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    Mein Ein, mein Alles
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Mein Ein, mein Alles
    Von Michael Meyns

    Die geringe Präsenz von Frauen auf dem Regiestuhl ist nicht nur in Cannes ein heißes und oft umstrittenes Thema. Dass mit den beiden Französinnen Emmanuelle Bercot, die den gelungenen Eröffnungsfilm „Standing Tall“ inszenierte, und Maïwenn auch 2015 nur zwei Regisseurinnen im offiziellen Wettbewerb vertreten sind, hat die Diskussionen an der Croisette nicht abflauen lassen. Auch dass beide Filmemacherinnen gewissermaßen Quereinsteigerinnen sind und ihre Karriere als Schauspielerinnen begonnen haben, ist in der Debatte eine vielgenannte Randnotiz, zumal Bercot auch noch die Hauptrolle in Maïwenns „Mein Ein, mein Alles“ spielt. Sie verkörpert in der meist packenden, dicht inszenierten und nicht nur von ihr intensiv gespielten Geschichte einer Amour fou eine Frau, die nach einem schweren Skiunfall in der Reha-Klinik landet. In Rückblenden erinnert sich Bercots Tony dort an ihre jahrelange Beziehung zu Georgio (Vincent Cassel), die ein zwischen Liebe und Hass schwankendes Wechselbad der Gefühle war. Mit ihrem vierten langen Film als Regisseurin legt Maïwenn ein mitreißendes und kraftvolles Drama vor, das allerdings nicht frei von Klischees und Stereotypen ist.

    Tony ist mit ihren hysterischen Anfällen und Weinkrämpfen eine stellenweise fast schon grotesk stereotype Kino-Frauenfigur, die den vom ersten Moment an als hemmungslosen Aufreißer erkennbaren Georgio zu allem Überfluss geradezu vergöttert. Aber nicht nur das Frauenbild ist hier klischeehaft (und konservativ) eingefärbt, auch Vincent Cassels („Hass“, „Kind 44“) notorischer Verführer ist eine Figur aus der erzählerischen Mottenkiste. Subtile Charakterstudien sehen definitiv anders aus, aber die Zuspitzung liegt andererseits auch im inneren Wesen eines solchen aufwühlenden, hochgradig emotionalen Liebesdramas – und die Beziehung, die hier beschrieben wird, ist ohne Zweifel verrückt und exzessiv. Das macht Maïwenn, die für „Poliezei“ 2011 in Cannes mit dem Preis der Jury ausgezeichnet wurde, mit ihrer dynamischen Inszenierung der Hochs und Tiefs zwischen Tony und Georgio von vornherein klar. Das Besondere hier ist, dass die Leidenschaft der spielerischen, wilden Phase des Verliebens auch bei den späteren Problemen, die durch das gemeinsame Kind nur vorübergehend in den Hintergrund rücken, nie erkaltet. So ist „Mein Ein, mein Alles“ einer der emotionalsten Beiträge des Wettbewerbsjahrgangs von Cannes 2015.

    Fazit: Mit ihrem intensiven Liebesdrama „Mein Ein, mein Alles“ inszeniert Maïwenn eine mitreißende und zudem stark gespielte Amour fou – nur die Figurenzeichnung ist zuweilen allzu klischeehaft.

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