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    Die Frau mit den 5 Elefanten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Frau mit den 5 Elefanten
    Von Jonas Reinartz

    Svetlana Geier ist „Die Frau mit den 5 Elefanten“. Etwas verständlicher ausgedrückt: Die inzwischen 85-jährige Übersetzerin hat die fünf großen Romane Fjodor Dostojewskijs (in Fachkreisen „die 5 Elefanten“ genannt), darunter „Die Brüder Karamasow“ und „Verbrechen und Strafe“ (so der Titel ihrer Neuübersetzung von „Schuld und Sühne“), vom Russischen ins Deutsche übertragen. Ein beachtliches Renommee und etliche Auszeichnungen waren der Lohn. Der Regisseur Vadim Jendreyko, bekannt durch „Bakshi“, seine eindringliche Studie eines kriminellen Thai-Boxers, hat sich nun näher mit dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit auseinandergesetzt und einen bewegenden Dokumentarfilm über sie realisiert. Geduldig begleitet er sie durch ihren Alltag und auf einer Reise in die Ukraine, den Ort ihrer Jugend, an den sie seit ihrer Flucht nie mehr zurückgekehrt war.

    Svetlana Geier hat nicht nur die Sonnenseite des Lebens erfahren: 1923 in Kiew geboren, musste sie als Jugendliche erleben, wie ihr Vater an den Folgen einer Folterhaft im Rahmen von Stalins Säuberungsaktionen starb und ihre beste Freundin beim Massaker von Babij Jar ermordet wurde. Während der Besatzungszeit arbeitete sie als Dolmetscherin und emigrierte schließlich nach dem Rückzug der Wehrmacht aus Kiew mit ihrer Mutter nach Deutschland, wo sie zwar zunächst interniert wurde, dank diverser Helfer aus der Administration jedoch freikam und ein Humboldtstipendium erhielt. Seit 1957 ist sie nun als Übersetzerin und Dozentin tätig.

    Es ist faszinierend, Geier bei der Arbeit in ihrem Freiburger Haus über die Schulter zu schauen. Nachdem sie ein Buch in einem jahrelangen Prozess nahezu auswendig gelernt hat, setzt sie sich mit einer Assistentin zusammen und diktiert ihre Übersetzung, die dann mittels einer alten Olympia-Schreibmaschine in Schriftform gebracht wird. Man hat es hier nicht mit einer verbitterten Frau mit dem Drang nach Weltflucht zu tun. Trotz der etlichen Schicksalsschläge ist rasch ersichtlich, dass sie es sich im Reich der Sprache bestens eingerichtet hat und für ihren Beruf lebt. Diese Liebe zur Sprache, scheinbar ihr Lebenselixier, wirkt ansteckend. Zudem gibt es auch einige humorvolle Sequenzen, die einem Bekannten Geiers, Herrn Kloth, geschuldet sind. Der Musiker liest getippte Passagen vor, die anschließend hinsichtlich der Sprachmelodie und Formulierung noch einmal überarbeitet werden. Dabei nimmt er seine Aufgabe sichtlich ernst und äußert die eigene Meinung vehement, was des Öfteren zu amüsanten kleinen Auseinandersetzungen zwischen den beiden führt. Man muss sich nicht zwingend für die Übersetzung literarischer Texte im Allgemeinen interessieren, um die Schilderungen aus dem Alltag dieser Profession angemessen goutieren zu können.

    Hinzu kommt ein erfrischend unprätentiöser Stil, in dem hier über zweifelsohne hochkomplexe Arbeitsprozesse gesprochen wird. Eine tragische Zäsur erhält Geiers Leben – und damit auch der Film – durch den Unfall ihres Sohnes Johannes, der sich während seiner Tätigkeit als Werklehrer lebensgefährlich mit einer Säge verletzt. Als Reaktion darauf unterbricht sie ihre Arbeit, um Johannes täglich Essen zuzubereiten und sich um ihn zu kümmern. An die Zeit, in der sie ihren von der Haft geschwächten Vater pflegen musste, erinnert, erklärt sie sich bald darauf bereit, eine Einladung nach Kiew anzunehmen. Der Aufenthalt in der Heimat ist allerdings nicht sonderlich aufschlussreich, wenn auch visuell gelungen eingefangen. Jederzeit ist die leise Inszenierung dem Sujet angemessen. Aus der Nähe, aber nie die nötige Distanz vermissend, rückt Jendreyko das Objekt seines Interesses in den Fokus. Kontinuierlich führt er durch Archivaufnahmen den geschichtlichen Kontext ein, präsentiert alte Fotographien seiner Protagonistin und kommentiert behutsam aus dem Off. Mithilfe dieser Fragmente entsteht sukzessive das klarer werdende Bild eines verschlungenen, singulären Lebensweges.

    Fazit: Mit „Die Frau mit den 5 Elefanten“ ist Regisseur Vadim Jendreyko ein stimmiges und respektvolles Porträt einer starken Frau gelungen. Nicht nur für eingefleischte Verehrer russischer Literatur ein echter Geheimtipp.

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