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    Mein liebster Feind
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Mein liebster Feind
    Von Carsten Baumgardt

    Ihre Zusammenarbeit ist längst ein Mythos des deutschen Kinos. Der visionäre Münchner Regisseur Werner Herzog und sein Alter Ego Klaus Kinski schufen zwischen 1972 und 1987 fünf gemeinsame Werke („Aguirre, der Zorn Gottes“, „Nosferatu - Das Phantom der Nacht“, „Woyzeck“, „Fitzcarraldo", „Cobra Verde“), die als Klassiker des Autorenfilms in die Annalen eingingen. Zum Schluss waren die beiden Vorzeige-Exzentriker so zerstritten, dass sich ihre künstlerischen Wege trennten. 1999 zieht ein versöhnlicher Herzog mit der brillanten Dokumentation „Mein liebster Feind“ Bilanz über die gemeinsamen Jahre mit dem 1991 verstorbenen Kinski.

    In fahlem Licht steht er auf der Bühne der Berliner Deutschlandhalle. Dämonisch, gefährlich, mystisch. Gesucht wird Jesus Christus...: „Ich bin nicht der offizielle Kirchenjesus, der unter Polizisten, Bankiers, Richtern, Henkern, Offizieren, Kirchenbossen, Politikern und ähnlichen Vertretern der Macht geduldet wird. Ich bin nicht euer Superstar", brüllt Kinski seinem Publikum zu. Buhrufe. Als sich Widerstand regt, wütet er weiter: „Halt die Schnauze." Ein Zuschauer kommt auf die Bühne, wirft ein, dass Jesus damals sicherlich nicht gesagt hat: „Halt deine Schnauze." Kinski wütend: „Nein, er hat nicht gesagt 'Halt die Schnauze´, er hat eine Peitsche genommen und ihm in die Fresse gehaun, das hat er gemacht, du dumme Sau!" Kurz vor „Aguirre" war Kinski 1971 mit seiner Jesus-Tournee gescheitert und kam mit frischer Wut im Bauch zu den Dreharbeiten in Peru. Dieses explosive Intro eröffnet Werner Herzogs „Mein liebster Feind" und zeigt Kinski in seinem ureigensten Element.

    Bereits als Herzog, 1942 als Werner H. Stipetic in München geboren, 13 Jahre alt ist, kreuzen sich die Wege der beiden Protagonisten das erste Mal. Der Zufall will es, dass Kinski sich für drei Monate in der gleichen Pension in München einquartiert wie Herzog, der dort in ärmlichen Verhältnissen mit seiner Mutter und drei Brüdern lebt. Der offen ausbrechende Wahnsinn, der zum Markenzeichen Kinskis geworden ist und ihn sein Leben lang begleitete, ist auch schon damals zu spüren. Mit einem Kamerateam besucht Herzog seine alte Bleibe und berichtet, dass Kinski sich für zwei Tage schreiend im Badezimmer eingeschlossen und es in dieser Zeit nach und nach in seine Einzelteile zerlegt hat.

    Herzog bereiste für „Mein liebster Feind“ noch einmal die prägnantesten Drehorte und erzählt seine und Kinskis Geschichte vor diesem Hintergrund. Dabei zeichnet er nicht nur ein Porträt Kinskis, sondern gewährt auch Einblick in die eigene Seele. Die unglaubliche Explosivität, die die Zusammenarbeit dieser manischen Künstler auszeichnete, wird Schritt für Schritt nachvollziehbar. Ein wenig amüsant ist die Betrachtungsweise Herzogs, seinen Star als komplett Wahnsinnigen hinzustellen. Das war mit Sicherheit auch der Fall, aber der ehemalige Filmkritiker, Regisseur, Autor und Produzent Herzog stand Kinski in seinen Methoden und vor allem in seinem besessenen Streben nach absoluter Perfektion oft in wenig nach.

    Ob der Regie-Berserker Herzog nun noch Exzentriker oder schon Egomane (wie Kinski) war, muss jeder selbst definieren. An ausgeprägter Selbstdarstellung hat es auch Herzog nie gemangelt. Über die Dreharbeiten seines monumentalen Dschungel-Epos’ „Fitzcarraldo“ ließ er zwei Dokumentarfilme drehen (u.a. Les Blanks mit dem BAFTA-Award ausgezeichneter „Burden Of Dreams“). Am Set nahm Herzog nie Rücksicht auf eventuelle Gefahren und die natürlich gegebenen Grenzen seiner Crew. Er trieb sie immer bis zum Äußersten. Besonders bei „Fitzcarraldo", aber auch bei „Aguirre, der Zorn Gottes“, brachte ihn das in die Kritik. Von einigen Seiten wurde Herzog eine unmenschliche Behandlung der peruanischen Ureinwohner vorgeworfen. Dieser (im Endeffekt nicht haltbaren) Vorwürfe zum Trotz bleibt er immer sympathisch in seiner Besessenheit. Zumal er als Regisseur unantastbar ist. Die visionäre Bildsprache, die seine Filme prägte, ist bis heute unerreicht im deutschen Kino.

