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    Nairobi Half Life
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Nairobi Half Life
    Von Kevin Huber

    Im Jahre 2008 gründeten Tom Tykwer und seine Frau Marie Steinmann zur Unterstützung der afrikanischen Filmindustrie die Initiative One Fine Day Films. Zwei Jahre später wurden 57 Teilnehmer aus fünf afrikanischen Ländern zu Workshops eingeladen, in denen von Drehbuch bis Regie alle Bereiche der Filmproduktion unterrichtet wurden. Am Ende des Seminars wurden die jeweils besten Teilnehmer aus den einzelnen Bereichen ausgewählt, um gemeinsam einen Film zu produzieren. Das Ergebnis ist das in Suaheli, Kikuyu, Englisch und Straßenslang gedrehte Drama „Nairobi Half Life" und es ist nicht nur angesichts seiner Entstehungsgeschichte bemerkenswert. Die filmischen Vorbilder für den jungen Regisseur David „Tosh" Gitonga sind offensichtlich und auch wenn „Nairobi Half Life" weder über die brutale Authentizität und die erzählerischen Ambitionen von Fernando Meirelles‘ „City Of God" noch über den träumerischen, bildgewaltigen Eskapismus von Danny Boyles „Slumdog Millionär" verfügt, so ist die Tatsache, dass der kenianische Oscar-Beitrag in einem Atemzug mit diesen beiden Meisterwerken genannt werden kann, bereits ein erstaunlicher Triumph.

    Der in der kenianischen Provinz aufgewachsene Mwas (Joseph Wairimu) hat einen Traum: Er möchte Schauspieler werden. Zu diesem Zweck bricht er nach Nairobi auf, wo er bereits bei seiner Ankunft auf dem harten Boden der Tatsachen landet, als er beraubt wird und unschuldig im Gefängnis landet. Dort lernt er den jungen Kriminellen Oti (Olwenya Maina) kennen, der ihn unter seine Fittiche nimmt und ihn in die Welt der Diebe einführt. Seinen Traum gibt Mwas indes nicht auf und ergattert eine Rolle in einem sozialkritischen Theaterstück. Doch den Wechsel zwischen den beiden Existenzen als Krimineller und Schauspieler zu meistern, wird bald zur immer größeren Herausforderung.

    Die Geschichte, die in „Nairobi Half Life" erzählt wird, ist in ihren Grundzügen weit älter als das Kino selbst. Hier wird einmal mehr die „Vom Tellerwäscher zum Millionär"-Fabel über den Traum vom sozialen Aufstieg variiert. Sich in diesem Genre nicht in Klischees und Naivitäten zu verheddern, ist schwierig, doch dieses Problem umgeht Regisseur Tosh Gitonga über weite Strecken allein schon durch seinen aufregenden Drehort. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich sind in Nairobi überdeutlich, der Kontrast zwischen den überfüllten, heruntergekommenen Slums und edlen Wolkenkratzern spricht Bände und muss von Gitonga nicht extra betont werden. Vielmehr verbindet er vielfältige Eindrücke aus der kenianischen Metropole zu einem packend-authentischen Stadt-Porträt.

    Dass es in Nairobi mit seiner Korruption und einer extrem hohen Kriminalitätsrate deutlich rauer zugeht als in der Provinz muss der anfangs gutmütige, etwas naive Mwas schmerzhaft erfahren. Die größte Stärke von „Nairobi Half Life" ist, dass diese Verhältnisse nicht beschönigt werden: Diebstahl, Verrat, Prostitution, ein korrupter Polizeiapparat und blutige Banden-Auseinandersetzungen werden glaubhaft in die Handlung integriert, das Leben als Krimineller in ärmlichen Verhältnissen überzeugend als geradezu alternativlos skizziert. Mwas ist bald hin- und hergerissen zwischen dem Dasein in Armut und Gewalt und der greifbaren Aussicht auf ein besseres Leben. Am Ende wandelt sich „Nairobi Half Life" dann zunehmend von einem schlichten Aufsteiger-Märchen zu einem mitreißenden, wenn auch im Finale etwas plakativen Appell für soziale Gerechtigkeit.

    Bei allem Engagement ist „Nairobi Half Life" nicht frei von Schwächen. Die erste Filmhälfte leidet ein wenig unter genrebedingter Formelhaftigkeit, manchem hölzernen Dialog und der ein oder anderen unausgegorenen Szene. Doch diese kleinen Einwände verblassen angesichts der selbstbewussteren und gewagteren zweiten Hälfte. Einen rundum positiven Eindruck hinterlässt dabei Hauptdarsteller Joseph Wairimu mit seiner sympathischen, natürlichen Leinwandpräsenz – er hat durchaus das Zeug zu einer internationalen Karriere. „Nairobi Half Life" steht derweil symbolisch für die aufstrebende kenianische Filmindustrie und zeigt, dass man auch in Ostafrika international konkurrenzfähige Produktionen auf die Beine stellen kann.

    Fazit: Von kleinen inhaltlichen Schwächen abgesehen hat das Debüt des kenianischen Regisseurs Tosh Gitonga mit seiner Mischung aus sentimentalem Aufsteiger-Märchen und authentischer Sozial-Studie gute Chancen, zu einem internationalen Publikumsliebling zu werden.

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