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    Der Tag des Spatzen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Der Tag des Spatzen
    Von Sascha Westphal

    Kino, direkt aus den Schlagzeilen – das ist Philip Scheffners Dokumentation „Der Tag des Spatzen“. Doch wer nun eine sensationalistische Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Reizthemen oder gar reißerische Bilder aus einem aktuellen Brennpunkt des Weltgeschehens erwartet, liegt trotzdem gänzlich falsch. Der 1966 geborene Medienkünstler, Musiker und Filmemacher schaltet sich mit seinem Film zwar direkt in die Debatte um den deutschen Afghanistan-Einsatz ein. Nur hat er dafür eine audio-visuelle Strategie gewählt, die sich den klassischen Eskalationsdramaturgien der Medien wie auch der Politik konsequent widersetzt. Jeder hat seine Meinung zum Engagement der Bundeswehr in Afghanistan, natürlich auch Philip Scheffner. Nur drängt er sie dem Betrachter nicht auf. Seine der Ästhetik und dem Blickwinkel des Naturfilms verpflichteten Bilder aus der deutschen wie der niederländischen Provinz sind Dokumente der Suche nach einer anderen Perspektive. Auch sie geben Antworten, aber zunächst einmal stellen sie ganz neue Fragen.

    Am 15. November 2005 berichteten die deutschen Zeitungen unter anderem von zwei Ereignissen des vorherigen Tages, die für Philip Scheffner zum Ausgangspunkt seiner filmischen Suche nach dem Krieg und seinen Zeichen werden sollten. Die eine Nachricht vermeldete den Tod eines Bundeswehrsoldaten. Er war in Kabul einem Selbstmordattentat zum Opfer gefallen. Die andere Meldung betraf einen Spatz, der am 14. November 2005 in einer Halle im niederländischen Leeuwarden erschossen worden war. Sie sollte weltweit für Schlagzeilen und für Empörung sorgen. Schließlich musste der Vogel im Interesse einer großen Fernsehshow, dem „Domino Day“, sterben. Dass beides am selben Tag geschah, war natürlich ein Zufall, aber eben einer mit Symbolcharakter. Dazu passt dann auch, dass zum einen von Leeuwarden aus niederländische Militärflugzeuge in Richtung Afghanistan starten und zum anderen die Vogelpopulation am Hindukusch die Militärstrategen der Bundeswehr beschäftigt.

    Philip Scheffner, der schon als Kind während der Sommerferien an der Ostsee Vögel beobachtet hat, nähert sich der Frage danach, ob sich Deutschland nun im Krieg befindet, mit den Mitteln und den Augen eines Ornithologen. Zusammen mit seinem Kameramann Bernd Meiners ist er zu verschiedenen Bundeswehrstützpunkten gereist und filmt dort meist die angrenzenden Wald- oder Erholungsgebiete. Das Vogelschutzgebiet an der Ostsee, in dem er als Kind so viel Zeit verbracht hat, liegt zwischen einem Truppenübungsplatz, einem Segelhafen und einem Badestrand.

    Diese extreme Nähe von militärischen Anlagen und idyllischen Urlaubszielen ist eine der Konstanten in „Der Tag des Spatzen“. Orte, die sofort mit Krieg und Kampf assoziiert werden, grenzen direkt an Orte der Ruhe und des Friedens – auf den ersten Blick scheint nichts weiter dabei zu sein: Im Lauf der Jahre haben sich Anwohner wie Urlauber an diese Form der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen gewöhnt. Aber der Einsatz in Afghanistan nimmt dem, was so lange selbstverständlich war, seine Unschuld. Mit einmal lassen sich Krieg und Frieden, militärische Aktionen und zivile Alltäglichkeiten nicht mehr so einfach voneinander trennen.

    Wie schwierig mittlerweile die Gemengelage ist, davon zeugen auch die Reaktionen der Bundeswehr und des Verteidigungsministeriums auf Philip Scheffners Filmprojekt. „Der Tag des Spatzen“ dokumentiert neben Landschaften und ihrer Vogelpopulation auch die Versuche des Filmemachers, mit der deutschen Armee ins Gespräch zu kommen. Nur hat die Bundeswehr nahezu jede Kooperation verweigert. So blieb Scheffner nur der Blick von Außen auf die Kasernen und Truppenübungsplätze, und selbst der wurde nicht allerorten geduldet. Die Bundeswehr ist auf ihr Image bedacht, in Zeiten von Kampfhandlungen noch mehr als sonst. Dass ihre Verantwortlichen nicht einmal die neutrale Sicht eines Naturfilmers als opportun empfinden, verrät letztlich mehr über die gegenwärtige Situation, als jedes direkte Gespräch mit Soldaten es könnte. Wenn schon Scheffners essayistischer Ansatz auf so viel Misstrauen stößt, dann spricht letztlich alles dafür, dass sich Deutschland tatsächlich im Krieg befindet. Was das wiederum bedeutet… – dazu gibt diese Dokumentation einige hochinteressante Denkanstöße.

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