    Neben dem Besuch alter Schauplätze lässt Herzog in „Mein liebster Feind“ Weggefährten von damals zu Wort kommen und von den Erfahrungen während des Drehs und der Zusammenarbeit mit Kinski berichten. Eva Mattes („Woyzeck“) ist die einzige, die ausschließlich Positives über Mad Klaus zu erzählen hat. Aber auch Claudia Cardinale („Fitzcarraldo") gibt sich mittlerweile ausgesprochen versöhnlich. Das andere, das wahnsinnige Gesicht Kinskis, zeigt Herzog natürlich ebenfalls. Am Set zu „Fitzcarraldo" musste der Produktionsleiter Walter Saxer dran glauben. Wegen einer Nichtigkeit fängt Kinski an zu toben und schreit seinen bedauernswerten Kontrahenten samt übelsten Beschimpfungen zusammen. Neben dem nicht zu leugnenden Unterhaltungswert dieser Szene verdeutlicht sie aber auch das Dilemma Kinskis. Er war ein begnadeter Schauspieler, der mit einem einfachen Gesichtsausdruck jeden an die Wand spielen konnte, aber seine Zornesausbrüche machten es Regisseuren rund um den Erdball nahezu unmöglich, längere Zeit mit ihm zusammenzuarbeiten. Kein anderer Filmemacher brachte es auch nur annährend auf fünf Werke mit Kinski. Die von Natur aus ruhigen indianischen Darsteller und Statisten haben Kinskis Ausbrüche nie verstanden. Sie boten Herzog sogar während der Dreharbeiten zu „Fitzcarraldo“ allen Ernstes an, Kinski für ihn zu töten. Er lehnte ab, weil er ihn noch brauche – doch manchmal bereue er diese Entscheidung schon...

    Dass zwischen Herzog und Kinski eine wahre Hassliebe - einer konnte nicht ohne den anderen - entstand, verdeutlicht „Mein liebster Feind“ nachdrücklich. Neben der Furie wird auch der charmante Kinski gezeigt. In einer Szene umschmeichelt ihn ein Schmetterling, der nicht mehr von ihm ablassen will. Die kindliche Begeisterung, die auch sein Spiel in „Fitzcarraldo" auszeichnete, ist ebenso Teil seiner Persönlichkeit, die porträtiert wird. Nach fünf gemeinsamen Filmen trennten sich 1987 die Wege der beiden exzessiven Künstler. Schon bei „Cobra Verde“ merkte Herzog, dass sein Ausnahmeschauspieler ausgebrannt war.

    Am 23. November 1991 starb der in Danzig geborene Kinski im Alter von 65 Jahren im kalifornischen Lagunitas an Herzversagen, nachdem er 1989 noch als Regisseur und Hauptdarsteller sein von der Kritik verrissenes Wunschprojekt „Paganini“ verwirklicht hatte. Herzog, der 2002 mit „Invincible“ ein Comeback versuchte, arbeitet seitdem intensiver als früher im Dokumentarfilm-Bereich (u. a. „La Soufriere“, „Gasherbrum - Der leuchtende Berg“, „Rad der Zeit“). Ein schauspielerisches Äquivalent für Kinski hat er nie mehr gefunden... „Mein liebster Feind“, der für den Europäischen Filmpreis nominiert wurde und beim Filmfestival in Sao Paulo den Publikumspreis gewann, dokumentiert in charmanter, packender Weise die künstlerische Zweckehe des Gespanns Herzog/Kinski, zeichnet aber gewiss kein geschöntes Bild. Dass der Film auch nebenbei ungewollt zum Selbstporträt Herzogs wird, ist ihm nachzusehen. Wer etwas anderes erwartet hat, versteht den Filmemacher nicht...

    Preise und Nominierungen der Herzog/Kinski-Filme:

    Aguirre, der Zorn Gottes (1972)

    - Cesar-Awards 1976: Bester ausländischer Film (Nominierung)

    - French Syndicate Of Cinema Critics 1976: Bester ausländischer Film (Preisträger)

    - Deutscher Filmpreis 1973: Beste Kamera (Preisträger Thomas Mauch)

    - National Society Of Film Critics Award 1977: Beste Kamera (Preisträger Thomas Mauch)

    Nosferatu - Das Phantom der Nacht (1978)

    - Academy Of Science Fiction, Fantasy & Horror Films 1980: Beste Kostüme; Bester ausländischer Film (Nominierungen)

    - Berlinale 1979: Silberner Bär für bestes Produktionsdesign (Preisträger Henning von Gierke); Goldener Bär (nominiert: Werner Herzog)

    - Deutscher Filmpreis 1979: Filmpreis in Gold für Klaus Kinski als bester Schauspieler

    Woyzeck (1978)

    - Filmfestival Cannes 1979: Beste Nebendarstellerin (Preisträgerin Eva Mattes); Goldene Palme (Nominierung für Werner Herzog)

    - Gilde des deutschen Arthouse-Kinos 1981: Guild Film Award in Silber für Werner Herzog

    Fitzcarraldo (1982)

    - BAFTA-Awards 1983: Bester ausländischer Film (Nominierung)

    - Filmfestival Cannes 1982: Beste Regie (Preisträger Werner Herzog); Goldene Palme (Nominierung für Werner Herzog)

    - Deutscher Filmpreis 1982: Filmpreis in Silber (Preisträger Werner Herzog)

    - Golden Globes 1983: Bester ausländischer Film (Nominierung)

    - Gilde des deutschen Arthouse-Kinos 1984: Guild Film Award in Gold für Werner Herzog

    - San Sebastian International Film Festival 1982: OCIC-Award für Werner Herzog

    Cobra Verde (1987)

    - Bayrischer Filmpreis 1988: Produzentenpreis für Lucki Stipetic und Werner Herzog; Bester Sound (Preisträger Milan Bor)

    Mein liebster Feind (1999)

    - Europäischer Filmpreis 1999: Beste Dokumentation (Nominierung für Werner Herzog)

    - Sao Paulo International Film Festival 1999: Zuschauerpreis für Werner Herzog

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