Mein Konto
    Main Street
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Main Street
    Von Florian Koch

    Es ist eine bewährte Praxis, ältere Filme von aktuellen Oscarpreisträgern möglichst zeitnah aus dem Archiv zu holen. Den DVD-Verkaufszahlen kann eine solche Academy-Award-Adelung schließlich nur gut tun. In dieser Hinsicht ist Colin Firth ein gutes Beispiel. Als der Preisregen für seine Rolle des stotternden Königs George VI in „The King's Speech" kein Ende nehmen wollte, wurde schnell sein nicht mehr ganz taufrisches, aber bewegendes Michael-Winterbottom-Drama „Genova" veröffentlicht. Nachschub für alle Colin-Firth-Fans gibt es jetzt mit der Wirtschaftskrisen-Aufarbeitung „Main Street" von John Doyle. Da stört es auch kaum, dass der vielschichtige Film bereits 2009 abgedreht wurde und Firth nur Teil eines prominenten Schauspielensembles ist.

    Die US-Kleinstadt Durham, gelegen im Bundesstaat North Carolina, hat schon bessere Zeiten gesehen. Die Wirtschaftskrise hat zu sinkenden Touristenzahlen und breiten Abwanderungsbewegungen geführt, die Warenhäuser sind leer, die Bevölkerung verschuldet. Selbst die alteingesessene Georgiana Carr (Ellen Burstyn) denkt daran, ihr opulentes Heim zu verkaufen. Doch plötzlich keimt unerwartet Hoffnung bei ihr auf. Ein fremder texanischer Geschäftsmann namens Leroy (Colin Firth) bietet der alten Dame an, ihre Warenhäuser für seine Fässerlagerungen zu mieten und in Durham ein großes Unternehmen aus dem Boden zu stampfen. Nur Georgianas skeptische Nichte Willa (Patricia Clarkson) ist – im Gegensatz zur Stadtverwaltung – von diesem Deal nicht begeistert. Währenddessen schlägt sich Dorfpolizist Harris (Orlando Bloom) mit ganz anderen Problemen herum. Seine Jugendliebe Mary (Amber Tamblyn) wünscht sich schon längst, dem Kleinstadtmief zu entkommen und bändelt dafür sogar mit ihrem undurchsichtigen Anwalts-Boss Howard Mercer (Andrew McCarthy) an.

    Bemerkenswert an „Main Street" ist in erster Linie der Drehbuchautor. Kurz vor seinem Tod mit 92 Jahren verfasste Pulitzer-Preisträger Horton Foote das Script zu diesem Film. Der zweifach oscarprämierte Mann gilt als einer der großen, sozial engagierten Autoren in Hollywood, verfasste die Drehbücher zu Klassikern wie „Wer die Nachtigall stört", „Comeback der Liebe" und „Von Mäusen und Menschen (Of Mice and Men)". Demzufolge wollte sich Debüt-Regisseur John Doyle, der sich bisher seine Sporen im Theatergeschäft verdiente, möglichst eng an die letzte Filmvorlage von Foote halten. Die fast schon sklavische Konzentration auf die sprachlichen Finessen des Drehbuchs werden dann auch zum Fluch und Segen des Films.

    Auf der Habenseite hat „Main Street" auf jeden Fall ein beeindruckendes Schauspieler-Ensemble, dessen Zusammenspiel in den besten Momenten an große Robert-Altman-Filme erinnert. Merkwürdig erscheint allerdings die Casting-Idee mit Colin Firth und Orlando Bloom zwei Briten für die Hauptrollen zu besetzen. Gerade in der Originalfassung fällt das beiderseitige Ringen um den nötigen US-Akzent negativ ins Gewicht. Trotz dieses Makels gelingt es Firth einmal mehr, seiner Figur nicht nur das nötige Charisma, sondern auch eine gewisse Unruhe und Verschlagenheit zu verleihen. Dabei arbeitet der Brite Leroys Angst vor mangelnder Akzeptanz in der fremden Stadt subtil heraus. Seine Figur lässt sich auch nie in ein dröges Gut/Böse-Schema pressen. In der unterschwellig angedeuteten Liebesgeschichte von Leroy mit der kratzbürstigen Willa – überzeugend verkörpert von Patricia Clarkson – kann Firths auch seinen unterkühlten Humor in den Film einbringen.

    Schwerer hat es hier Orlando Bloom, der trotz raspel-kurzen Haaren und fiesem Schnäuzer nicht so recht in die Rolle des Kleinstadtcops passen will. Die verzweifelten Anbandelungsversuche von Harris mit der Sandkastenfreundin triefen allerdings auch vor Klischees. Mit dem Holzhammer soll hier auf die Probleme der Landflucht und die Gründe für das Entstehen von Geisterstädten aufmerksam gemacht werden. Authentischer wirkt da schon Ellen Burstyn als Georgiana, die von den Einschnitten der Rezession besonders betroffen ist und mit der neuen wirtschaftlichen Schieflage überhaupt nicht klar kommt. Ihre Momente der Einsamkeit, des Hilfesuchens bei der Nichte und auch bei dem fremden „Retter" gehören zu den stimmigsten und berührendsten Momenten des Films.

    So sehr „Main Street" von der realistischen Beschreibung einer Momentaufnahme in Zeiten der US-Wirtschaftskrise und den starken Darstellern lebt, so enttäuschend fällt die Inszenierung von John Doyle aus. Statische Einstellungen, biedere Kameraperspektiven, blasse Farben und der weitgehende Verzicht auf atmosphärische, Milieu beschreibende Außenaufnahmen muss sich Doyle ankreiden lassen. Ästhetisch kommt er dabei nie über das Level von routinierten TV-Formaten hinaus. Dabei deckt sich diese formale Sterilität überhaupt nicht mit der inhaltlichen Ambition. Dramaturgisch wagt es Doyle, auf spektakuläre äußere Ereignisse zu verzichten, die Exposition lange auszudehnen und sich immer eine gewisse Sachlichkeit und Unaufgeregtheit zu bewahren.

    Dabei porträtiert er nicht nur ausgewogen und ohne Polemik die Zurückgelassenen, das andere Amerika fernab der Großstädte. Er packt noch einen Umweltaspekt in seine „Main Street" hinein, der eng mit der aktuellen Diskussionen um die Probleme der Atomkraft verzahnt ist. Denn Leroy deponiert nicht irgendeinen Müll in den Warenhäuser von Durham, sondern hochgiftige Produkte, die nur in bestimmten Behältern gelagert werden dürfen. Letztlich ist Leroy so etwas wie ein Castor-Transport-Leiter auf Reifen statt auf Schienen. Und die Frage ist dabei überall dieselbe: Wer will diesen Giftmüll überhaupt haben und wo kann man ihn entlagern? Auch Doyle weiß darauf keine Antwort, drückt sich im viel zu versöhnlichen Schlussaspekt von „Main Street" sogar regelrecht um eine diskursive Auseinandersetzung. Dennoch ist es Doyle hoch anzurechnen, dass er mit seinem Film ein Fass aufmacht, das im US-Kino bisher viel zu selten angerührt wurde.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top