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    Über die Unendlichkeit
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Über die Unendlichkeit

    Dann ist irgendwie auch alles egal

    Von Christoph Petersen

    Mit „Songs From The Second Floor“ (2002), „Das jüngste Gewitter“ (2007) und „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“ (2014 in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet) hat Regisseur Roy Andersson eine meisterhafte Trilogie über nicht weniger als das menschliche Wesen abgeliefert. Ohne Handlung im engeren Sinne erzählt er darin mit pessimistischer Prägnanz, mit viel schwarzem Humor und in starren Einstellungen, die wie gräulich-ausgebleichte Gemälde komponiert sind, von der (Un-)Möglichkeit des menschlichen (Zusammen-)Lebens. In „Über die Unendlichkeit“ bleibt der Schwede seinen üblichen Markenzeichen treu: geisterhaft weißgeschminkte Männer, historische Referenzen, präzise gestaltete Tableaus, größtmögliche Reduktion. Ein typischer Andersson eben, nur springt der Funke diesmal nicht über. Statt bis zum Grotesken stoßen seine Beobachtungen zu oft nur bis zum Banalen vor – und das macht „Über die Unendlichkeit“ trotz einiger starker Momente zu einer eher frustrierenden als inspirierenden Seherfahrung.

    Ein Priester verliert seinen Glauben an Gott, aber sein Arzt muss den Bus noch erwischen, weshalb er den gottlosen Patienten mit der Hilfe seiner Sprechstundenhilfe ziemlich unsanft wieder aus der Praxis befördert. Ein Mann sitzt in einem voll besetzten Bus und weint, weil er nicht weiß, was er will. Die anderen Fahrgäste diskutieren, ob man das denn dürfe, so in der Öffentlichkeit traurig sein, oder ob man das nicht doch lieber in den eigenen vier Wänden tun sollte. Ein Vater bindet seiner Tochter auf dem Weg zu einer Geburtstagsfeier die Schuhe. Eine Frau steigt aus dem Zug, aber der Mann, der sie abholen wollte, ist noch nicht da. Kurz darauf kommt er dann doch. Hitler sieht in seinem Bunker nicht glücklich aus, während der Putz wegen der Bombeneinschläge von der Decke rieselt. Ein Mann schläft schlecht, weil er Banken nicht traut und deshalb alle Habseligkeiten in seiner Matratze verbirgt. Ein Kellner verschüttet Wein, weil er gerade nicht aufpasst. Und ein Paar schwebt engelsgleich in den Wolken über den Ruinen des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Köln …

    Direkt zu erkennen: ein Film von Roy Andersson.

    In der Tradition der Erzählerin Scheherazade aus „Tausendundeiner Nacht“ werden die einzelnen Miniaturen von der zärtlichen Stimme einer Off-Sprecherin eingeleitet: „Ich sah einen Mann, der …“ Manchmal sind die Dinge, von denen sie berichtet, grotesk lustig, so wie der Zahnarzt, der frustriert von seinem Patienten mitten in der Behandlung aufsteht und lieber zum Trinken in die Kneipe geht. Manchmal werfen sie auch interessante Gedanken auf, etwa wenn zwei Teenager darüber sprechen, dass nichts wirklich vergeht, sondern sich alles immer nur verändert – ein tiefes philosophisches Konzept, das sie schließlich zu der nicht ganz so tiefen Einsicht treibt, dass sie später lieber eine Tomate als eine Kartoffel sein wollen. Aber das meiste bleibt dann doch schrecklich banal. Natürlich kann man versuchen, auch in diese Beobachtungen noch etwas hineinzuinterpretieren, aber Andersson liefert seinen Zuschauern diesmal viel weniger spannende Reizpunkte, um mit ihm in seine aschfahle, trotz dreier tanzender Mädchen von einer existenziellen Hoffnungslosigkeit durchzogene Kunstwelt hinabzusteigen.

    Nach dem Wesen der Menschen nun also gleich die Unendlichkeit. Nur ist es halt so, dass wenn man über alles reflektiert, man im selben Moment auch über gar nichts reflektiert. Und so wirken die Vignetten diesmal auch beliebiger zusammengewürfelt als bei Anderssons vorherigen Filmen, in denen es zwar auch keine stringente Handlung, aber doch eine verbindende Atmosphäre und Thematik gab. Da bleiben dann nur noch die wunderbaren Einzelmomente hängen, die Loriot-artig vorgetragene Panne beim Weineinschenken oder die Jesusprozession, in der der ungläubige Priester in seinen Albträumen mit Rosenkranz auf dem Kopf und Holzkreuz auf dem Rücken durch die Stadt gepeitscht wird. Aber als Ganzes erweist sich „Über die Unendlichkeit“ als herbe Enttäuschung – und dafür ist dann auch die finale Szene im Film ein durchaus passendes Motiv. Ein Mann bleibt mit seinem alten Renault am Straßenrand liegen und schaut unter die Motorhaube, bevor wie aus dem Nichts der Abspann rollt. Eine wenig subtile und auch nicht sonderlich reizvolle Metapher für das Ende, das Leben und den ganzen Rest.

    Fazit: Eine gefühlte Unendlichkeit von der Qualität früherer Roy-Andersson-Filme entfernt.

    Wir haben „Über die Unendlichkeit“ auf dem Filmfestival in Venedig gesehen, wo er im offiziellen Wettbewerb gezeigt wurde.

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