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    Cruella
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Cruella

    Überraschung: Disney kann auch Punk-Rock!

    Von Christoph Petersen

    In dem Märchen-Blockbuster „Maleficent“ hat Disney vor einigen Jahren die böse Fee aus „Dornröschen“ nachträglich zur tragischen Anti-Heldin umgedeutet – und damit, angeführt von Angelina Jolies Wangenknochen, einen Welthit gelandet. Aber im Vergleich zu einer Fee, die ein Königreich in einen 100-jährigen Tiefschlaf versetzt, liegen die Sympathiewerte eines privilegierten Haute-Couture-Junkies, der 99 niedliche Dalmatiner-Welpen töten will, nur um sich aus ihren glatten Baby-Fellen einen neuen Mantel maßzuschneidern, natürlich noch mal einige Stockwerke tiefer …

    … und so ist es kein Wunder, dass das mit dem Fellabziehen im „101 Dalmatiner“-Prequel „Cruella“ erst einmal zurücksteht. Stattdessen konzentriert sich Regisseur Craig Gillespie in seiner Origin Story vor allem auf die Popkulturikone, zu der sich Cruella de Vil mit ihrer markigen Schwarz-Weiß-Frisur seit dem Release des Zeichentrick-Klassikers im Jahr 1961 weiterentwickelt hat: „Cruella“ ist ein punkiges Heist-Abenteuer mit grandiosen Kostümen und Kulissen; ein „Ocean’s Eleven“ im London der Siebziger mit einem guten Schuss von Harley Quinns exaltiert-trockenem Punk-Rock-Habitus – nur eben stilecht mit Gehstock statt Baseballschläger.

    Emma Stone stiehlt als punkige Mode-Rebellin Cruella allen die Show ...

    Nachdem die 12-jährige Rebellin Estella (Tipper Seifert-Cleveland) von der Schule geflogen ist, will ihre alleinerziehende Mutter Catherine (Emily Beecham) mit ihr nach London ziehen. Aber zunächst steht noch ein kurzer Stopp auf einem herrschaftlichen Anwesen auf dem Programm. Dort findet gerade eine extravagante Kostümparty statt, die Estelle auch direkt heimlich crasht. Allerdings wird Catherine kurz darauf während eines Gesprächs mit einer geheimnisvollen Frau von drei Dalmatinern eine Klippe hinabgestürzt – und Estelle ist sich sicher, dass das alles allein ihre Schuld ist, weil sie die Wachhunde überhaupt erst auf den Plan gerufen hat.

    Jahre später schlägt sich die allein nach London geflohene Estella (jetzt: Emma Stone) mit ihren Kompagnons Jasper (Joel Fry) und Horace (Paul Walter Hauser) als Trickbetrüger-Trio in der britischen Hauptstadt durch. Aber ihr eigentliches Ziel bleibt es, in der Fashion-Welt zum Superstar aufzusteigen. Die Chance dazu bietet sich, als die Baroness (Emma Thompson), die berühmteste Designerin der Welt, ihr einen Job anbietet. Estelle weiß die Chance zu schätzen – kommt dann aber einem abgründigen Geheimnis auf die Spur: So wird aus der liebenswürdigen Estelle immer mehr die manische Cruella…

    » "Cruella" bei Disney+*

    Jede Gegenkultur wird irgendwann vom Mainstream geschluckt – und beim Punkrock der Siebziger geschah das damals besonders schnell. Auch „Cruella“ ist nun ein typisch-hochglanzpolierter Disney-Familien-Blockbuster – und doch schimmert dabei noch immer genug von der ursprünglichen, anarchischen Punk-Attitüde durch, um mehr als zwei Stunden lang verdammt gute Laune zu machen. Die von Cruella zelebrierten Haute-Couture-Happenings, mit denen sie die biederen Modeschauen ihrer vermeintlich übermächtigen Konkurrentin Baroness regelmäßig in den Schatten stellt, erinnern an eine Fashion-Variante der Party-Crasher-Auftritte des klassischen Jokers

    … und dabei bildet ausgerechnet ein Altkleider-Stunt das absolute Highlight: Cruella lässt sich von einem Müllwagen direkt auf dem Roten Teppich ausschütten – und zwar mitsamt einem riesigen Haufen ausgewaschener Klamotten. Noch bevor sie jemand schnappen kann, springt die Anti-Heldin auf den Wagen – und als der anfährt, entpuppen sich all die vermeintlichen Lumpenkleider als Teil einer gigantischen Schleppe, die den halben Straßenzug verdeckt. Die letzte Oscarverleihung ist zwar gerade erst vorüber, aber dass „Cruella“ nicht den Preis für die Besten Kostüme bei den Academy Awards 2022 abräumt, können wir uns beim besten Willen nicht vorstellen.

    ... was vor allem die egomane Mode-Zarin Baroness (Emma Thompson) zur Weißglut treibt!

    Ausstattung, Make-up und Song-Auswahl – von Nina Simone über Queen bis The Clash – sind ähnlich beeindruckend. Aber den meisten Spaß steuern am Ende – neben den für ein Familien-Abenteuer überraschend ausgefeilten Heists – dann doch die hervorragend aufgelegten Schauspieler bei: Emma Stone (Oscar für „La La Land“) verleiht Cruella trotz aller anfänglichen Sympathien im Verlauf des Plots genügend widerborstiger Kanten, um sie (trotz ihrer plötzlichen Hundeliebe) tatsächlich zur ambivalenten Antiheldin und nicht nur zu einer verkappten Disney-Prinzessin mit mehr Mascara zu machen.

    Emma Thompson (Oscar für „Wiedersehen in Howards End“) legt unterdessen genauso wenig Subtilität an den Tag wie ihre egomane Figur und erschafft so eine noch um ein Vielfaches diabolischere Version von Meryl Streeps Miranda Priestly aus „Der Teufel trägt Prada“: Ihr und ihren Kreationen wünscht man alle Motten dieser Welt an den Hals – ein Wunsch, der in einer der visuell stärksten Sequenzen des Films auch in Erfüllung gehen soll. Als heimliche Stars oder zumindest das laut schlagende Herz des Films entpuppen sich unterdessen Joel Fry („Game Of Thrones“) und Paul Walter Hauser („Richard Jewell“) als loyale Handlanger Jasper und Horace - einfach endsympathisch, das Duo!

    Minimaler Krampf zwischen all dem Spaß

    Die einzigen Momente, in denen „Cruella“ ein wenig von seiner punkigen Lockerheit einbüßt, sind jene, in denen – mitunter auf Biegen und Brechen – eine Verbindung zum originalen „101 Dalmatiner“-Zeichentrick-Klassiker hergestellt werden soll. Das trifft auch auf die Mid-Credit-Szene zu, in der zwei Nebenfiguren plötzlich noch einmal in einem völlig neuen Licht erscheinen. Viel gelungener sind hingegen die kleinen, subtilen Anspielungen – bis hin zur von Emma Stone grandios kopierten, unverkennbar verkrampften Haltung, mit der Cruella ihren ikonischen Wagen ohne Rücksicht auf Verluste durch die engen Straßen von Soho „steuert“.

    Fazit: Eine der bisher besten Bösewicht-Origin-Storys überhaupt – und dabei basiert „Cruella“ noch nicht mal auf einem Comic! Muss der Film deshalb gleich 134 Minuten lang sein? Vielleicht nicht – aber am Ende ist das völlig egal, weil jede einzelne davon vor rebellisch-treibender Energie nur so überquillt.

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