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    Wonka
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Wonka

    Die bravste Verfilmung, seit es Willy Wonka gibt

    Von Sidney Schering

    Bereits zwei Kinofilme widmeten sich dem Schokoladenfabrikanten Willy Wonka: Sein Leinwanddebüt feierte der 1964 von Kinderbuchautor Roald Dahl erfundene Exzentriker 1971 mit dem Musical „Charlie und die Schokoladenfabrik“. Darin wurde die Rolle von Gene Wilder neckisch und manisch verkörpert, während Johnny Depp 34 Jahre später in Tim Burtons Remake neurotischer auftrat. Mit „Call Me By Your Name“- und „Dune“-Star Timothée Chalamet betritt nun eine weitere Wonka-Interpretation das Feld.

    Diese ist noch nicht Schokoladenfabrikant, sondern bloß ein junger Süßwarenverkäufer. Und es ist die sanftmütigste, harmloseste Wonka-Variante, die es je in einem Realfilm zu sehen gab. Angesichts dessen, dass „Paddington“-Regisseur Paul King das Chalamet-Vehikel inszenierte, dürfte das nicht sonderlich überraschen. Überraschend ist derweil, dass King nach zwei in sich absolut runden Filmen über einen gütigen Bären mit „Wonka“ einen Film verantwortet, der zwar mundet, aber Raffinesse missen lässt.

    Timothée Chalamet will euch als Willy Wonka den Tag versüßen

    Willy Wonka (Timothée Chalamet) will die Welt mit seinen wundersamen Süßigkeiten verzaubern und glaubt, den perfekten Standort für seinen ersten Schokoladenladen gefunden zu haben. Dieser ist jedoch in den Händen eines Kartells, bestehend aus den Schokoladenfabrikanten Slugworth (Paterson Joseph), Prodnose (Matt Lucas) und Fickelgruber (Mathew Baynton). Um seine Marktmacht zu sichern, schmiert das Trio sogar den örtlichen Polizeichef (Keegan-Michael Key)!

    Obendrein fällt Wonka auf das verbrecherische Pärchen Mrs. Scrubbit (Olivia Colman) und Bleacher (Tom Davis) herein. Also muss er horrende Schulden beim fiesen Duo abarbeiten – dabei hat er schon Schulden beim hochnäsigen Oompa Loompa Lofty (Hugh Grant)! Rückhalt findet Wonka allein bei der gutherzigen Waise Noodle (Calah Lane), die ebenfalls von Mrs. Scrubbit und Bleacher ausgebeutet wird. Gemeinsam hecken sie einen Plan aus, um sich ihre Leben zu versüßen...

    Bonbonbunter Wonka ohne finstere Seiten

    King hat sich für das „Wonka“-Drehbuch erneut mit seinem „Paddington 2“-Schreibpartner Simon Farnaby zusammengetan, was dem in Bonbonfarben gehüllten Musical deutlich anzumerken ist: Erneut geht es um eine naive Hauptfigur in einem hinterlistigen System. Während Paddington unschuldig ins Gefängnis musste, wird Chalamets Wonka durch dreiste Tricks in die Lohnsklaverei getrieben, aus die er sich mittels neuer Freundschaften, Einfallsreichtum und nimmermüder Herzensgüte retten muss.

    Diese Story-Rezeptur hat beim warmherzigen Bären fabelhaft funktioniert. Mit Wonka im Mittelpunkt dagegen fällt sie unausgewogen aus: Dahls Bücher sind fast ausnahmslos von einer harschen Note bitteren Humors durchzogen, die direkt unter der fantasievollen Oberfläche liegt. Dem wurden sowohl Wilder als auch Depp gerecht – doch Chalamets Wonka gehen die finsteren Seiten vollkommen ab. Er trägt zwar das markante Outfit mit Zylinder sowie lilafarbenem Mantel, und er teilt sich mit seinen Vorgängern die Begeisterung für absonderliche Zusammenstellungen. So gehören zu den Zutaten seiner Leckereien die Tränen russischer Clowns, Insekten und Giraffenmilch.

    Fantasievolle Tanz- und Gesangsnummern ohne bittere Note

    Charakterlich ist der „Wonka“-Protagonist allerdings Paddingtons Bruder im Geiste. Natürlich muss man King auch bei einem Stoff wie diesem künstlerische Freiheit zugestehen, doch sein Ansatz leidet vor allem darunter, dass er nicht konsequent verfolgt wird. Stattdessen weicht Chalamets Darbietung so abrupt wie unregelmäßig von ihrer großäugigen, sanften Art ab. Dann wird Chalamets Stimme scharf, sein Duktus strenger, und er macht kantige, manische Kopfbewegungen – er gibt quasi eine Kostprobe, wie sein verrückter, gefährlicher Wonka ausgesehen hätte. Bloß, dass diese Kostproben weder narrativ motiviert sind noch thematisch von Belang.

