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    Tatort: Verfolgt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Tatort: Verfolgt
    Von Lars-Christian Daniels

    Ob Mondlandung, Kennedy-Attentat oder 11. September: Verschwörungstheorien kursieren schon seit Jahrhunderten. Seit dem Aufkommen der elektronischen Medien beschäftigen sie auch eine immer breitere Öffentlichkeit. Die jüngsten Enthüllungen von Whistleblower Edward Snowden oder der Internet-Plattform Wikileaks sind dabei willkommenes Wasser auf die Mühlen der Theoretiker, und im digitalen Zeitalter scheint in Sachen Datenklau und Totalüberwachung ohnehin nichts mehr unmöglich. Nachdem 2014 bereits im Hamburger „Tatort: Kaltstart“ eine ferngesteuerte Drohne durch die Hansestadt schwirrte und die beiden Bundespolizei-Ermittler Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) aus sicherer Distanz beobachtete, widmet sich der Schweizer „Tatort: Verfolgt“ nun einem ähnlichen Thema: Drehbuchautor Martin Maurer und Regisseur Tobias Ineichen hetzen einen paranoiden Verschwörungstheoretiker durch Luzern und holen dabei zum großen Rundumschlag gegen das Schweizer Finanzwesen und deutsche Steuersünder aus. Das Ergebnis ist ein solide inszenierter, aber unter vielen Klischees leidender Krimi.

    Eine junge Frau wird tot in einer Luzerner Wohnung aufgefunden. Für die Hauptkommissare Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) sieht alles nach einem Eifersuchtsdrama aus: Unter Verdacht steht sowohl der getrennt von ihr lebende Ehemann der Ermordeten, Michael Straub (Georg Scharegg), als auch ihr Geliebter Tom Behrens (Alexander Beyer), der als IT-Experte bei einer namhaften Schweizer Privatbank arbeitet und vorübergehend abgetaucht ist. Als sich Behrens unerwartet den Behörden stellt und behauptet, er sei im Besitz brisanter Kontodaten und werde von Unbekannten verfolgt, ergibt sich ein weiteres Tatmotiv: Musste die Frau womöglich sterben, weil Behrens die CD mit den Daten in der Wohnung versteckt hat und an eine Steuerbehörde in Nordrhein-Westfalen verkaufen wollte? Auch Behrens‘ verstörte Ehefrau Ilka (Karina Plachetka), die sich am Vorabend heftig mit ihrem Mann gestritten hatte, meldet sich telefonisch bei der Polizei: Sie behauptet, ein Fremder habe ihr in einem Wagen mit getönten Scheiben nachgestellt und lauere nun in ihrem Garten...

    „Ich weiß nicht, ob der Typ ein Mörder ist, aber durchgeknallt ist er auf jeden Fall“, schlussfolgert Liz Ritschard nach den ersten Befragungen des Hauptverdächtigen, und diese vorschnell wirkende Behauptung bestätigt sich: Spätestens, als der fremdgehende Familienvater Behrens sogar hinter dem Tonband-Mitschnitt einer polizeilichen Vernehmung die ganz große Verschwörung wittert und die Kommissare im Verhörzimmer mit einem Stuhl attackiert, wendet sich auch der Zuschauer von den wirren Theorien des IT-Experten („Sind wir nicht alle Whistleblower?“) ab. Dabei scheinen die Sorgen anfangs durchaus berechtigt: Fast das komplette erste Krimidrittel hetzt der vermeintlich Verfolgte durch Luzern und wird in einem Geschäft sogar handgreiflich, während sich seine Frau Ilka und Tochter Mia (Simona Faranda) in den eigenen vier Wänden ebenfalls nicht mehr sicher fühlen dürfen. Kameramann Michael Saxer („Snow White“) und Regisseur Tobias Ineichen („Clara und das Geheimnis der Bären“), der bereits zum dritten Mal eine „Tatort“-Folge für das SRF inszeniert, vermitteln durch die Sprache der Bilder und die Art der Inszenierung geschickt den Eindruck, die Behrens würden tatsächlich bedroht, obwohl die handfesten Beweise für Verfolger in der Fußgängerzone und ungebetene Gäste im heimischen Garten zunächst ausbleiben.

