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    Coherence
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Coherence
    Von Gregor Torinus

    Im Jahre 2011 entwarf das dänische Enfant terrible Lars von Trier in „Melancholia“ ein Weltuntergangsszenario, in welchem die Erde mit einem anderen Himmelskörper kollidiert. Im selben Jahre stellte der Amerikaner Mike Cahill in „Another Earth“ die Frage, was wäre, wenn es eine Kopie unserer Erde mitsamt aller ihrer Bewohner gäbe. Jetzt zeigt James Ward Byrkit in seinem Sci-Fi-Thriller „Coherence“, dass man diese beiden in ihrem Stil und Tonfall doch sehr unterschiedlichen Filme tatsächlich verbinden kann. Das Ergebnis unterscheidet sich allerdings auch wieder selbst deutlich von den genannten Vergleichsfilmen, lädt weniger zur inhaltlichen Auseinandersetzung ein, sondern ist trotz der reduzierten-Kammerspielinszenierung vor allem sehr unterhaltsam.

    Vier miteinander befreundete Paare treffen sich zu einer Party. Ihre Gespräche sind höchst gewöhnlich, doch diese Nacht ist es nicht. Wie alle 100 Jahre fliegt der Millersche Komet an der Erde vorbei und dieses Mal kommt der Himmelskörper so nah wie noch nie. Das macht sich bemerkbar, als plötzlich überall das Licht ausgeht. Als sie verdächtige Geräusche hören und draußen nachschauen, machen die acht Freunde eine unfassbare Entdeckung: Sowohl ihr Haus, als auch sie selbst gibt es plötzlich doppelt. Ein wissenschaftliches Buch gibt einen Hinweis auf den möglichen Grund. Irgendwie muss sich im Augenblick, als das Stromnetz versagte, auf der Erde eine Blackbox - wie bei Schrödingers berühmter Katze - gebildet haben. In diesem Gedankenexperiment gibt es die Katze in der Box ebenfalls zweimal, wobei jedoch eine tot und nur die andere lebendig ist. Erst wenn man die Box öffnet, existiert nur noch eine Katze, nur kann niemand vorhersagen, ob dies nun die tote oder die lebende Katze sein wird. Was wird also passieren, wenn wieder der Tag anbricht?

    „Coherence“ ist der erste Kinofilm von Autor und Regisseur James Ward Byrkit, der unter anderem die Geschichte des Animationsfilms „Rango“ erdachte. Weil ihm dafür ein offensichtlich eher begrenztes Budget zur Verfügung stand, machte er aus dieser Not eine Tugend. Obwohl „Coherence“ ein Science-Fiction-Film ist sieht er aus wie ein kleines US-Indie-Drama mit leichtem Dogma-Touch. Die Handlung ist komplett auf die acht (doppelten) Personen, der Schauplatz überwiegend auf das Innere der Wohnung beschränkt. Mit der Handkamera rückt der bisher vor allem im Musikgeschäft tätige Nic Sadler immer wieder nah an die Schauspieler heran. Harte Schnitte und lange Abblenden verstärken den Eindruck von Spontanität und führen zugleich zu einer leichten Orientierungslosigkeit. Letztere passt zu dem angetrunkenen Zustand der Partygäste und zu deren Verwirrung aufgrund der Entwicklung der Ereignisse. Durch diese reduzierte und unmittelbare Inszenierung fühlt sich der Zuschauer inmitten der Protagonisten, die Identifikation wird so geschickt erhöht.

    Genau betrachtet ist die Prämisse von „Coherence“ zwar großer Humbug, da die Situation im Film keineswegs der entspricht, die Schröder bei seinem Katzen-Gedankenspiel im Sinn hatte, aber das macht kaum etwas aus. Denn Byrkit überspitzt sein so reduziert eingeleitetes Geschehen immer weiter, spinnt die Ereignisse in einer zunehmend inkohärenteren Entwicklung weiter, was „Coherence“ zu einer unerwartet spaßigen Angelegenheit werden lässt. Da ist z.B. Mike (Nicholas Brendon), der von den anderen als Loser abgestempelt wird. Er hat Angst, dass der andere Mike aggressiv ist und deshalb handgreiflich werden könnte. Deshalb gelangt er zu der paradoxen Frage, ob er nicht – rein prophylaktisch – sein anderes Ich umbringen sollte, bevor dieser kurzen Prozess mit ihm macht. Das lustige und zugleich perfide an „Coherence“ ist so, den Partygästen zuzuschauen, wie sie mit bis zu diesem Punkt vollkommen undenkbaren metaphysischen Verwicklungen konfrontiert, diese auf möglichst pragmatische Weise angehen. Die größte Frage lautet deshalb nicht, was dies alles mit dem Wesen ihrer Existenz macht, sondern schlicht, ob nicht Drogen ins Essen gemischt wurden...

    Fazit: „Coherence“ treibt das momentan beliebte Konzept von auf die persönliche Ebene herunter gebrochenen Science-Fiction-Filmen auf die Spitze und zeigt eine Abendgesellschaft, die ungeahnte metaphysische Verstrickungen ganz pragmatisch angeht. Das Ergebnis ist unterhaltsam.

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