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    Shut Up And Play The Hits
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Shut Up And Play The Hits
    Von Tim Slagman

    Konzertfilme stehen vor demselben Dilemma wie Fernsehaufnahmen von Theateraufführungen: Das Ereignis, das sie beschreiben, erhält seinen wesentlichen Reiz von der unmittelbaren Präsenz, vom Dabeisein und bei einem Popkonzert nicht zuletzt: vom Mitmachen. Da kann die Lautstärke im Kinosaal noch so groß sein, aus den Sitzen hauen wird es keinen der Anwesenden. Der Auftritt, den Dylan Southern und Will Lovelace für „Shut Up And Play The Hits" dokumentiert haben, war allerdings kein gewöhnlicher: Am 2. April 2011 spielte die Dance-Punk-Band LCD Soundsystem unter ihrem Sänger und Mastermind James Murphy ihr letztes Konzert, und das vor 20.000 Zuschauern im New Yorker Madison Square Garden. Die Regisseure haben Murphy in den Tagen davor begleitet, sie hatten Zutritt hinter die Kulissen und wurden Zeugen der leisen Abwicklung in den Tagen danach. In den besten Szenen gelingt ihnen ein faszinierendes Künstlerporträt, doch letztlich steht stets die Musik des LCD Soundsystems im Zentrum.

    James Murphy ist 41 Jahre alt, die Haare graumeliert, auch ein unübersehbares Bäuchlein leistet er sich – und einen Mops, der ihn auf vielen seiner Wege begleitet. Ins Büro zum Beispiel, zum Gespräch mit seinem Manager und zu einem Interview mit einem Popjournalisten, der Murphy sehr abstrakte, grundlegende Fragen zum Leben als Künstler und zum minutiös durchgeplanten Ende seiner Band LCD Soundsystem stellt. Auf die Bühne darf der Mops aber nicht mit, eine volle Halle jubelt Murphy da zu, und für sie singt er noch mal alle Hits der vergangenen Jahre, von „Losing My Edge" bis zu „New York I Love You But You're Bringing Me Down" – was für ein Abgang einer legendären Band! Am Tag danach ein Katerfrühstück, auch der Mops hat keinen Hunger. Die Ausrüstung, Gitarren, Keyboards, alles wartet noch in einer Garage und muss abgeholt werden. Und ein letztes gemeinsames Essen steht an, im In-Viertel Williamsburg.

    LCD Soundsystem sind keine Chartstürmer, die Band bedient eher ein – wenn auch beachtliches – Nischenpublikum und genau für diese Anhänger ist „Shut Up And Play The Hits" in erster Linie gemacht. Die Filmemacher widmen einen Großteil der Laufzeit der huldvollen Inszenierung des Auftritts, Zeitlupenbilder ekstatisch zuckender oder vor Rührung weinender Fans inklusive. Die kritische Distanz weicht neugierigem Interesse, da ist eine Interviewfrage wie „Was war ihr größter Misserfolg?" schon geradezu bohrend. Murphy druckst herum, dann antwortet er sinngemäß: „Vielleicht wird das einmal mein größter Misserfolg sein: Ich bin nicht sicher, ob meine persönlichen Beweggründe es rechtfertigen, auf dem Höhepunkt des Erfolgs alles hinzuschmeißen." Eine Familie gründen, Kaffee kochen – es sind in der Tat höchst persönliche, beinahe eigensinnige Gründe, die Murphy für den Rückzug angibt. Er sei als Frontmann einer Band rapide gealtert und wolle nicht eines Tages aufwachen und bemerken, dass er nun schon 50 sei, sagt er an anderer Stelle.

    James Murphy - übrigens auch federführend am Soundtrack von Noah Baumbachs Slacker-Komödie „Greenberg" beteiligt – war nicht irgendein Teil der Band, sondern er hat die Alben beinahe im Alleingang eingespielt, nur live holte er sich Verstärkung dazu. Da ist es besonders treffend, wenn Dylan Southern und Will Lovelace, die gemeinsam bereits die Britpop-Doku „No Distance Left to Run" realisierten, in den einsichtsvollsten Momenten des Films den Künstler als einsamen Mann zeigen. In seinem sonnendurchfluteten Apartment wacht Murphy am Morgen nach der Show auf, kein weißes Pulver ums Bett, kein Groupie im Arm, nur ein Mops im Hungerstreik und – immerhin – ein läutendes Handy. Die Regale sind voller Schallplatten, ansonsten ist alles makellos aufgeräumt. In seiner Darstellung des verblüffend bürgerlichen Leben von James Murphy könnte „ Shut Up and Play the Hits" eine Dekonstruktion der üblichen Rockstarklischees sein. Aber dieser Murphy, auch das wird deutlich, ist in vieler Hinsicht ein faszinierender Einzelfall.

    Fazit: „Shut Up And Play The Hits" ist ein absolutes Muss für Fans von LCD Soundsystem, die den Film als Konzertmitschnitt inklusive hochinteressanter persönlicher Bekenntnisse des Bandleaders genießen können. Daneben ist der Film aber auch das immer wieder überraschende Porträt eines Individualisten abseits der Schubladen des Musik-Business.

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