Mein Konto
    Der Pate
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Der Pate
    Von Ulrich Behrens

    Es ist hell, laut, warm. Massen von Menschen singen, tanzen, lachen. Italienisch wird gesprochen, italienisch wird gelacht, italienisch wird getanzt, Männer, Frauen, Kinder toben durcheinander, essen, trinken, genießen eine Hochzeit. Nur einer steht im verborgenen Dunkel, schreitet ab und zu in die feiernde Menge und kehrt dann in seinen finsteren Raum zurück, drückt die Lamellen seines Rollos auseinander und beobachtet die Hochzeit seiner jungen Tochter Connie (Talia Shire) mit Carlo Rizzi (Gianni Russo), deretwegen alle zum Freudenfest zusammengekommen sind. Don Vito Corleone (Marlon Brando) hält Gericht, empfängt Bittsteller, die für ihr Anliegen Gefälligkeiten aller Art anbieten oder danach fragen, welcher Art sie sein sollen. Don Vito ist der Herr, nicht nur im Haus, sondern in der ganzen Welt, die Francis Ford Coppola uns in seinem nun schon 30 Jahre alten Film vorgeführt hat.

    Eine abgeschlossene Welt ist das, eine Welt für sich. Und jeder, der es wagt, in sie hinein zu dringen, ohne um Erlaubnis gefragt zu haben, wird unbarmherzig wieder aus ihr heraus katapultiert, wie der Fotograf, der sich erdreistete, Don Emilio Barzini (Richard Conte), einen anderen Clan-Boss der New Yorker Mafia abzulichten. Don Vitos älterer Sohn Santino, genannt Sonny (James Caan), komplimentiert ihn unsanft hinaus, zerstört seinen Fotoapparat und schmeißt ihm ein paar Dollarnoten vor die Füße, als ob er vor ihm ausspucken würde. Letzteres geschieht dem FBI-Agenten, der vor dem Haus der Corleones im Wagen sitzt. „Der Pate“ zeigt diese Welt als eine Welt für sich – so, als ob es nichts anderes gäbe als den obersten „Richter“ Don Vito, die Dons der anderen vier Mafia-Clans in New York – und das war’s. In diesen ersten Szenen des Films wird schon die gesamte Struktur dieser eigenartigen Welt aufgedeckt. Wir erlebten gerade Sonny, einen leicht zu erregenden Mann. Auch sein Bruder Fredo (John Cazale) ist anwesend und der jüngste der drei Brüder Michael (Al Pacino), der als Soldat – mit Orden ausgezeichnet – gerade aus dem zweiten Weltkrieg gekommen ist, der in die Geschäfte des Clans nicht verwickelt ist und seine Geliebte Kay (Diane Keaton) zur Hochzeit mitgebracht hat.

    Kay weiß nichts über die Machenschaften des Clans, die Geschäfte, die Brutalität und das gegenseitige „Nehmen und Geben“, das System von „Gefälligkeiten“. Michael erzählt ihr eine Geschichte. Sein Vater hatte einem Mann einen Vertrag vorgelegt und ihm für dessen Unterschrift 10.000 Dollar angeboten. Der Mann jedoch verweigerte die Vertragsunterzeichnung. Am nächsten Tag unterzeichnete er und bekam 1.000 Dollar. Kay ist erstaunt und fragt nach. Don Vito hatte dem Mann gesagt, entweder seine Unterschrift oder sein Gehirn würden den Vertrag zieren. Don Vito fragt nur einmal. Er bittet nur einmal. Von der Antwort hängt zumeist ab, ob die Gefragten ein langes Leben haben werden oder nicht. Don Vito hält Hof. Bittsteller erscheinen während der Hochzeit, der Sänger Johnny Fontane (Al Martino) zum Beispiel, dem ein Regisseur die Hauptrolle in einem Film verweigert hat. Als Johnny zu heulen anfängt, braust Don Vito auf, ein Mann heule nicht. In dieser Welt der Männer, die Gordon Willis so exzellent fotografiert hat, zählt vor allem der Panzer, den man zugelegt hat oder eben nicht, die Panzerung des Körpers. Don Vito hilft dem Sänger. Als der Regisseur sich weiterhin weigert, ihm die Hauptrolle zu geben, findet er eines Morgens den abgeschnittenen blutigen Kopf seines teuren Rennpferdes in seinem Bett. Johnny erhält die Rolle.

