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    Manhattan
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Manhattan
    Von Matthias Ball

    „Eine Kurzgeschichte über Menschen in Manhattan, die ständig aber völlig unnötig neurotische Probleme für sich aufbauen, die sie davon abhalten, sich mit den wesentlich schwerer lösbaren bedrohlichen Problemen des Universums auseinanderzusetzen." Treffender als Woody Allen in der Person des 42-jährigen Isaac Davis hier gegen Ende des Films noch einmal das Konzept von „Manhattan" resümiert, lässt es sich wohl kaum ausdrücken. „Manhattan", das ist in erster Linie die in schwarz-weißen Cinemascope-Bildern verfilmte Hommage an das Flair, den Glanz und die Kontraste seiner geliebten Heimatstadt New York. Allen, der bereits im Alter von 16 Witze für Zeitungskolumnisten und Magazine schrieb und sein Regiedebüt 1966 mit der Bond-Persiflage „What's Up, Tiger Lily?" gab, wendete sich gegen Ende der Siebziger erstmals von seinen funny movies ab und schaffte mit dem satirisch-psychoanalytischen [Der Stadtneurotiker] sowohl bei Kritik als auch Publikum den lange erhofften Durchbruch. Gleichzeitig legte der bei den Acadamy Awards vierfach ausgezeichnete Film die thematische Basis für den zwei Jahre später folgenden „Manhattan", mit dem der Exzentriker Allen ein weiteres Mal die Ängste und Schwächen des von Neurosen geplagten Bildungsbürgertums Manhattans ausleuchtete.

    Den in New York lebenden Schriftsteller und Fernseh-Autor Isaac Davis (Woody Allen) scheint das Pech verfolgt zu haben. Seine lesbische Ex-Frau Jill (Meryl Streep) plant ein prekäres Enthüllungsbuch über die gescheiterte Ehe zu schreiben und auch die Beziehung zu der erst 17-jährigen Tracy (Mariel Hemingway) läuft nicht so, wie es sich der neurotisch veranlagte und wesentlich ältere Isaac zunächst vorgestellt hatte. Zu unterschiedlich sind die Interessen, zu groß ist der Altersunterschied. Doch auch beruflich läuft bei weitem nicht alles rund: Ständig unter Erfolgsdruck und unzufrieden mit den neu aufkommenden Trends sieht sich Isaac immer mehr im Spannungsfeld zwischen zwei Generationen, in dem es ihm an Ordnung und Halt im Leben fehlt. Aus Frust kündigt er schließlich seinen Job, sucht sich eine neue Wohnung und beginnt eine unüberlegte Affäre mit der für sein künstlerisches Empfinden so gegensätzlichen Journalistin Mary (Diane Keaton), der neuen Freundin seines besten Kumpels Yale (Michael Murphy).

    Das Literatenlokal Elaine's an der noblen Upper Eastside gehört zu den typischen Treffpunkten der Intellektuellen und Künstlerszene Manhattans. Gleich in einer der ersten Szenen des Films, während eines Gesprächs mit Yale, Mary und Tracy, stellt Isaac hier die Frage, wer wohl den Mut aufbringen würde, von einer Brücke zu springen, um einen Menschen vor dem Ertrinken zu retten? Seine banale Antwort, dass er überhaupt nicht in Frage käme, weil er gar nicht schwimmen könne, hilft an dieser Stelle zwar nicht das Problem zu lösen, trotzdem lohnt es sich an diesem Punkt zu verweilen. Nicht nur weil Isaacs Antwort charakteristisch für die absurde Art seines sarkastischen Humors ist, sondern weil sie zu einem gewissen Teil auch Allens ausgeklügelte Erzählstrategie offenbart. Denn mit der Ausnahme von Tracy, die als naiver Gegenpol zu dem überaus gesprächigen und selbstverliebten Intellektuellen-Milieu fungiert, leiden alle von Allens Figuren an der Unfähigkeit zur einfachen und alltäglichen Kommunikation. Beziehungen werden nach kurzer Zeit einfach aufgelöst, indem sie buchstäblich zerredet werden – selbst der simple Small Talk auf der Straße will nicht mehr gelingen und endet in gegenseitigem Unverständnis, weil er auf viel zu abstrakter Ebene konsequent aneinander vorbei geführt wird.

    Doch die scheinbar nur oberflächlichen Wohlstandsproblemchen der Großstädter reichen in Wahrheit wesentlich tiefer und sind im Grunde nur die sinnbildliche Spitze des Eisberges einer akuten Neurose. In einer Szene steht Isaac in einer Warteschlange, vor ihm verreißen die Leute angeblich überbewertete Künstler – Ingmar Bergman, sein großes Idol, ist einer von ihnen. Was er daran hasst, ist ihre Art, das arrogante Gehabe und die Häme. Isaacs Waffe im Kampf gegen diese blasierten Phrasen und die Überheblichkeit könnte dabei kaum besser gewählt sein. Mit feinsinniger Ironie enttarnt er den vermeintlichen Kunstverstand als bloße Wichtigtuerei, auch die von Psychiatern behandelten Beziehungsprobleme seiner Freunde verkommen so zum Ergebnis einer permanenten Entschlusslosigkeit. Trotzdem bleibt die von ihm angebrachte Kritik stets ambivalent und in ihrer Ausdrucksweise subtil. Denn Isaac versucht keineswegs sich von seinem sozialen Umkreis, dessen fester Bestandteil er ist, abzugrenzen – schließlich scheitert auch er kontinuierlich am Ideal einer romantischen Beziehung. Was seine Figur für den Zuschauer letztendlich so sympathisch erscheinen lässt, ist der ständige und unüberwindbare Widerspruch zwischen seinem von Selbstzweifeln gequälten Charakter und den hochgesteckten Zielen des ambitionierten Schriftstellers. Seine Komik funktioniert dabei immer dann am besten, wenn er seine eigenen existenziellen Ängste und Sehnsüchte mit bissiger Selbstironie und Sarkasmus in Szene setzt.

    Einer der wesentlichen Charakterzüge von „Manhattan", wenn nicht sogar der dominierende, resultiert aus der unverwechselbar engen Verknüpfung zwischen der Handlung des Films und dem Stadtbild New Yorks. Bereits in den ersten Einstellungen blinkt anstelle des Filmtitels in vertikalen Großbuchstaben der leuchtende Schriftzug „Manhattan" auf. Wenige Sekunden später setzt Woody Allens Off-Stimme ein, um die Liebe seines stark autobiographisch geprägten Protagonisten über die Stadt seiner Träume in Worte zu fassen. Neben dem Setting etabliert Allen schon hier unter der Begleitung von George Gershwins nostalgisch anmutender „Rhapsody in Blue" den melancholischen und traurigen Unterton, den der Film zusammen mit seiner Komik bis zum Ende konsequent beibehält. Was folgt, ist die bis ins letzte Detail durchkonstruierte Montage von nahezu allen mit Manhattan assoziierten Motiven; angefangen beim Central Park, über das Museum of Modern Art, bis hin zur Brooklyn Bridge und der Fifth Avenue. Wie an einer Schnur entlang sind sie immer wieder in den Handlungsverlauf eingewoben, um die so einzigartige New York-Atmosphäre direkt zum Zuschauer auf die Leinwand zu transportieren.

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