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    Um jeden Preis
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Um jeden Preis
    Von Andreas Staben

    „Gewinnen ist alles“ – diese fragwürdige Maxime ist ein amerikanischer Mythos, der auch in Hollywood-Filmen immer wieder befeuert wird. Messbarer Erfolg und gesellschaftliche Anerkennung sind in den USA noch stärker als anderswo miteinander verknüpft, der unbedingte Glaube an den Leistungs- und Konkurrenzgedanken scheint geradezu in der nationalen DNA zu liegen. Dass es in dem ständigen Wettbewerb allerdings keineswegs fair und mit gleichen Chancen für alle zugeht, das ist ein durchgängiges Motiv in den Filmen des Regisseurs Ramin Bahrani. In seinem Debüt „Man Push Cart“ erzählt der in North Carolina geborene Sohn iranischer Eltern etwa von einem pakistanischen Immigranten, der sich notdürftig über Wasser hält, indem er auf den Straßen von Manhattan Bagel verkauft. Auch in dem Waisenkind-Drama „Chop Shop“ sowie in „Goodbye Solo“ über einen senegalesischen Taxifahrer in Winston-Salem und seinen lebensmüden Passagier setzte Rahmani diese sozialrealistische Erkundung harter amerikanischer Schicksale fort. In seinem vierten langen Spielfilm „Um jeden Preis“ nimmt der Regisseur den Gewinner-Mythos nun ganz ausdrücklich ins Visier. Aus der Geschichte eines Farmers im Mittleren Westen und seines rebellierenden Rennfahrersohnes macht er ein kraftvoll-archaisches Familien-Drama vor dem Hintergrund radikaler wirtschaftlicher Umwälzungen, das vor allem durch die beiden Hauptdarsteller Dennis Quaid und Zac Efron beeindruckt.    

    Die Whipples sind bereits seit drei Generationen erfolgreiche Mais-Farmer in Iowa. Mittlerweile befindet sich das Unternehmen in den Händen von Henry Whipple (Dennis Quaid), der nach außen mühsam die Fassade des erfolgreichen Geschäftsmanns aufrechterhält. Dabei ist der Familienbesitz mit hohen Hypotheken belastet und sein ärgster Konkurrent beim Saatgutverkauf, Jim Johnson (Clancy Brown), hat ihm gerade einen wichtigen Kunden abgejagt. Auch privat hat Henry Sorgen. Sein Vater, der alte Patriarch Cliff (Red West), macht ihm das Leben schwer, seine Frau Irene (Kim Dickens) weiß von Henrys Affäre mit Meredith Crown (Heather Graham) und sein Sohn Dean (Zac Efron) würde am liebsten gar nicht mit ihm reden. Der aufmüpfige Sprössling ist nicht am Familiengeschäft interessiert und verfolgt stattdessen eine Karriere als Rennfahrer. Als der Industrieriese Liberty schließlich untersuchen lässt, ob Henry das vom Konzern hergestellte gentechnisch optimierte Saatgut wiederverwendet hat, was ebenso verlockend wie verboten ist, gerät der in echte Bedrängnis. Dann bekommt der Farmer in Nöten auch noch einen unerwarteten Anruf von Dean und anschließend ist endgültig nichts mehr wie es vorher war…

    „Expandier oder stirb“: Diesem unbarmherzigen Motto müssen sich die Farmer und Agrarunternehmer im Mittleren Westen, der Kornkammer Amerikas, stellen. Schon in der Auftaktszene zeigt uns Bahrani die Auswüchse des wirtschaftlichen Drucks auf alteingesessene Familien und traditionelle Farmer: Henry und der widerstrebende Dean besuchen die Beerdigung eines vermeintlichen Bekannten und machen der trauernden Familie noch am offenen Grab ein einigermaßen unmoralisches Angebot für das 80-Hektar-Erbe. Das wird zunächst mit Verachtung quittiert, aber schließlich doch angenommen. Ähnlich rücksichtslos geht es zu, wenn sich Henry und sein Widersacher Jim gegenseitig die Kunden abspenstig machen. Auch Betrug, Verleumdung und sonstige Mauscheleien gehören zum normalen, weil geradezu unvermeidbaren Geschäftsgebaren. Gegenüber den Megakonzernen im Hintergrund sind selbst die etwas größeren Fische wie Henry letztlich machtlos, sodass der nicht einmal seinem in Not geratenen Weggefährten Byron (Chelcie Ross) einen Hilfsarbeiter-Job anbieten zu können glaubt. Dabei wirkt Bahranis gesamte dramatische Konstruktion mit ihren einseitigen Aktualitätsbezügen, ihren spiegelbildlichen Figurenkonstellationen (so ist Deans größter Rivale der Sohn von Henrys schärfstem Konkurrenten) und ihren schicksalsschweren Zuspitzungen zuweilen sehr schematisch, hat zugleich aber alle Vorzüge erzählerischer Klarheit.