    Ein anderer Mann, dessen Tochter vergewaltigt wurde, erzählt Don Vito, er sei zunächst, wie es sich für einen anständigen Bürger gehört, zur Polizei gegangen. Was Don Vito ihm darauf sagt, enthüllt schon das gesamte System dieser streng hierarchisch strukturierten, einer eigenen Legalität unterworfenen Sphäre von „Gefälligkeiten“: „Warum sind Sie nicht zuerst zu mir gekommen? Was habe ich eigentlich getan, dass Sie mich respektlos behandeln? Wenn Sie in Freundschaft zu mir kommen würden, würde dieser Abschaum, der ihre Tochter zerstörte, diesen Tag bereuen. Und wenn ein ehrlicher Mann wie Sie sich Feinde machen sollte, dann wären sie auch meine Feinde. Und dann würden diese Feinde Sie fürchten.“

    Don Vito hat noch einen Sohn, einen angenommenen, den er wie einen seiner Söhne behandelt, seinen Rechtsbeistand Tom Hagen (Robert Duvall in einer Paraderolle), einen ruhigen, sehr gelassen wirkenden Mann, der nie aufbraust oder aus der Fassung gerät, der sein Geschäft versteht, Don Vitos rechte Hand und Berater. Es ist eine merkwürdige Atmosphäre in diesem Raum, in dem der Pate seine Pläne schmiedet, seine Entscheidungen verkündet. Nein, der Pate ist nicht das, was man gewöhnlich unter einem Diktator versteht. Der Pate ist mitfühlend, familiär, ja die Mafia schwört auf die Familie, er ist nett zu denen, die ihm behilflich sind, und vergisst nicht, was sie für ihn getan haben. Die Mafia, das ist eben auch eine soziale Versorgungseinrichtung nach ganz eigenen Mustern und Regeln. Der Pate als Zentrum handelt nach der Maxime „Ich mache ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann.“ Die Versorgung, das Aufgehobensein funktioniert für die, die sich danach richten, und ihre Familien. Wehe, allerdings, wenn sich die Zeiten ändern. „Der Türke“ Sollozzo (Al Lettieri) handelt mit Drogen. Die Mafia-Clans wollen auf dieses lukrative Geschäft umsteigen, vor allem Don Barzini – nur Don Vito nicht. Er sieht die Gefahr, dass Familie, Loyalität und Respekt, wie er diese Dinge versteht, durch den Einstieg in das Drogengeschäft zerstört werden. Eine der Höhepunkte des Films ist die Szene, in der er dies vor den anderen Mafia-Bossen vertritt und begründet (ein phantastischer Marlon Brando). Sein Sohn Sonny sieht das anders. Es kommt, zu was es kommen muss: zum Krieg zwischen den Mafia-Familien. Ausgerechnet Sonny wird zum Opfer dieses Krieges – neben den vielen anderen. Don Vito wird schwer verletzt. Und Michael? Er ist die tragische Figur in diesem Spiel. Er entwickelt sich vom nicht in die Geschäfte seines Vaters verwickelten Sohn, vom passiven Zuschauer zur zentralen Figur der Mafia, der einmal ruchloser sein wird als sein Vater.

    Es hat Shakespeare’sche Qualitäten, wie Coppola mit einem exzellenten Al Pacino als tragischem Held diese eigentümliche Welt der Mafia aufdeckt, ihre Widersprüchlichkeiten, Brüche, ihr Wertesystem, ihre spezifische Legalität außerhalb der „normalen“ Strukturen, die Verbindungslinien zwischen staatlicher Legalität und Mafia-System veranschaulicht usw. Frauen spielen in dieser Struktur keine Rolle. Sie entscheiden nichts. Von Don Vitos Frau ist nicht einmal der Name bekannt (sie heißt Carmella). Nach dem Mord an Sollozzo und einem korrupten Polizeichef (Sterling Hayden) muss sich Michael in Sizilien verstecken. Dort heiratet er Appolonia (Simonetta Stefanelli). Offenbar liebt er sie, aber warum hat er Kay verlassen? Warum kehrt er zu Kay zurück, nachdem Appolonia einem Bombenanschlag zum Opfer gefallen ist? Welche Bedeutung hatte diese Heirat? Keine? Vielleicht die, dass sie zeigt, wie brüchig das Festhalten an dem „Wert“ Familie in der Mafia ist. Frauen, Kinder, aber auch Männer sind in dieser Struktur mehr oder weniger Funktion, nicht so sehr lebende Menschen mit eigenen Bedürfnissen, die sich vor allem aus Zuneigung zusammentun. Männliche Kinder haben das Erbe der Väter anzutreten, Frauen haben dafür zu sorgen, dass sie diese Erben bekommen und groß ziehen. Das Geschäft ist der zentrale Wert, dem letztlich auch die Familie untergeordnet ist.

    Summa summarum: „Der Pate“ ist ein wegweisender Film. Auch wenn Thema dieses Films die Welt der Mafia ist, geht es doch nicht um Dinge, die in der „anderen“ Welt nicht vorkommen würden – im Gegenteil. Trotz des eigentümlichen Charakters dieses „sozialen Systems“ ist es zugleich ein Produkt der „einen Welt“, natürlich mit nachhaltig wirkenden Traditionen und historischen Bezügen aus Sizilien, aber eben nicht im Sinne eines streng abgeschotteten Bereichs. Coppola hat als erster und bis heute für mich unerreicht durch andere Filme, die „Der Pate“ nach sich zog, diese Welt inszeniert und nahe gebracht. Im zweiten Teil aus dem Jahr 1974 konnte sich Coppola in dieser Hinsicht noch steigern – aber dazu ein anderes Mal.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top