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    Zeit des Zorns
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Zeit des Zorns
    Von Björn Becher

    In Peter Bogdanovichs famosem Debütfilm Targets - Bewegliche Ziele nimmt ein Durchschnittsbürger mit einem Gewehr die Autofahrer auf einem Highway ins Visier. Und drückt schließlich ab. In Rafi Pitts' (It's Winter – Zemestan) im Wettbewerb der 60. Berlinale gezeigtem „Zeit des Zorns“ gibt es eine ähnliche Szene. In beiden Filmen ist der Schuss ein politisches Signal. Doch wo Bogdanovich spannendes Genrekino macht – und nebenbei einen Abgesang auf einen alten Filmstar liefert – bleibt der neueste Film des iranischen Regisseurs Pitts diffus. Vieles wird angedeutet, nichts wird ausgesprochen. Das politische Drama ist phasenweise höchst interessant, aber Pitts strapaziert mit seiner indirekten und offenen Erzählweise auch die Geduld seiner Zuschauer.

    Nach seiner Haftstrafe findet Ali (Rafi Pitts) nur einen Job in der Nachtschicht und hat wenig Zeit seine Frau Sara (Mitra Hajjar) und seine fast siebenjähige Tochter Saba (Saba Yaghoobi) zu sehen. Als die Gattin am Rande einer Demonstration erschossen wird und die Tochter verschwindet, streift der passionierte Hobbyjäger Ali auf der Suche nach dem kleinen Mädchen durch die Großstadt Teheran. Die Polizei ist keine Hilfe und lässt ihn nur warten. Als Saba schließlich tot aufgefunden wird, explodiert die Zeitbombe Ali. Mit seinem Gewehr platziert er sich auf einer Anhöhe über den Stadtautobahnen. Als eine Polizeistreife vorbeifährt, drückt er ab und tötet die Wageninsassen. Doch deren Kollegen kommen ihm schnell auf die Spur. Zwei Polizisten (Ali Nicksaulat, Hassal Ghalenoi) gelingt es schließlich, ihn bei dichtem Nebel in einem Wald zu verhaften. Doch auf der Jagd hat man sich verirrt. Während sie zu dritt und ohne Orientierung im Wald festsitzen, bricht unter den Gesetzeshütern ein Streit darüber aus, wie sie mit dem Polizistenmörder verfahren sollen…

    „Zeit des Zorns“ besteht aus mehreren höchst unterschiedlichen Teilen. Einer deutlich zu langen Einführung folgt Alis Suche nach seiner Tochter, die ihrerseits unglaublich zäh gestaltet ist. Die Eskalation der Gewalt mit anschließender Verfolgungsjagd über eine neblige Bergstraße ist dann ein rasantes Zwischenspiel, bevor es zum Psychoduell unter den Polizisten im Wald kommt. Jeder dieser Teile hat seine interessanten Seiten, die weit über den Film hinaus zur Auseinandersetzung einladen. Dass Pitts dies alles aber recht beliebig aneinandergereiht hat und über weite Strecken mit größtmöglicher Langsamkeit erzählt, erschwert den Zugang zum Film und zu seinen Themen. Alis Warten auf Hilfe bei den Behörden entspricht so auf paradoxe Weise dem Warten des Zuschauers auf den Fortgang des Films.

    Gesprochen wird in „Zeit des Zorns“ meist nur im Radio. Die Propaganda des iranischen Regimes ist auf diese Weise ständig präsent, aber sie dringt nicht bis zum Protagonisten durch. Auch ohne große Psychologisierung und obwohl Ali sich auf einem recht eindeutig motivierten Rachefeldzug befindet, deutet sich doch auch ein chaotisches Innenleben an. So geht er kurz vor dem Amoklauf noch einmal bei seiner Mutter (Malak Khazai) vorbei: Ihre Enkeltochter könne ihr Geburtstagsgeschenk nicht abholen, sie sei bei einer Freundin feiern. Es ist fast so, als hätte Pitts mit einem Gemisch von staatlicher Allgegenwart und individueller Ohnmacht symbolisch die Turbulenzen der iranischen Wahlen beschwören wollen.

    Regisseur Raffi Pitts, der zuvor noch nie vor der Kamera gestanden hatte, verriet im Pressegespräch, dass er selbst am ersten Drehtag die Rolle des Ali übernommen hat, weil sich der eigentliche Hauptdarsteller als unzuverlässig erwiesen habe. Die Folge ist eine erhöhte Identifikation des Regisseurs mit seinem Protagonisten. Der Rückschluss von den Handlungen der Hauptfigur auf die Haltung des Filmemachers liegt nahe. Alis Amoktat als Appell zum Widerstand gegen den iranischen Herrschaftsapparat? Sicher eine mögliche von vielen Deutungsarten. Klar ist: Der mit zwölf Jahren aus dem Iran nach Großbritannien und später nach Frankreich emigrierte Pitts versteht seinen Film als Affront gegen die Regierung in seinem Geburtsland. Die Zustände, die er hier porträtiert, unterstreichen das: Die unbewegliche Bürokratiemaschinerie, die Ali bei der Suche nach seiner Tochter gar nicht helfen will, der Polizist, der seine Amtsposition lieber heute als morgen los wäre und ein anderer, der sie korrupt ausnutzt – all das spricht diesbezüglich eine deutliche Sprache.

    Fazit: „Zeit des Zorns“ ist ein ungemein schwieriger, aber keinesfalls uninteressanter Film. In seiner Gesellschaftskritik schwankt Regisseur Pitts zwischen platt und überdeutlich auf der einen sowie verschlüsselt und schwer nachvollziehbar auf der anderen Seite. Dazu ist der Film zum Teil so zäh erzählt, dass man sich geradezu nach einer Vorspultaste sehnt, anderes wiederum ist überaus faszinierend. Um diesem Film etwas abzugewinnen, ist einige Geduld nötig. Aber es lohnt sich durchaus, sich darauf einzulassen.

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