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    Aus nächster Distanz
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Aus nächster Distanz
    Von Manuel Berger

    Der Nahostkonflikt treibt Eran Riklis um, freilich schon allein aufgrund seiner israelischen Herkunft. In seinen Filmen sucht der Regisseur seit Jahren neue Ansätze, sich des Themas anzunehmen. Gerne bricht er den Sachverhalt mit seiner weltpolitischen Tragweite auf eine persönliche Ebene herunter, etwa im mehrfach ausgezeichneten „Lemon Tree“. Auch in „Aus nächster Distanz“ folgt er einer ähnlichen Strategie: Hier treffen Hisbollah und Mossad aufeinander, doch statt internationale Ränkespiele in einem actiongeladenen Politthriller mit allerlei undurchsichtigen Figuren zu inszenieren, verlegt Riklis die Auseinandersetzung nach Deutschland, genauer gesagt in eine kleine Hamburger Wohnung. Die macht er zum Schauplatz eines ruhig erzählten Kammerspiel-Dramas, dessen zentrales Motiv die Annäherung ist – und nicht etwa Wut und Aggression.

    Zwei Jahre lang war die Agentin Naomi (Neta Riskin) nach einem Schicksalsschlag nicht mehr für den Mossad aktiv. Nun soll sie zurückkehren und die libanesische Informantin Mona (Golshifteh Farahani) beschützen. In Hamburg erholt sich diese von einer Gesichtsoperation, die ihr ein neues Leben ermöglichen soll. Was zunächst nach einem einfachen „Babysitter“-Auftrag klingt, entpuppt sich bald als nervenaufreibende Belastungsprobe, denn beide Frauen schleppen schwere psychische Lasten mit sich herum. Und nun müssen sie auf engstem Raum zwei Wochen miteinander verbringen, ohne gegenseitig ihre wahre Identität zu kennen. Außerdem steht die Hisbollah, die Mona jagt, kurz davor, das Safehouse ausfindig zu machen…

    Eran Riklis bewahrt in „Aus nächster Distanz“ stets einen kritischen Blick auf die Verhältnisse und glorifiziert keine der beteiligten Parteien – das ist eine Stärke des Films. Die Protagonistinnen stehen auf Seiten des israelischen Geheimdiensts, aber das hindert den Regisseur nicht daran, auch die schmutzigen Deals des Mossad anzudeuten. Auf der anderen Seite wird auch die Hisbollah nicht eindimensional als das „pure Böse“ dargestellt, vielmehr gibt es auch in ihren Reihen Zweifel und Wandel. Und obwohl der Filmemacher eng bei seinen Figuren bleibt, reißt er die internationale Dimension des Konflikts zumindest an und hinterfragt dabei auch die Machenschaften deutscher und amerikanischer Funktionäre.

    Auch die beiden Frauen im Zentrum des Films haben moralisch keine blütenweiße Weste, Riklis hält ihre Motivation lange komplett verborgen. „Alles was du tun musst, ist nett zu mir zu sein“, blafft Mona Naomi zur Begrüßung an. Mit viel Geduld treibt der Regisseur von dort ausgehend eine teils auch für den Zuschauer zähe Annäherung zwischen den beiden Frauen voran, die niemandem vertrauen, aber – anfangs unwissentlich – auf dasselbe Ziel zusteuern: soziale Reintegration. Mona, die alles aufgeben musste und im wahrsten Sinne des Wortes ihr Gesicht verloren hat, sehnt sich nach weltlicher Vergnügung, nach Freiheit, würde aber ihr Leben aufs Spiel setzen, wenn sie diesem Verlangen nachgibt. Naomi dagegen hat sich aus Schmerz von all dem isoliert und lernt erst durch Mona, die Freuden des Lebens wieder zu schätzen.

    Einmal takeln sie sich auf, mit Make-Up, neuen Frisuren und bunten Sonnenbrillen und stellen sich vor, wie es wäre, so um die Häuser zu ziehen. Ein anderes Mal feiern sie den Geburtstag von Monas zurückgelassenem Sohn – mit Geschenken und Girlanden. Die hervorragenden Darstellerinnen Golshifteh Farahani („Paterson“) und Neta Riskin („Anderswo“) zeigen besonders in diesen Szenen viel Feingefühl und machen die verdrängten Sehnsüchte, aber auch die tiefsitzenden Verletzungen der Frauen spürbar. Dass Riklis den beiden Figuren aber auch noch die Andeutung einer Romanze ins Drehbuch schreibt, erweist sich als wenig nachvollziehbar und auch bei Naomis Paranoia findet er nicht das rechte Maß und übertreibt es schlicht ein wenig. Aber während er inhaltlich punktuell übers Ziel hinausschießt, macht sich seine inszenatorische Zurückhaltung bezahlt – und so wird „Aus nächster Distanz“ zum leisen, aber nachdrücklichen Plädoyer für ein neues Miteinander.

    Fazit: „Aus nächster Distanz“ ist ein versöhnliches Kammerspiel vor dem Hintergrund des unversöhnlichen Nahostkonflikts und vor allem durch seine beeindruckenden Hauptdarstellerinnen sehenswert.

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