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    Tatort: Der Fall Reinhardt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Der Fall Reinhardt
    Von Lars-Christian Daniels

    16 Jahre liegt es zurück, dass Multitalent und Skandalnudel Ben Becker („Comedian Harmonists“) im „Tatort“ zu sehen war. Im Stuttgarter „Tatort: Bienzle und der Champion“ bekleidete der exzentrische Schauspieler, Autor, Sänger und Synchronsprecher eine Nebenrolle, sein vierter Auftritt in der öffentlich-rechtlichen Krimireihe, für die er nun nach langer Pause ein fünftes Mal vor der Kamera stand: In Torsten C. Fischers „Tatort: Der Fall Reinhardt“, der vor der Erstausstrahlung auch auf dem Filmfest Hamburg und dem Fernsehkrimi-Festival in Wiesbaden gezeigt wurde, ist Becker einmal mehr in seiner Paraderolle als Choleriker zu sehen und zugleich der prominenteste Name der Besetzung. Die Show gehört dennoch einer Kollegin: Susanne Wolff, die 2013 für ihre Rolle in Nicole Weegmanns starkem TV-Drama „Mobbing“ mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde, stiehlt Becker & Co. mit einer bärenstarken Performance die Schau und bildet das emotionale Zentrum eines auffallend ruhigen, aber kraftvollen Krimidramas aus der Domstadt Köln.

    Ein Feuerteufel hält Köln in Atem: Nach einer Serie von Brandstiftungen kommen bei einem Anschlag erstmalig drei kleine Kinder ums Leben. Deren Mutter Karen Reinhardt (Susanne Wolff) kommt mit einer Rauchvergiftung davon und steht unter Schock: Als die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) die an Amnesie leidende Frau im Garten ihrer ausgebrannten Villa antreffen, will sie den Tod ihrer Kinder nicht wahrhaben und erleidet einen Kollaps. Von ihrem Mann Gerald (Ben Becker) fehlt derweil jede Spur: Die Nachbarn erzählen zwar, Reinhardt sei bei der Firma Cologne Airtech als Luftfahrtingenieur angestellt, doch Ballauf und Schenk finden heraus, dass dem Familienvater dort bereits vor zwei Jahren gekündigt wurde. Hat sich der aufbrausende Arbeitslose womöglich nach Holland zu einer angeblichen Geliebten abgesetzt? Bei ihren Ermittlungen und der Suche nach dem abgetauchten Vater werden die Kölner Kommissare vom neuen Aushilfsassistenten Tobias Reisser (Patrick Abozen), dem Kriminalpsychologen Dr. Bernd Reiche (Peter Benedict) und Brandkommissar Uwe Schatz (Roland Silbernagl) unterstützt.

    Wo ist der Reinhardt?“ könnte man in Anlehnung an einen populären Sekt-Werbespot aus den 90er Jahren fragen – doch die Suche nach dem abgetauchten Familienvater treibt den 905. „Tatort“ nur eine Dreiviertelstunde lang voran. Die Kölner Kommissare begeben sich zunächst auf einen Wettlauf gegen die Zeit, um den nächsten Anschlag des Brandstifters zu verhindern und den tatverdächtigen Reinhardt in die Mangel zu nehmen. Dann aber schlägt Drehbuchautorin Dagmar Gabler, die zuletzt am Skript zum herausragenden Bremer „Tatort: Brüder“ mitschrieb, einen anderen Pfad ein. Sie erzählt die Geschichte einer zutiefst zerrütteten Familie, deren abgebrannte Villa symbolisch für die einst heile, gegenüber der Öffentlichkeit nicht länger aufrecht zu erhaltende Trautes-Heim-Fassade steht. Die gewohnte Whodunit-Konstruktion engt das Treiben dabei dramaturgisch kaum ein: Dem krimierprobten Zuschauer offenbart sich schnell, dass Brandanschlag und dreifacher Kindermord nicht unbedingt vom selben Täter begangen worden sein müssen – daher bringt auch die etwas halbherzig eingeflochtene Verhaftung von Hausmeister Detlev Heller (Steffen Scheumann, „Bis zum Horizont, dann links!“), der in seinem Keller Benzinkanister hortet, kaum Ruhe in den Fall.

    Was das Krimidrama so beklemmend und sehenswert macht, ist ohnehin nicht die relativ leicht zu beantwortende Frage nach dem Täter, sondern die kraftvollen Bilder von Kameramann Holly Fink und die gekonnte Demaskierung der glücklichen Familienwelt, deren Ursachen zunehmend greifbar werden: Während Gerald Reinhardts sozialer Abstieg in Alkoholsucht und Nächten unter freiem Himmel gipfelt, will Ehefrau Karen offenbar trotz aller Anzeichen nicht wahrhaben, dass ihr verschwundener Mann sie und die Kinder einfach im Stich gelassen haben könnte. Ihre Amnesie – an deren Existenz stets Restzweifel bleiben – weicht Stück für Stück einer bitteren Erkenntnis, die ihr das Fernsehpublikum und die Kölner Hauptkommissare voraushaben. TV-Regisseur Torsten C. Fischer inszeniert eine ruhige, aber intensive Tragödie und räumt seinen Figuren großen Raum zur Entfaltung ein. Dass Ben Becker dabei trotz seines gewohnt charismatischen Auftritts klar im Schatten von Theaterschauspielerin Susanne Wolff steht, liegt auch am Drehbuch: Während der Schauspieler erst in der zweiten Filmhälfte aktiv ins Geschehen eingreifen darf, überragt Wolff von Beginn an mit ihrer emotionalen Performance als verzweifelte Mutter, die nach dem Verlust ihrer Kinder und dem Verschwinden ihres Gatten vor den Trümmern ihres Lebens steht.

    Apropos Verlust: Nach dem spektakulären Tod von Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt), an die nach ihrem Abschied im 22 Uhr-„Tatort: Franziska“ nur noch ein Schwarz-Weiß-Bild mit Trauerflor erinnert, weht auch auf dem Kölner Polizeipräsidium frischer Wind. Der neue Aushilfsassistent  Tobias Reisser (Patrick Abozen) sammelt eifrig Fleißpunkte und wirkt dabei oft zielorientierter als seine Vorgängerin, deren Männergeschichten häufig für Tränen und schlechte Stimmung im Ermittlungsalltag sorgten. Auch der Ton zwischen Ballauf und Schenk – aktuell das drittälteste „Tatort“-Team nach Ludwigshafen und München – ist weniger kumpelhaft als in den vergangenen Jahren, nervtötende Zwischenfazits bleiben aus und die Betroffenheitskeule lassen die Kommissare diesmal stecken. Und während das eingespielte Gespann sonst in der Regel zu zweit durch die Großstadt zieht, ist diesmal Teamarbeit gefragt: Neben Reisser und dem vielbewährten Gerichtsmediziner Dr. Joseph Roth (Jo Bausch) helfen auch Kriminalpsychologe Reiche und Brandkommissar Schatz bei den Ermittlungen mit. Das wohl nur für diesen Krimi zusammengestellte Team funktioniert auf Anhieb prima – ein solcher Ansatz könnte für den zuletzt doch ziemlich angestaubt wirkenden Kölner „Tatort“ auch weiterhin der Schlüssel zum Erfolg sein.

    Fazit: Gutes Drehbuch, gute Darsteller, gute Aussichten – der Kölner „Tatort“ bestätigt seinen Aufwärtstrend auch im Fall 1 nach „Franziska“. Torsten C. Fischers „Der Fall Reinhardt“ überzeugt als emotionales Krimidrama und wird von der überragenden Susanne Wolff fast im Alleingang getragen.

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