    Leider verliert dieses anfangs noch durchaus prickelnde Katz-und-Maus-Spiel von Minute zu Minute an Reiz: Vor allem die treibenden Elektro-Klänge, die wie eine aufgemotzte Variante des nicht zufällig im TV-Spot einer deutschen Großbank eingeflochtenen Chromatics-Tracks „Tick of the clock“ (aus dem Soundtrack zu Nicolas Winding Refns Meisterwerk „Drive“) klingen, verbrauchen sich durch ihre permanente Wiederholung recht schnell. Auch die wie immer extra für das deutsche Fernsehpublikum synchronisierten Dialoge sind bald ermüdend: Hölzern hangeln sich Flückiger und Ritschard von einem Verhör zum nächsten und bleiben dabei als Figuren so blass und eindimensional wie bei ihren zurückliegenden „Tatort“-Auftritten. Selbst als sich Ritschard wegen eines abgefeuerten Schusses – ein ähnlicher Vorfall diente beispielsweise 2012 im starken Münchner „Tatort: Der traurige König“ als Antriebsfeder des kompletten Krimis – vor ihren Vorgesetzten rechtfertigen muss, nutzen die Filmemacher dies nicht für tiefergehende Charakterzeichnung und handeln die Sorgen der Kommissarin im Vorbeigehen ab. Flückiger fährt gerne Boot und Ritschard liebt Frauen – mehr erfährt der Zuschauer über die Schweizer Ermittler auch weiterhin nicht. Und wer glaubt, dass der aufbrausende Arbeitslose Michael Straub aufgrund einer blutverschmierten Jacke im eigenen Hausmüll der Täter sein muss, der hat vermutlich noch nie bei einem Sonntagabendkrimi mitgerätselt.

    Größtes Ärgernis im „Tatort: Verfolgt“ ist jedoch der gut gemeinte, aber alles andere als gut gemachte Rundumschlag gegen das Schweizer Bankensystem und gewiefte Steuersünder, bei dem die Filmemacher einfach viel zu dick auftragen. Das gilt vor allem im Hinblick auf ihre Figuren: Regierungsrat Eugen Mattmann (Jean-Pierre Cornu), der Vorgesetzte von Flückiger und Ritschard, mausert sich langsam aber sicher zur nervigsten Nebenrolle in der gesamten „Tatort“-Reihe und agiert einmal mehr ohne jeden kriminalistischen Instinkt. Naiv und nur an der deutsch-schweizerischen Völkerverständigung interessiert, scheint es Mattmanns einzige Aufgabe zu sein, den aalglatten Schweizer Bankdirektor Sonderer (Pierre Siegenthaler) aus der Schusslinie zu halten, um keinen Streit mit dem überzeichneten deutschen Staatssekretär Demand (Markus Scheumann) zu riskieren und beim Zuschauer die Wut auf Politik, Banken und straffrei bleibende Steuersünder zu wecken. „Die Schweiz ist ein so wundervolles Land, Herr Mattmann“, darf Demand denn auch vielsagend säuseln, in seine schwarze Limousine steigen und sich unverhohlen über die Machtlosigkeit der Kommissare freuen. „Also Currywurst können die Deutschen definitiv besser“, stellt Flückiger irgendwann ernüchtert fest, als er den Rest seines Mittagessens in die Mülltonne schmeißt. Man möchte ergänzen: „Tatort“ in der Regel auch.

    Fazit: Auch der sechste „Tatort“ mit Flückiger und Ritschard ist nicht der erhoffte Durchbruch für das Team aus der Schweiz. Tobias Ineichens „Tatort: Verfolgt“ verliert nach einem prickelnden Auftakt schnell an Reiz und macht sich am Ende einen wenig originellen Rundumschlag gegen Banken und Steuersünder zur Aufgabe.

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