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    The Hate U Give
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Hate U Give

    Immer auf Augenhöge mit dem Zielpublikum

    Von Antje Wessels

    2017 wurden in den USA 987 Menschen durch Polizeikugeln getötet. 24 mehr als im Vorjahr. 22 Prozent der Opfer waren männliche Schwarze. Das klingt erst einmal nicht so, als würden die Zahlen den oft erhobenen Rassismusvorwurf bestätigen. Allerdings sieht es damit schon ganz anders aus, wenn man der Statistik noch zwei weitere Fakten hinzufügt: Zum einen macht der Anteil schwarzer Männer an der US-Bevölkerung gerade mal sechs Prozent aus. Zum anderen war fast jeder zehnte der erschossenen Schwarzen unbewaffnet. Struktureller Rassismus, speziell in der Strafverfolgung, ist also nicht von ungefähr ein Anlass zahlreicher Proteste, die immer wieder hochkochen.

    Verarbeitet wurde das Thema in Hollywood schon oft. In Filmen von „Wer die Nachtigall stört“ bis zu „Detroit“. Allerdings haben all diese Filme eine Sache gemeinsam: Sie richten sich in erster Linie an Erwachsene. Ganz anders aber der Roman „The Hate U Give“ von Angie Thomas, der mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde und in dem die willkürliche Gewalt und der strukturelle Alltagsrassismus, dem sich Schwarze in den USA ausgesetzt sehen, aus der Sicht einer Teenagerin geschildert wird. George Tillman Jr. hat das Buch nun verfilmt und schafft mit „The Hate U Give“ einen gerade für die jüngere Zielgruppe sehr zugänglichen Film über ein komplexes Thema.

    Starr (Amandla Stenberg) lebt in zwei Welten: In ihrem Viertel Garden Heights wohnen hauptsächlich schwarze Familien. Die Kriminalitätsrate ist hoch, was vor allem am florierenden Drogenhandel liegt. Aus diesem Grund gehen Starr und ihre Geschwister auf eine ganz überwiegend von weißen Schülern besuchte Privatschule. Die Sechzehnjährige fühlt sich in beiden Milieus wohl, auch wenn ihre innere Zerrissenheit mit jedem Tag zunimmt. Als sie eines Abends auf einer Party ihren Jugendschwarm Khalil (Algee Smith) wiedertrifft und kurz darauf mit ihm die Party verlässt, werden sie von einer Polizeistreife angehalten. Plötzlich fallen Schüsse und Khalil stirbt auf offener Straße. Starr hat alles mit angesehen und gilt als wichtigste Zeugin. Doch sie zögert mit ihrer Aussage, denn mit dieser würde sie den Anführer (Anthony Mackie) der King Lords gegen sich aufbringen, für den Khalil gedealt hat. Zur gleichen Zeit formiert sich eine Protestbewegung, die Khalils Tod nutzen will, um auf das Thema Polizeigewalt aufmerksam zu machen…

    Regisseur George Tillman Jr. hat sich im Laufe seiner Karriere bereits mit allen möglichen Genres beschäftigt. So inszenierte er neben dem Biopic „Notorious B.I.G.“ und dem Actionfilm „Faster“ auch die Nicholas-Sparks-Romanze „Kein Ort ohne Dich“ oder mehrere Episoden der gefeierten Dramaserie „This Is Us“. Diese tonale Bandbreite kommt nun auch „The Hate U Give“ zugute, denn selbst wenn das im Fokus stehende Thema jederzeit ernst verhandelt wird und Tillman Jr. auch eine gewisse Drastik nicht scheut (man sieht beispielsweise sehr explizit, wie quälend langsam Khalil nach den tödlichen Schüssen auf der Straße verblutet), besitzt der Film eben keinen typisch-spröden Drama-Look, sondern wirkt mit seinen hellen Farben und weichen Konturen optisch zunächst fast schon wie eine Coming-of-Age-Tragikomödie der Marke „Love, Simon“. Doch je weiter die Story voranschreitet und auf ihren eskalierenden Höhepunkt zusteuert, desto trostloser werden die Bilder. Das versinnbildlicht sehr schön, wie sich die zunächst so heitere und aufgeschlossene Starr (ihr Name bedeutet nicht umsonst so viel wie „Leuchten“) nach und nach verschließt, bis sie auch für die schönen Dinge um sich herum kaum noch Freude empfindet.

    Dieser schleichende Prozess wird präzise herausgearbeitet und von der hochengagierten Newcomerin Amandla Stenberg („Die Tribute von Panem – The Hunger Games“) angemessen ambivalent gespielt. Nicht ganz so subtil ist allerdings, wie das Skript der Drehbuchautorin Audrey Wells gerade in der ersten Hälfte das kriminelle Milieu in Garden Heights schildert. Da schleicht sich in der Darstellung dann doch der ein oder andere klischeehafte Moment ein. Aber auch hier gibt es einige spannende Beobachtungen, etwa wie Starr von ihren schwarzen Freunden über das Partyleben „der Weißen“ ausgefragt und wie ihr wiederholt vorgeworfen wird, sie sei jetzt aber selbst schon „ganz schön weiß“. Etwas aufdringlich wirkt hingegen die zum Teil sehr offensichtliche Symbolik. So wird der Tupac-Song „Thug Life“, der den Titel und den Roman „The Hate U Give“ maßgeblich inspiriert hat, gleich an zwei Stellen haarklein erklärt. Zudem mogeln sich immer wieder ausformulierte Lebensweisheiten in die Dialoge der Figuren, die der Authentizität des Szenarios nicht unbedingt guttun.

    „The Hate U Give“ ist einer dieser Filme, die mit fortlaufender Spieldauer immer besser werden. Vor allem Starrs inneren Konflikt arbeitet Tillman Jr. sehr sensibel heraus. Den Höhepunkt der angepeilten Ambivalenz bildet dabei ein Gespräch zwischen Starr und dem befreundeten Cop Carlos (Common), der ihr erklärt, welche Faktoren die Polizisten bei einer Verkehrskontrolle berücksichtigen müssen. Dabei macht er zunächst sehr deutlich, weshalb die Stimmung bei einer solchen Aktion von Anfang an angespannt ist und die Emotionen schnell hochkochen können. So schaffst er Verständnis für sich und seine Kollegen. Zugleich entlarvt Starr aber auch hier schnell den unterschwelligen Rassismus, von dem sich, wie in diesem Fall, auch Schwarze selbst nicht immer vollständig freimachen können. Ein weiterer starker Handlungsstrang befasst sich mit der Freundschaft zwischen Starr und einer weißen Mitschülerin. Wenn Starr ihr im letzten Drittel aufzeigt, was für kleine Äußerungen und Gesten ihr gegenüber bereits Ausdruck von (Alltags-)Rassismus sind, dann steht „The Hate U Give“ der meisterhaften Horrorsatire „Get Out“ in Sachen Augenöffnen in nichts nach.

    Fazit: „The Hate U Give” verhandelt ein ebenso dringliches wie komplexes Thema ganz auf der Augenhöhe seines jugendlichen Zielpublikums, das er zu jeder Zeit angenehm ernstnimmt, selbst wenn das Finale allzu plakativ geraten ist.

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