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    Tatort: Durchgedreht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Tatort: Durchgedreht
    Von Lars-Christian Daniels

    In den vergangenen fünf Jahren waren es stets die „Tatort“-Kommissare aus der Schweiz oder Österreich, die die Sommerpause der beliebtesten deutschsprachigen Krimireihe beendeten: 2011, 2012, 2013 und 2015 ging der Luzerner Hauptkommissar Reto Flückiger (Stefan Gubser) zunächst mit der amerikanischen Kollegin Abby Lanning (Sofia Milos), dann mit seiner aktuellen Partnerin Liz Ritschard (Delia Mayer) auf Täterfang. 2014 läuteten die Wiener Ermittler Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) die zweite „Tatort“-Jahreshälfte ein. Aber warum setzt die ARD zum Auftakt stets auf die Teams aus dem Ausland? Die Antwort liegt nahe: Beim deutschen Publikum haben diese Folgen einen relativ schweren Stand, und da Ende August noch viele Zuschauer im Urlaub weilen oder den Sonntagabend lieber im Freien verbringen, sind ohnehin keine starken Quoten zu erwarten. Im Jahr 2016 ist aber alles anders: Mit den „Tatort“-Kommissaren aus Köln beendet eines der beliebtesten Ermittlerteams die Sommerpause – und das sogar parallel zur Übertragung der Olympischen Spiele. Wer sich für das sportliche Konkurrenzprogramm entscheidet, verpasst allerdings nicht allzu viel: Dagmar Seumes „Tatort: Durchgedreht“ ist ein Krimi nach altbekanntem Rezept und kommt erst spät auf Touren.

    Den Kölner Hauptkommissaren Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) bietet sich ein Bild des Schreckens: In einem Einfamilienhaus finden sie die Leichen von Freya Rödiger (Andrea Kratz) und ihrem kleinen Sohn. Die achtjährige Tochter Anna (Julie-Helena Sapina) hat sich derweil im Keller versteckt. Hat die Kleine die Tat beobachtet? Rödigers Lebensgefährte Sven Habdank (Alexander Beyer) befand sich zur Tatzeit auf Dienstreise und ist nach seiner Rückkehr genauso geschockt wie die Kommissare, die bei den Ermittlungen von Assistent Tobias Reisser (Patrick Abozen) und Gerichtsmediziner Dr. Roth (Joe Bausch) unterstützt werden. Sie finden heraus, dass sich Habdank bei seiner Arbeit als Steuerprüfer Feinde gemacht hat – unter anderem den auffallend wohlhabenden Journalisten Ole Winthir (Peter Benedict) und den windigen Bauunternehmer Pit Benteler (Max Herbrechter). Wurde die Familie Opfer einer Rachetat? Weitere Spuren führen zu Habdanks Bruder Michael (Christian Erdmann) sowie zu Gunnar (Stephan Szász) und Hilde Schwalb (Nicola Schössler), die ihre Nichte Anna vorübergehend bei sich aufnehmen...

    „Durchgedreht“ ist ein „Tatort“ der alten Schule, eine klassische Whodunit-Konstruktion, die von Beginn an in geordneten Bahnen verläuft. Fragen gibt es nämlich nur zwei zu beantworten: Wer ist hier durchgedreht – und warum? Drehbuchautor Norbert Ehry („Momentversagen“), der zum 13. Mal ein Skript für die Krimireihe schreibt, reiht nach dem beklemmenden Auftakt im Haus der Habdanks viele informationslastige Dialoge aneinander, durch die der „Tatort“ in ein einstündiges Spannungstief fällt. Ist die eher teilnahmslos als traumatisiert wirkende Anna erst mal in Sicherheit gebracht, ist bald die Luft raus – hinzu kommen ermüdende Allgemeinplätze zum deutschen Steuersystem, die im gewohnt sozialkritischen Krimi aus der Domstadt natürlich nicht fehlen dürfen (Ballauf: „Wenn ich mir angucke, was von meinem Bruttogehalt überbleibt...“). Andere Szenen wirken zwischen den Streitereien von Familienvater Schenk und Junggeselle Ballauf wie Fremdkörper: Assistent Tobias Reisser wird beispielsweise in seinem Büro dabei ertappt, wie er im Asservatenverzeichnis einen schwarzen Dildo angeklickt hat.

    Die 990. Ausgabe der Krimireihe fühlt sich oft an wie ein Familiendrama, weil einiges hinter dem Rücken der Kommissare abläuft und die emotionalen Reizpunkte in der Verwandtschaft der Toten liegen: Während Habdanks Bruder Michael ein Verhältnis zur Ermordeten nachgesagt wird, lodert im Hause Schwalb unterschwelliger Sozialneid, weil das spärliche Gehalt von Ex-Unternehmer Gunnar keine großen Sprünge erlaubt. Mit dem fehlenden Selbstwertgefühl des LKW-Fahrers übertreiben es die Filmemacher allerdings – irritierend und alles andere als sympathisch sind zudem einige abfällige Bemerkungen von Publikumsliebling Schenk („Zehn Minuten linke Spur, und schon gleichauf!“), der für diese Berufsgruppe offenbar wenig übrig hat. Auch die Journalisten – im „Tatort“ hat das Tradition – kriegen ihr Fett weg: Der aalglatte Schreiberling Winthir pfeift auf Vater Staat und begegnet den Kommissaren mit permanenter Arroganz. Anders als der finanziell gebeutelte Baulöwe Benteler, dessen Schicksal schon bei seiner ersten Szene im Finanzamt abzusehen ist, erhält er als Figur aber zumindest eine gewisse Tiefe – von der richtigen Auflösung der Täterfrage werden sich erfahrene Krimi-Zuschauer dadurch aber kaum abbringen lassen.

    Dass „Durchgedreht“ unter dem Strich dennoch durchaus seine Reize hat, liegt neben der handwerklich soliden Umsetzung vor allem am emotionalen Showdown: Als die Katze aus dem Sack ist, zieht Regisseurin Dagmar Seume („Hanni & Nanni 3“) die Spannungsschraube spürbar an, sodass das dramatische Ende zumindest ein wenig für die Längen im dialoglastigen Mittelteil entschädigt. Da darf natürlich auch die obligatorische Verfolgungsjagd nicht fehlen, die allerdings über wenig aufregende Landstraßen und nicht etwa durch die vielbefahrene Innenstadt führt. Ein schauspielerisches Ausrufezeichen setzen zudem Alexander Beyer („Deutschland 83“) und Christian Erdmann („München 7“), die sich als ungleiches Bruderpaar in einer wahnsinnig intensiven Szene ihr Herz ausschütten. Und für die Fans der Kölner „Tatort“-Folgen lohnt sich das Einschalten sowieso: Nach monatelanger Abstinenz gibt es endlich ein Wiedersehen mit einer der dienstältesten und beliebtesten Nebendarstellerinnen der Krimireihe – der kultigen Wurstbraterei am Rheinufer, die die Kommissare baustellenbedingt schon lange nicht mehr aufsuchen durften.

    Fazit: Dagmar Seumes „Tatort: Durchgedreht“ ist ein spät in Fahrt kommender, zwischenzeitlich sehr zäher Krimi aus Köln, der stets in geordneten Bahnen verläuft.

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