    Wohl aber verstärken sie den Eindruck, dass Chalamet nicht ganz in seine Rolle gefunden hat: Er beweist sich als fähiger Tänzer, der beschwingt steppt und mit kindlichem Pathos selbst leblose Gegenstände zu Tanzpartnern macht. Und auch wenn er bei ruhigeren Liedern zwischendurch dünnstimmig wird, zeigt er viel Witz und Rhythmusgefühl in den komödiantischen Nummern. Allerdings verschwindet er nur selten hinter seiner Rolle: Für den Großteil des Films wirkt Chalamet wie der Gaststar einer schillernd ausgestatteten Vaudeville-Revue, nicht wie die Hauptfigur einer märchenhaften Erzählung.

    Hugh Grant ist der wahre Star des Films

    Chalamet ist vor allem dann am richtigen Ort, wenn er mit Jungschauspielerin Calah Lane interagiert: Wie Wonka und Noodles sich gegenseitig aufbauen und selbst die skurrilsten Unternehmungen mit Selbstverständlichkeit anpacken, ist so natürlich wie liebenswert – selbst wenn ihre gemeinsamen Dialoge recht glatt geraten sind. Ihre eher braven Wortwechsel gestatten es den schrägeren Randfiguren wiederum, mehrfach Szenen an sich zu reißen. Sei es Colman als selbstgefällige Ausbeuterin, Davis als ihr tumber Mitverschwörer oder Key als korrupter Dummbatz.

    Der wahre Star des Films ist allerdings Hugh Grant als hochnäsiger, wieselflinker Oompa Loompa in Dandy-Klamotten: Ähnlich wie in „Paddington 2“ oder „Operation Fortune“ strahlt Grant eine grummelig-ironische Freude am Abstrusen aus. Die gestattet es ihm, sich mit diebischem Vergnügen durch seine wenigen Filmminuten zu knuspern, als wären sie eine von Wonkas besonderen Köstlichkeiten. Das wertet den Film definitiv auf, verdeutlicht aber zugleich, wie sehr diese aufmüpfige Art an anderen Stellen fehlt.

    Hugh Grant als Oompa Loompa ist ein echter Glücksgriff

    Kings Ansatz, Dahls Werk auf die zauberhaften Seiten zu reduzieren, harmoniert indes mit seinen ästhetischen Entscheidungen: „Paddington 2“-Kostümdesignerin Lindy Hemming kleidet den Cast in farbenfrohe, überzeichnete Outfits, „The Dark Knight“-Szenenbildner Nathan Crowley erschafft ein Ländergrenzen und Epochen verschmelzendes Dorf, in das sich dahl'sche Fantastereien nahtlos einfügen. Und „Last Night In Soho“-Kameramann Chung-hoon Chung lässt diese bunte, kuriose Filmwelt schillern:

    Während in Sequenzen vor weitläufigen Hintergründen der Look etwas steril wird (auch, da sich in ihnen am ehesten schwächere Digitaltricks bemerkbar machen), sind die intimeren Schauplätze stimmungsvoll. Und ein nächtliches, verträumtes Tänzchen auf einem gülden beleuchteten Glasdach nimmt fast traumhafte Formen an. Trotzdem werden die ruhigen Musicaleinlagen von den komödiantischen überschattet: In ihnen zeigt Songschreiber Neil Hannon Gespür für Rhythmen und Text, die durch Wiederholung und leichte Abwandlungen immer komischer werden.

    Der Optimismus-Ballade „A World Of Your Own“ mangelt es dagegen an Persönlichkeit, sodass nur die paar Takte im Ohr bleiben, die auf den Film von 1971 verweisen. Ähnlich verhält es sich mit den von Christopher Gattelli entworfenen Choreografien: Je kleiner, scherzhafter und sonderbarer, umso denkwürdiger. Da stiehlt mal eben der trübe Waschdienst-Alltag im Keller von Mrs. Scrubbits Gasthaus jeglichem ausladenden Getümmel der erfreuten Wonka-Kundschaft die Schau. Ob das Jungspund-Wonka schmecken würde?

    Fazit: Die schrill verpackte Vollmilch-Tafel unter den Willy Wonkas: „Wonka“ ist gefällig und aufmunternd-süßlich, unter der kunterbunten Oberfläche verbirgt sich aber wenig, das denkwürdig wäre.

     

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