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    Angels' Share - Ein Schluck für die Engel
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Angels' Share - Ein Schluck für die Engel
    Von Robert Cherkowski

    Ken Loach und die Filmfestspiele von Cannes pflegen seit mittlerweile mehr als 30 Jahren ein inniges Verhältnis. Seit 1979 ist der Brite ein gern gesehener Gast an der Côte d'Azur, er durfte sich dort schon über so manchen Preis freuen und 2006 erhielt er für „The Wind that Shakes the Barley" sogar die Goldene Palme. Zuletzt jedoch schien ihm das Festival nicht mehr sonderlich viel Glück zu bringen: „Route Irish", sein bisher letzter Festivalbeitrag von 2010, wurde von der Kritik ignoriert und vom Publikum völlig übersehen, Loach drohte fast in Vergessenheit zu geraten. Doch zumindest in diesem Fall rostet alte Liebe nicht und der Regisseur bleibt ein Stammgast auf den roten Teppichen von Cannes, in guten wie in schlechten Zeiten. Mit dem Sozialdrama-Einbruchskrimi-Klamauk „The Angels‘ Share" ist er 2012 wieder mit von der Partie. Und auch wenn er mit seiner neuesten Regie-Arbeit nicht an einstige Großtaten anschließen kann, darf man sich diesmal über so manchen Lacher freuen.

    Es ist nicht das erste Mal, dass der Glasgower Rowdie Robbie (Paul Brannigan) vor dem Haftrichter steht. Längst ist die Zeit reif für eine längere Gefängnisstrafe. Da seine Freundin Leonie (Siobhan Reilly) jedoch kurz vor der Entbindung steht und die Vaterschaft seinem Leben eine entscheidende Wendung geben könnte, drückt der Richter ein letztes Mal ein Auge zu und verknackt Robbie zu gemeinnütziger Arbeit. Dort gerät der Läuterungswillige an den engagierten Sozialarbeiter Harry (John Henshaw), der ihm bei der Aufarbeitung der eigenen Gewalttätigkeit, und alter Fehden sowie beim Umgang mit Leonies krimineller Familie hilft. So ist es auch Harry, der Robbies Talent als potentieller Whisky-„Sommelier" erkennt und fördert. Der hat derweil bereits den Plan ausgeheckt, einen sagenumwobenen und sündhaft teuren Sammlerwhisky zu stibitzen und bei einem zahlungskräftigen Käufer zu verhökern. Wenn seine Straffälligen-Crew nur nicht so verdammt vertrottelt wäre...

    „The Angels‘ Share", der Anteil der Engel, das ist ein Begriff aus dem Whisky-Jargon. Er bezieht sich auf die zwei Prozent des schottischen Nationalgetränks, die sich im Laufe der jahrelangen Lagerung sprichwörtlich in Luft auflösen, und steht hier ironisch auch für den Whisky-Raub. Wäre der bizarre Film nicht so komisch, müsste man sich empören über einen Filmemacher, der auf den ersten Blick kaum zu wissen scheint, was er da eigentlich erzählen will. So beginnt Loach seinen Film als Komödie über Sozialstunden und fächert ein beklopptes Ensemble schriller Unterschichtenvögel auf, die sich nach allen Regeln der Kunst zum Affen machen. Speziell der grenzdebile Albert (Gary Maitland) hat dabei die Lacher auf seine Seite.

    Neben diesem Slapstick britischer Prägung entspinnt Ken Loach in „The Angels‘ Share" jedoch auch ein Sozialdrama, wenn Robbies unstetes und eigentlich hoffnungsloses Leben sowie seine Vater-Sohn-Beziehung zu Harry ins Zentrum gerückt wird, bevor auch dieser Handlungsstrang zugunsten einer leichtgewichtig-albernen Diebstahl-Komödie beiseitegelassen wird. Der Film wirkt zuweilen, als habe Loach mitten im Dreh plötzlich gemeint, sozialrealistische Kitchen-Sink-Dramen gäbe es schon genug – und als sei er dann impulsiv in Richtung Räuberklamotte abgebogen, ohne diesen Weg ursprünglich überhaupt in Betracht gezogen zu haben. Seine dramaturgische Sprunghaftigkeit wäre zum Haareraufen – doch sein Konzept funktioniert. Und bevor man sich so recht erklären kann, wieso, krümmt man sich wieder vor Gelächter. So wirr und doch so gut.

    Fazit: Ken Loachs „The Angels‘ Share" kommt daher wie eine liebevolle Mischung aus „Trainspotting" und der Tom-Gerhardt-Klamotte „Voll normaaal" – und funktioniert. Ein erstaunlicher Film von einem erstaunlichen Filmemacher.

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