    Während sich die globale Ökonomie rasend schnell verändert, halten die harten Männer von Iowa an ihren Familienwerten und ihren alten Überzeugungen fest – und damit hat das tragische Drama trotz seiner Aktualitätsbezüge etwas von der urwüchsigen Kraft eines klassischen Westerns oder eines Tennessee-Williams-Stücks wie „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ mit seinem Vater-Sohn-Konflikt. Auch in „Um jeden Preis“ sorgt die Kluft zwischen den Generationen für den erzählerischen Sprengstoff. Henry leidet unter dem Druck seines Vaters Cliff, er selbst wiederum rollt seinem ältesten Sohn Grant (Patrick W. Stevens) buchstäblich den roten Teppich aus. Doch die erhoffte Rückkehr des einstigen Footballstars bleibt aus und so muss er sich zunehmend mit dem ungeliebten zweiten Sohn Dean auseinandersetzen. Wie diese beiden sich aneinander abarbeiten, das ist der dramatische Kern des Films und es wird durch die Darsteller zu einer fesselnden Studie über die Macht und den Fluch von Familienbanden. Regisseur Bahrani bleibt bei seiner ersten etwas aufwändigeren Produktion dem zurückhaltenden und realistischen Stil seiner vorigen Filme treu, hat dabei aber nicht nur ein genaues Auge für die staubigen Pisten und die öden Weiten Iowas, sondern auch für all die Nuancen und Facetten, die ihm die Schauspieler anbieten.

    Hinter Dennis Quaids („The Day After Tomorrow“) oft erprobter Schelmenmiene zeigt sich immer öfter Unbehagen (etwa bei den Versuchen jovial-männlich auf Dean zuzugehen), dann zeichnet sich hinter dem gequälten Lächeln irgendwann die pure Überforderung ab. Aber er zwingt sich weiterzumachen: Das Wohl der Familie geht vor. Dean macht sich dagegen zunächst fast unsichtbar und lehnt sich meist sprachlos gegen den Vater auf, nur am Steuer seiner Rennwagen lässt er so richtig die Sau raus. Aber am Ende haben die beiden gleichermaßen verbohrten Männer mehr gemeinsam als nur dieselbe Gespielin. Zac Efron zeigt einmal mehr (zuletzt in „The Paperboy“), dass er sich von dem Teenagerschwarm aus „High School Musical“ längst emanzipiert hat und lässt als jugendlicher Kino-Rebell nicht nur wegen des Rollennamens durchaus an James Dean denken und noch mehr an den ebenfalls rasenden Paul Newman in „Hud - Der Wildeste unter Tausend“. Als es hart auf hart kommt, werden Vater und Sohn schließlich von der Mutter und Ehefrau in ihrem zweifelhaften Tun bestärkt: Die Familie schließt die Reihen und wenn beim Autorennen Freunde und Feinde, Partner und Konkurrenten, Ehefrauen und Geliebte, Stars und Außenseiter in Eintracht die Nationalhymne singen, ehe sie wieder die Ellenbogen ausfahren, dann wird etwas von dem geheimnisvollen Kitt, der die Gemeinschaft namens Amerika zusammenhält, sicht- und spürbar.  

    Fazit: „Um jeden Preis“ ist ein schauspielerisch beeindruckendes und thematisch reichhaltiges Familien-Drama mit einer Prise „Der Tod eines Handlungsreisenden“, dem der letzte dramaturgische Feinschliff fehlt.

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