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    Jonathan
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Jonathan

    Zwei Brüder teilen sich einen Körper

    Von Antje Wessels

    Wenn eine Geschichte davon handelt, dass in einem einzelnen Körper gleich mehrere verschiedene Persönlichkeiten stecken, unterscheiden sich diese schon aus dramaturgischen Gründen meist so stark wie nur irgendwie möglich. Jüngstes Beispiel dafür: M. Night Shyamalans Mystery-Thriller „Split“, in dem James McAvoy einen schizophrenen Charakter spielt, in dessen Körper gleich 24 grundverschiedene Persönlichkeiten miteinander um die Vorherrschaft ringen. Regisseur Bill Oliver geht mit seinem erlesen gefilmten Langfilmdebüt „Jonathan“ nun genau den umgekehrten Weg: Zwar verkörpert Hauptdarsteller Ansel Elgort hier ebenfalls zwei Persönlichkeiten in einem Körper. Aber dabei geht es lange Zeit vor allem darum, dass sich die Brüder Jonathan und John aktiv Mühe geben, möglichst identisch in der Öffentlichkeit aufzutreten, damit niemand hinter ihr Geheimnis kommt. Diese unaufgeregte Prämisse prägt den Film selbst dann noch, wenn die Situation mit fortlaufender Handlung schließlich doch noch auf einen großen Konflikt zuläuft. Das ist für „Jonathan“ Fluch und Segen zugleich, denn mitunter kommt der Film durch seine betont entschleunigte Inszenierung einfach nicht richtig aus dem Quark.

    „Wunderkind“ Jonathan (Ansel Elgort) arbeitet halbtags in einem Architekturbüro. Die andere Hälfte des Tages kümmert er sich um einen kranken Verwandten – das sagt er zumindest, denn in Wirklichkeit trägt er ein Geheimnis mit sich herum: Er teilt sich seinen Körper mit John, seinem Bruder. John besitzt bei weitem nicht so viel Talent wie Jonathan, aber die enge Bindung zwischen den beiden hat das bislang nicht erschüttert. Mithilfe eines hinter dem Ohr installierten Time-Splitters können die Brüder den Aufenthalt in ihrem Körper aufteilen. Ist der eine wach, kann er über den Körper verfügen, während der andere schläft. Damit ihre geteilte Existenz möglich reibungslos verläuft, haben John und Jonathan gewisse Regeln aufgestellt: Sie dürfen keine emotionale Bindung zu Fremden eingehen, keine Freundinnen haben und müssen einander jeden Tag via Videobotschaft davon berichten, was sie während ihrer Wachphase getan haben. Doch als John eines Tages die sympathische Bardame Elena (Suki Waterhouse) kennenlernt, möchte er die Beziehung zu der jungen Frau festigen, was sein Verhältnis zu Jonathan unweigerlich komplizierter macht...

    Wenn sich der eine Bruder schlafen legt und der andere den aktiven Part übernimmt, genügt Bill Oliver zur Veranschaulichung nur eine simple Schwarzblende, damit der Zuschauer weiß, dass gerade ein Bewusstseinstausch stattgefunden hat. Damit man diesen kurzen Moment nicht versäumt, ist es wichtig, in „Jonathan“ gut aufzupassen, denn das zurückhaltende Spiel von Ansel Elgort („Baby Driver“) gibt nicht zwingend Aufschluss darüber, ob er nun gerade John oder Jonathan verkörpert. Das ist natürlich nur richtig so, wenn man bedenkt, dass sich die Brüder darauf verständigt haben, in der Öffentlichkeit möglichst identisch auftreten zu wollen. Aber auch in den eigenen vier Wänden unterscheiden sich die Gewohnheiten der sich ihren Körper teilenden jungen Männer kaum. Sogar die Videobotschaften, die John und Jonathan jeden Tag für den jeweils anderen aufnehmen, um einander ähnlich wie in dem Anime-Hit „Your Name.“ auf den aktuellen Stand zu bringen, wirken, als würden sie lediglich von einer einzigen Person vorgetragen. Das Verhalten der Brüder hat sich inzwischen also wirklich bis in die kleinste Nuance angeglichen, wodurch Elgort allerdings lange Zeit kaum Gelegenheit erhält, sich der speziellen Herausforderung solch einer Doppelrolle zu stellen.

