich zwei Namen: El Caspar und Willy. Der erste steht für die Identität als Gangmitglied - für die Schuld, die er auf sich geladen hat, und die Abwärtsspirale, in der er sich befindet. Der zweite für die gute Seite, sein wahres Ich und damit für das, was er früher einmal gewesen ist und verzweifelt wieder sein will. Dass der Film trotzdem „Sin Nombre“ („Ohne Namen“) heißt, hat durchaus seinen Sinn, schließlich steht der Protagonisten aktuell zwischen seinen beiden Identitäten: Die eine sprayen seine Verfolger in Kombination mit Morddrohungen an eine verfallene Wand, die andere kennt das Mädchen, das ihn kompromisslos liebt. Am Ende könnte er tatsächlich wieder einen Namen haben, den „guten“ nämlich, aber soweit kommt es nicht, denn der Ausbruchsversuch schlägt fehl und mündet in einem halben, aber eben nicht vollwertigen Happy End.

    Das Scheitern seines Protagonisten schildert „Sin Nombre“ recht kompromisslos und bisweilen vorsichtig zynisch. Der Film transportiert die Trostlosigkeit nicht nur in den Kommentaren seiner Hauptfigur, die sich schon halb aufgegeben hat, sondern auch mittels des kleinen Jungen El Smiley (Kristian Ferrer), der sich mit einer Pistole an die Fersen El Caspars heftet. In knappen Szenen führt Regisseur Fukunaga vor, wie die Maschinerie der Gewalt in den Elendsvierteln gnadenlos weiterläuft und die durch Caspars Ausscheiden entstandene Lücke sofort wieder besetzt wird: Ähnlich wie El Smiley ist es einst wohl auch El Caspar / Willy ergangen, bevor er sich wie durch ein - vom Drehbuch allzu sehr behauptetes - Wunder Jahre später – der Liebe sein Dank - doch noch für die „gute Seite“ entschied.

    Letztlich ist „Sin Nombre“ eben doch ein (ambitionierter) Genrefilm: Er erzählt eine recht konventionelle Liebespaar-auf-der-Flucht-Geschichte und begnügt sich damit, die Gangs aus den Slums zum bloßem Thrill heranzuziehen. Eine Vereinfachung, die an sich durchaus legitim ist und auch funktionieren kann (siehe: John Carpenters Assault On Precinct 13), hier aber die potentielle Rauheit des Plots – die ausweglose, verzweifelte Flucht, die Unerbittlichkeit der Verfolger – viel zu oft mit konventionellen, mitunter kitschigen, im negativen Sinne Mainstream-tauglichen Szenen konterkariert. Eine wirkliche Teilhabe will sich so nicht einstellen –auf seine Weise ist da sogar der thematisch kongruente Dokumentarfilm Das kurze Leben des Jóse Antonio Gutierrez packender. Der Aufbau von „Sin Nombre“ (Cary Fukunaga schrieb auch das Drehbuch) fällt recht uninspiriert und beliebig aus: Fast sklavisch hält sich die Regie an den klassischen Ablauf einer Flucht-Geschichte, ohne dieser einen eigenen Charakter abzugewinnen. Straight hätte „Sin Nombre“ sein sollen, handwerklich auf den Punkt und schmutzig! Im lauschigen Wechsel von Innehalten (also Charakterzeichnung) und Bewegung (also Action) entfaltet sich die Story viel zu lehrbuchartig, um den Zuschauer für sich einzunehmen.

    „Sin Nombre“ erweist sich letztlich als handelsüblicher, hinter der Fassade wenig raffinierter Blockbuster mit angedeuteten politischen Ambitionen. Das ist natürlich sein gutes Recht, bei Edward Zwicks vergleichbarem Blood Diamond hat es schließlich hervorragend funktioniert. Und langweilig ist „Sin Nombre“ auch nicht, zudem gut gespielt und mit knackiger Musik unterlegt. Die wichtigste Erkenntnis, die sich aus diesem Genre-Beitrag ziehen lässt, bleibt dennoch, dass die Favelas nun endgültig als bloßes Setting im zeitgenössischen Mainstream angekommen sind – ansonsten hat „Sin Nombre“ seiner bekannten Thematik nichts wirklich Neues hinzuzufügen.

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