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    Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel
    Von Lars-Christian Daniels

    Nicht zuletzt dank der US-Erfolgsserie „Breaking Bad“ über den Aufstieg des krebskranken Chemielehrers Walter White (Bryan Cranston) zum einflussreichen Drogenbaron „Mr. Heisenberg“, erhöhte sich der Bekanntheitsgrad der chemischen Droge Crystal Meth in den vergangenen Jahren auf der ganzen Welt. Methamphetamin führt bei den Konsumenten zu erheblichen körperlichen und psychischen Schäden und gelangt mittlerweile (oft über tschechische Drogenlabore) auch in immer größeren Mengen nach Deutschland. Grund genug für den NDR und Grimme-Preisträger Christian Schwochow („Westen“), einen Krimi darüber zu drehen: Im Kieler „Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel“, der 2014 auch auf dem Filmfest Hamburg zu sehen war, ermitteln die Kommissare im Drogensumpf eines norddeutschen Dörfchens, in dem die Jugendlichen der Trostlosigkeit ihres Alltags durch den Konsum von Crystal Meth entfliehen. Das Ergebnis ist ein stark gespieltes und mitreißendes Krimidrama, in dem vor allem Jungschauspielerin Elisa Schlott zu großer Form aufläuft.

    In einem Waldstück bei Mundsforde, einem kleinen Dorf in der Nähe von Kiel, wird der abgetrennte Kopf eines jungen Mannes gefunden. Es handelt sich um den 20-jährigen Mike Nickel (Joel Basman), der regelmäßig Crystal Meth konsumiert hat. Die Kieler Hauptkommissare Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli) lassen das Waldstück von einer Hundertschaft durchforsten, doch der Torso des Opfers bleibt verschwunden. Nach einem Fahndungsaufruf meldet sich die Freundin des Verstorbenen: Die junge Rita Holbeck (Elisa Schlott), die bis vor kurzem ebenfalls von der gefährlichen Droge abhängig war, erzählt den Kommissaren von einem Leben zwischen Rausch, Ekstase und regelmäßigen Abstürzen, verweigert aber zunächst die Zusammenarbeit mit der Polizei. Borowski fühlt sich durch Rita an seine Tochter Carla erinnert, die er seit Ewigkeiten nicht mehr angerufen hat. Als er die mittlerweile cleane Rita unter Druck setzt, belastet die junge Frau mit ihrer Aussage zwei Drogendealer – und bringt sich damit in Lebensgefahr...

    Zum Ende der Sommerpause 2014 spielte Crystal Meth schon einmal eine entscheidende Rolle in einem „Tatort“: Im Wiener „Tatort: Paradies“ ermittelten Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) in einem Altenheim, in dem sich die Bewohner mit kleineren Deals ihre Rente aufbesserten. Während die österreichischen „Tatort“-Macher eher einseitig an das Thema herangingen, erweitern Drehbuchautor Rolf Basedow („Bin ich schön?“) und Regisseur Christian Schwochow die Perspektive: In einer parallel montierten Rückblende arbeiten sie die aufwühlende Vorgeschichte von Rita und Mike auf, deren Leben sich nur um das Beschaffen der Droge, ekstatische Partys und leidenschaftlichen Sex drehte. Anders als zum Beispiel in Uli Edels „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ oder in Drogendramen wie „Trainspotting“ liegt der Schwerpunkt hier weniger auf der drastischen Darstellung der Folgen der Abhängigkeit – ein mutiger Ansatz, doch die Rechnung geht auf. Was der regelmäßige Konsum von Crystal Meth aus Menschen macht, zeigt sich indes an Ritas kreidebleicher Ausreißer-Freundin Lisa Kamp (Anke Retzlaff).

    „Borowski und der Himmel über Kiel“ ist ein ungewöhnlicher „Tatort“, denn die Kommissare treten häufig in den Hintergrund. Während die Ermittlungsarbeit – abgesehen von einem spontanen Hühnchen-Dinner mit Kriminalrat Roland Schladitz (Thomas Kügel) – ohne größere Überraschungen abläuft, blickt das Publikum tief ins Seelenleben der jungen Rita, die in der Hoffnung auf ein neues Leben in den Abhängigkeitssumpf gerät und von einer wilden Feier zur nächsten tigert. Dass ihre durchaus amüsanten Eskapaden den Film nie seiner ernsten Grundausrichtung berauben, hat zwei Gründe: Es liegt zum einen am überragenden Spiel von Elisa Schlott („Spieltrieb“), die es versteht, facettenreich zwischen sexsüchtigem Party-Girl, liebevoller Schwester, verzweifeltem Druffi und nach Halt suchender Heranwachsender hin- und herzuwechseln. Zum anderen fangen die Filmemacher ihre plötzlichen Gefühlsausbrüche immer wieder gekonnt auf – exemplarisch dafür steht eine bärenstarke Szene mit Ritas überforderter Mutter, die hilflos in Tränen ausbricht, als ihre rückfällig gewordene Tochter nachts high nach Hause kommt und ihr freudestrahlend Komplimente macht.

    Zwar stammt die Drehbuchvorlage – anders als in einigen früheren Kieler „Tatort“-Folgen – nicht von Bestseller-Autor Henning Mankell, doch hat der 933. „Tatort“ viel von einem Skandinavien-Krimi, der geprägt ist durch klirrende Kälte, finstere Wälder, verschrobene Verdächtige, die dem Film Lokalkolorit einhauchen, und nicht zuletzt einen gehörigen Schuss Brutalität: Ein Mörder, der den Kopf seines Opfers mit einer Axt abhackt und arglos in einen matschigen Fluss wirft, ist im „Tatort“ nicht alltäglich, und auch Ritas beklemmend nüchtern inszenierte Doppel-Vergewaltigung durch die angenehm klischeefrei dargestellten Drogendealer Andy (Rafael Stachowiak) und Furkan (Matthias Weidenhöfer) dürfte vielen Zuschauern im Gedächtnis haften bleiben. Der Humor – auch das ist typisch für den Kieler „Tatort“ – kommt dennoch nicht zu kurz: Die subtil ironisch angehauchten Dialoge der Kommissare ziehen sich durch den ganzen Film und beginnen bereits in der Auftaktsequenz, in der Borowski eine Saatkrähe imitiert und Brandt ganz direkt fragt, welche Balzlaute sie denn ihrerseits so von sich gebe.

    Fazit: Trotz der ungewöhnlichen Erzählstruktur ist Christian Schwochows „Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel“ ein typischer Qualitäts-Krimi aus der Fördestadt – hart, kompromisslos und stark gespielt.

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