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    Im August in Osage County
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Im August in Osage County
    Von Christoph Petersen

    Diese Sippe hat nicht nur eine einzige Leiche, sondern gleich ein ganzes Massengrab im Keller. All die Geheimnisse, Lügen, Affären und Abgründe der Familie Weston würden wohl selbst bei einer mexikanischen Seifenoper für ein ganzes Jahr reichen. Aber „Im August in Osage County“ ist keine Telenovela, sondern ein pulitzerpreisgekröntes Theaterstück, in dem Tracy Letts („Bug“, „Killer Joe“) unter der melodramatischen Oberfläche auch einige profunde Wahrheiten über Familien, Beziehungen und Abhängigkeiten freischaufelt. Obwohl Letts auch das Drehbuch für die starbesetzte Hollywood-Verfilmung seines Stücks selbst geschrieben hat, gräbt Filmemacher John Wells nun weit weniger tief. Dafür gelingt ihm allerdings etwas anderes: Mit der Unterstützung seines grandios-spiellaunigen All-Star-Ensembles formt der „Company Men“-Regisseur aus dem deprimierenden Mix aus Alkoholismus, Pillensucht, Krebs und Inzest eine sehr schwarze und dabei überraschend unterhaltsame Tragikomödie.

    Eigentlich haben sich Beverly (Sam Shepard) und Violet Weston (Meryl Streep) perfekt arrangiert: Sie lässt ihn saufen, er sagt nichts gegen ihr ständiges Pillenschlucken. Doch dann verschwindet Beverly plötzlich und Violets Töchter Barbara (Julia Roberts), Ivy (Julianne Nicholson) und Karen (Juliette Lewis) kehren samt Anhang (unter anderem Ewan McGregor, Abigail Breslin, Dermot Mulroney) nach Osage County zurück, um ihrer Mutter in dieser schweren Zeit beizustehen. Aber statt dankbar zu sein, trauert die verbitterte, ständig betäubte Violet auf ihre ganz eigene Weise und liefert sich mit allen heftige Auseinandersetzungen. In der brütenden Hitze Oklahomas folgen Familienessen der etwas anderen Art, permanente Schuldzuweisungen, unerwartet gelüftete Geheimnisse, das Aufbrechen seit Jahren schlummernder Konflikte, ein kalter Entzug, unbeabsichtigter Inzest und jede Menge zerschlagenes Porzellan…

    Wo sich in vielen Familiendramen erst im großen Finale die zuvor nur schwelenden Konflikte entladen, hat „Im August in Osage County“ alle paar Minuten einen solchen Ausbruch zu bieten. John Wells scheint einfach kein Freund von allzu viel Subtilität zu sein, stattdessen setzt er lieber auf die großen Effekte. Aber das kann er sich in diesem Fall eben auch erlauben: Was leicht in Richtung Kitsch und/oder Karikatur hätte abgleiten können, wird dank der grandios-geschliffenen Dialoge und der fantastischen Darsteller, die selbst die extremsten Exzesse und lautesten Szenen scheinbar mit Leichtigkeit bändigen, zur unterhaltsam-treffenden Familien-Groteske. Durch die Akzentverschiebung weg von der thematischen Schwere hin zum schwarzen Humor hat sich Wells wohl selbst aus dem Oscar-Rennen gekegelt, denn natürlich haben die Produzenten in Richtung Academy Awards geschielt, als sie dem Projekt grünes Licht erteilten. Aber diejenigen Zuschauer, die nicht wie etliche Oscar-Wähler verbohrt auf vermeintliche Wichtigkeit und Bedeutungsschwere schielen, sondern sich ganz einfach an kurzweilig-bissigen Ensemble-Festspielen erfreuen können, werden ihm dieses „Opfer“ sicher danken.

    Und damit kommen wir zu denen, die hier durchaus noch Chancen auf Oscar-Nominierungen haben: den Schauspielern. „Im August in Osage County“ hat eine Besetzung zum Niederknien, die ihr Publikum nicht eine Sekunde enttäuscht! Im Mittelpunkt steht natürlich das Duell der Oscar-Preisträgerinnen Julia Roberts (für „Erin Brockovich“) und Meryl Streep (schon drei Siege), das auf allerhöchstem Niveau unentschieden endet. Aber weil sowieso jeder davon ausgegangen ist, dass Streep die Steilvorlagen, die ihre tablettenabhängige, tobsüchtige, nahezu haarlose Figur ihr gibt, anstrengungslos verwandeln würde, gilt es besonders die ebenso hervorragenden Ergänzungsspieler hervorzuheben: Egal ob Benedict Cumberbatch („12 Years A Slave“) als von seiner Mutter untergebutterter Schöngeist, Chris Cooper („American Beauty“) als einfacher, aber prinzipienstarker Familienvater oder Juliette Lewis („Kap der Angst“) als quietschig-naives Männeranhängsel, hier reiht sich eine unvergessliche Leistung an die andere. Und obwohl ihr Part im Vergleich zum Stück deutlich zurechtgestutzt wurde, liefert eine Schauspielerin am Ende die differenzierteste aller Darbietungen, die nicht erst seit „Im August in Osage County“ zu den am meisten unterschätzten Darstellerinnen ihrer Generation gezählt werden muss: Margo Martindale („Justified“) als besorgt-furienhafte Tante Mattie Fae.

    Fazit: Je schwärzer diese abgründige Tragikomödie wird, desto mehr drehen die großartigen Schauspieler auf.

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