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    Nach der Revolution
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Nach der Revolution
    Von Robert Cherkowski

    Im Februar 2011 wurde in Ägypten mit weitestgehend friedlichen Mitteln ein brutales Regime abgesetzt – Präsident Mubarak musste sich dem Willen seines Volkes beugen und das Land verlassen. Der arabische Frühling gemahnte auch den Rest der Welt daran, wozu eine engagierte Protestbewegung in der Lage sein kann. Für kurze Zeit schien alles möglich. Dann entwickelte sich das freiheitliche Lauffeuer zum Schwelbrand, während der alte Machtpoker zwischen westlichen Interessen und fundamentalistischen Ideologen weiterging. In den zahllosen Diskussionen darüber, was nun zu tun sei und ob die scheinbar so plötzliche Entstehung der Bewegung etwas mit Facebook zu tun habe, vergaß man etwas viel Wichtigeres: die einfachen Menschen, deren Leben ins Chaos gestürzt wurde und die sich innerhalb weniger Wochen gegen ihren Willen einem Ausnahmezustand ausgesetzt sahen. Yousry Nasrallah erzählt in seinem Drama „Nach der Revolution" eine dieser Geschichten, eine aus dem Herzen Ägyptens. Dafür ist es zwar dringend an der Zeit. Doch der Film entpuppt sich weniger als aufscheuchendes Politkino, sondern vielmehr als gestelzte Parabel, die besser gemeint als gelungen ist.

    Auf Drängen der belagerten Mubarak-Regierung wird eine Reiterstaffel aus vom Tourismus abhängigen und bildungsfernen Landstrichen zusammengestellt, die bei einer Demonstration auf die Aufständischen gehetzt werden soll. Die brutalen Ausschreitungen gehen als „Schlacht von Camel" in die Geschichte der ägyptischen Revolution ein. Einer der Reiter ist der darbende Familienvater Mahmoud (Bassem Samra), der sich zornig und verblendet auf die Seiten von Mubaraks Schergen geschlagen hat. Nun, „nach der Schlacht", kämpft er mit der Schande, für die „falsche Seite" gestritten zu haben. Auch seine Kinder leiden darunter, sie werden in der Schule für die Sünden des Vaters gemobbt. Als sich zwischen dem einfach gestrickten Mahmoud und der aufgeklärten Großstadt-Journalistin Reem (Mena Shalaby), die über die Armut in den brachliegenden Tourismus-Zweigen berichtet, eine Liebelei anbahnt, offenbaren sich die Klüfte zwischen arm und reich, Stadt und Land, Tradition und Fortschritt, die nicht nur Mahmoud, sondern das gesamte Land nach der Revolution zerreißen...

    Knapp ein Jahr nach der Revolution steht ein engagierter Film zum Thema im Wettbewerb von Cannes. Anhand einer auf große Gefühle ausgelegten Geschichte will Yousry Nasrallah die komplizierte Mentalität im Ägypten der Gegenwart ergründen und dabei sowohl jungen, progressiven Städtern in Umsturzlaune als auch Traditionalisten ein Forum bieten, ohne dabei staubtrockenes Problemkino zu liefern. Kann er mit diesem ambitionierten Vorhaben an den Publikums- und Kritikererfolg von Asghar Farhadis iranischem Oscar-Gewinner „Nader und Simin - Eine Trennung" anschließen? Ganz klar: Nein. Zu tief verliert sich Nasrallah in didaktischen und politisch seichten Planspielen. Dabei fängt der Film durchaus stark an: Die bunte Optik ist ansprechend, der Schnitt dynamisch, das Tempo hoch und das Schauspiel energisch.

    Nasrallah präsentiert uns ein interessantes Figurenkabinett auf, das die Verhältnisse in Ägypten einfühlsamer auf den Punkt bringt als zehn Bücher von Peter Scholl-Latour. Im Mittelpunkt stehen Menschen aus verschiedenen sozialen Klassen, mit unterschiedlicher Herkunft und Bildung, die nicht wissen, wie mit den historischen Veränderungen umzugehen ist. Und diese Protagonisten sehen keineswegs so aus wie die in unseren Breiten aus Film und Fernsehen bekannten Klischee-Ägypter. Rim ist eine moderne, aufgeschlossene Heldin, die nichts mit den Kopftuchmädchen vom Dienst zu tun hat. Und auch Mahmoud ist alles andere als ein strenger Patriarch, sondern ein sensibler Mann, dessen Überforderung bestens nachzuvollziehen ist. Frauen dürfen stark sein und Männer endlich Schwäche zeigen: Ägypten 2012 ist kompliziert und von vielen moralischen Fragen gezeichnet, auf die es keine einfachen Antworten gibt.

    Von der Gewalt der Unterdrücker hält Nasrallah ebenso wenig wie von blinder Siegerjustiz oder von den Bonzen, die sowohl unter Mubarak, als auch unter der neuen demokratischen Regierung ihre ewig gleichen, miesen Geschäfte machen und ihre Mitbürger ausnutzen. Nasrallah macht klar, was sich alle gleichermaßen wünschen: Normalität, Gewaltverzicht und einen Lebensstandard, der auch als solcher bezeichnet werden kann. Nun darf wer ein Leinwand-Panoptikum zur Lage einer ganzen Nation entwerfen will, in der dann auch noch alle Seiten zu Wort kommen, ruhig ein paar Drehbuch-Kapriolen schlagen, aber darüber verkommt die Geschichte zur Seifenoper, die mit mehr Hin und Her, Herz und Schmerz, Lust und Leid vollgestopft ist als jede handelsübliche Telenovela. Das lenkt nicht nur zuweilen vom eigentlichen Thema ab, sondern wird immer wieder zur regelrechten Geduldsprobe.

    Die Dialoge sind so grob geschrieben, dass die vielen schwierigen Fragestellungen des Films darüber doch wieder banalisiert werden. Ständig wird der Zeigefinger erhoben und es wird erklärt, was denn nun das Problem dieser oder jener Schicht wäre und wer über welchen Schatten zu springen hätte. Statt Konflikte in ihrer Komplexität im Raum stehen zu lassen, wird mit dem didaktischen Zaunpfahl gewinkt. Selbst ein Wutanfall Mahmouds, in dem er voller emotionaler Erregung das bittere Los der eigentlich unpolitischen Landbevölkerung anklagt, wirkt zu forciert, um tatsächlich mitzureißen. Dass Nasrallah Mut und Biss hat, steht außer Frage. Doch das genügt nicht, denn auch das ambitionierteste Projekt braucht eine seriöse Präsentation, um Menschen zu erreichen und über einen unterhaltsamen Kino-Abend hinaus zur Beschäftigung anzuregen.

    Fazit: „Nach der Revolution" ist ein bedeutsamer, aber nicht wirklich überzeugender Film, der in zwei Stunden die Chancen und Risiken der ägyptischen Revolution erklären soll, wobei sich Regisseur und sich dabei erzählerisch und intellektuell vergaloppiert.

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