    In der ersten Hälfte mimt der „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“-Star den zurückhaltenden Architekten weitestgehend eindimensional. Mehr als zu einem nachdenklich dreinblickenden Gesichtsausdruck lässt sich Elgort hier einfach nicht hinreißen. Erst wenn sich in der zweiten Filmhälfte die Ereignisse ein wenig zuspitzen, erkundet er weitere Facetten seines Charakters. Als sich John in die von Suki Waterhouse („Assassination Nation“) charmant bodenständig verkörperte Elena verliebt, ist es ihm nämlich plötzlich durchaus ernst damit, seine eigenen Bedürfnisse zu verteidigen, was er zunächst mit kalkulierter Ignoranz (John behält den Körper einfach länger als abgemacht) und schließlich mit offen über die Videobotschaft ausgetragener Konfrontation durchzusetzen versucht. Da die beiden Männer jedoch nie direkt aufeinandertreffen (können), wäre es die Aufgabe des Regisseurs gewesen, dem Streit auch auf inszenatorischer Ebene zu einer gewissen Dynamik zu verhelfen. Doch erst ganz zum Schluss bekommt man durch sehr schnell hintereinander stattfindende Körpertäusche den Eindruck, dass die Reaktion des einen eine direkte Folge der Aktionen des jeweils anderen ist. Zuvor lassen Bill Oliver und seine Co-Autoren Gregory Davis und Peter Nickowitz einfach zu viel Raum zwischen den Schwarzblenden, als dass man das Gefühl bekommen könnte, dass John und Jonathan gerade miteinander im Clinch liegen. Stattdessen gehen einfach beide weiter ihrem Alltag nach, nur die Videobotschaft sind eben einen Tacken aggressiver als vorher.

    Dass man für das Schicksal der Brüder dennoch ein tiefes Mitgefühl entwickelt, liegt vor allem an zwei Dingen: Zum einen wirkt ihr enges Verhältnis zueinander jederzeit authentisch, zum anderen geht es in „Jonathan“ eben nicht darum, dass hier am Ende einer über den anderen triumphiert. Wenn die beiden plötzlich unabhängig voneinander Interessen entwickeln, beginnt sich zwar langsam abzuzeichnen, dass ihr gemeinsames Leben in einem einzigen Körper so nicht länger stattfinden kann, doch die Zerstörung oder Verdrängung des anderen hat keiner von ihnen im Sinn. Ganz im Gegenteil: Irgendwann spielt einer von ihnen sogar ernsthaft mit dem Gedanken, sich für seinen Bruder das Leben zu nehmen – das eröffnet Parallelen zu realen medizinischen Dilemmata etwa bei der Trennung siamesischer Zwillinge, was von Patricia Clarkson („Sharp Objects“) als um emotionale Distanz bemühte Dr. Mina Nariman zusätzlich untermauert wird. In Gesprächen zwischen ihr und den Brüdern eröffnen sich einem plötzlich die gleichermaßen moralischen, ethischen und auch medizinischen Dimensionen dieses Falls eines Einkörper-Mehrbewusstseins. Eine scheinbar unlösbare Zwickmühle, die von Bill Oliver schließlich angemessen mehrdeutig und wunderbar melancholisch aufgelöst wird.

    Fazit: Das Science-Fiction-Drama „Jonathan“ über zwei Brüder, die sich einen Körper teilen, eröffnet vielfältige Diskussionsebenen, die einen bemerkenswert persönlichen Blickwinkel auf eine eigentlich bekannte Genre-Prämisse zulassen. Das entschädigt aber nur zum Teil für das sehr behäbige Tempo und Ansel Elgorts lange Zeit eindimensionales Spiel.

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