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    Beasts Of No Nation
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Beasts Of No Nation
    Von Björn Becher

    In den vergangenen Jahren hat Netflix bereits mit eigenproduzierten Serien wie „House Of Cards“ oder „Orange Is The New Black“ für Aufsehen gesorgt und die Fernsehlandschaft verändert. Jetzt tritt der Streamingdienst endgültig auch in die direkte Konkurrenz zu den Kinos: Nachdem das kalifornische Unternehmen zunächst hauptsächlich mit einigen exklusiv präsentierten Dokumentationen wie dem oscarnominierten „Virunga“ in Erscheinung trat, folgt mit „Beasts Of No Nation“ nun der erste profilierte Spielfilm, der in einem Großteil der Welt (unter anderem auch in Deutschland) nicht in den Lichtspielhäusern zu sehen ist, sondern nur auf Netflix. Eine Ausnahme gibt es in den USA: Dort läuft das Kindersoldaten-Drama zusätzlich in ausgewählten Kinos – und zwar um die formalen Voraussetzungen für die Oscar-Verleihung 2016 zu erfüllen. Die Netflix-Verantwortlichen haben für ihren Einstieg in den neuen Geschäftsbereich mit Bedacht ein prestigeprächtiges Projekt gewählt und es wird kolportiert, dass sie bereit waren, zwölf Millionen Dollar für die Verleihrechte der Verfilmung von  Uzodinma Iwealas Roman „Du sollst Bestie sein!“ hinzublättern. Und tatsächlich ist der von zwei herausragenden Darstellern getragene „Beasts Of No Nation“ ganz unabhängig von der Verwertungsplattform ein bemerkenswerter Film - das frühe Oscar-Getuschel ist durchaus nicht abwegig. Zwar schleichen sich gerade gegen Ende der 137 Minuten Laufzeit ein paar Längen ein, aber insgesamt verbindet Regisseur Cary Joji Fukunaga („Jane Eyre“) ästhetischen Anspruch und inhaltliche Wucht zu einer mitreißenden Erzählung.

    In einem namenlosen westafrikanischen Land, das von einem Bürgerkrieg geplagt wird, hat Agu (Abraham Attah) das Glück, von dem Morden nicht viel mitzubekommen. Der zwölfjährige Junge lebt in einem Dorf außerhalb der Kampfzone. Der Krieg ist dort eigentlich nur präsent durch die im Dorf ankommenden Flüchtlinge, um die sich vor allem Agus Vater (Kobina Amissah-Sam) kümmert. Doch eines Tages rücken die Kampfhandlungen näher. Der Vater will die Familie in Sicherheit bringen, doch in den Autos ist nur noch Platz für die Mutter (Ama K. Abebrese) und die kleine Schwester (Vera Nyarkoah Antwi), nicht aber für Agu und seinen älteren Bruder (Francis Weddey). Kurze Zeit später sind die Soldaten der Regierung da und halten die Dorfbewohner für Unterstützer der Rebellen. Nur Agu entkommt mit Glück der Massenhinrichtung. Ziellos irrt er durch die umherliegenden Wälder … bis er den Weg der Armee eines charismatischen Kommandanten (Idris Elba) kreuzt. Der hat viele junge Männer und noch viel mehr Kinder um sich geschart. Bald ist Agu nicht nur Teil dieser mordend durchs Land ziehenden Rebelleneinheit, sondern entwickelt auch ein immer innigeres Verhältnis zu dem Anführer.

    Vor „Beasts Of No Nation“ inszenierte Cary Joji Fukunaga die gesamte erste Staffel der gefeierten HBO-Serie „True Detective“ mit Matthew McConaughey und Woody Harrelson. Schon dort setzte er mutig auf eine starke Stilisierung,  die in einer gefeierten Action-Szene am wirkungsvollsten zur Geltung kam. In „Beasts Of No Nation“  folgt der Filmemacher als Regisseur, Autor und Chef-Kameramann in Personalunion einem ähnlichen Ansatz, der hier durchaus ein Wagnis darstellt: Er kleidet seine drastisch-realistische Geschichte nicht in reduziert-nüchterne Bilder, sondern orientiert sich eher an Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“, wo die Schrecken des Vietnam-Kriegs optisch opulent in Szene gesetzt und von Opernklängen begleitet wurden. In „Beasts Of No Nation“ putscht nun der namenlos bleibende Kommandant seine Kindersoldaten vor der Erstürmung einer Brücke mit einem Tanz auf. Das Feuer und die Freude, die in dieser Szene aufgebaut werden, erstrecken sich noch über das anschließende Kriegsmassaker, das dabei selbst Züge eines martialischen Tanzes bekommt. Der Zuschauer wird gleichsam mit in den Rauschzustand versetzt, dem sich Agu in diesem Moment hingibt, und versteht dadurch besser, warum dieser eben noch so verängstigte Junge, schießend, tötend und jubelnd durch die Straßen zieht. Diese Erzählstrategie wird beim Angriff auf ein Dorf auf die Spitze getrieben. Hier steht Agu tatsächlich unter Drogen und erneut versetzt uns  Fukunaga in die Perspektive des Jungen: Das Gras ist auf einmal rot und an seiner Seite zeigen sich wilde Fratzen.

    Cary Fukunaga versetzt uns mitten ins oft grausige Geschehen und verzichtet auf die objektivierende oder erklärende Außenperspektive: Die westlichen UN-Beobachter, die kurzzeitig zu sehen sind, fahren nur im Hintergrund an dem Kindersoldatentrupp vorbei und sind in die entgegengesetzte Richtung unterwegs. Dieses Konzept geht auch deshalb auf, weil die beiden zentralen Schauspieler sich gegenseitig zu Höchstleistungen treiben. Agu, der einmal sogar einen Kopf mit der Machete spaltet, bleibt in der feinfühligen Darstellung durch Newcomer Abraham Attah selbst in den grausamsten Momenten eine zutiefst menschliche Figur. Ihr steht mit dem grausamen Kommandanten ein charismatischer Führer gegenüber, der für Agu bedrohlicher Feind und liebender Vater zugleich ist: „Luther“-Star Idris Elba löst diese Widersprüche als einziges einem größeren Publikum bekanntes Mitglied der Besetzung auf beeindruckende Weise auf – die Ambivalenz wird bei ihm zum Normalzustand. Die Figur könnte auch ein Sektenoberhaupt sein, die Mechanismen sind die gleichen. Fukunaga und Elba zeigen, wie die Vereinnahmung von Menschen funktioniert: Erst bricht der Kommandant seine bunte Kinderschar und dann baut er sie wieder auf. So bringt er sie dazu, für ihn zu töten und zu sterben. Gegen Ende gibt es einige unnötig langgezogene Szenen, in denen es nur noch darum zu gehen scheint, dass Elba seine ganze Bandbreite zeigen kann. Dieses Schielen auf Applaus und Auszeichnungen tut dem starken Gesamteindruck jedoch kaum Abbruch.

    Fazit: Mit „Beasts Of No Nation“ wirft Cary Joji Fukunaga einen schonungslosen Blick in das Leben eines Kindersoldaten in Afrika: Das Ergebnis ist ein stark gefilmtes, geschriebenes und gespieltes Drama mit kleinen Längen.

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