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    Weil du nur einmal lebst - Die Toten Hosen auf Tour
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Weil du nur einmal lebst - Die Toten Hosen auf Tour

    Fans kommen auf ihre Kosten

    Von Tobias Mayer

    Meine Freunde und ich tragen die Mitverantwortung für eine der wohl größten Ruhestörungen in der Geschichte des Berliner Stadtteils Wedding. Im Mai 2012 räumten wir das Wohnzimmer eines Kumpels leer, oben im vierten Stock seiner kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung unweit der ehemaligen Mauergrenze Bernauer Straße. Wir schleppten Gitarren, Verstärker, ein Schlagzeug sowie etliche Kabel in den nur 19 Quadratmeter großen Raum und erlebten am Abend, das kann ich an dieser Stelle ohne Übertreibung festhalten, das Konzert unseres Lebens. Die etwa 30 Gäste quetschten sich auf einen schmalen Streifen zwischen Tür und Balkon und waren schon am Ende von Lied Nummer eins völlig durchgeschwitzt. Der Eröffnungssong, der wie alle folgenden nicht nur durch das ganze Haus, sondern auch hinaus bis zu weit entfernten Nachbarn schepperte, hieß „Strom“. Und die Band, die ihn spielte, nannte sich Die Toten Hosen.

    Eine der erfolgreichsten deutschen Band tourte zu ihrem 30-jährigen Jubiläum – mal wieder – durch die Häuser und Wohnungen ihrer Fans (es gab damals etwa 4.500 Bewerber). Zwar wurden zu allen 16 Gigs auch YouTube-Videos angefertigt, aber die PR allein dürfte kaum die ausschlaggebende Motivation gewesen sein: Wieso sollte sich eine derart bekannte Band freiwillig und für lau (gezahlt haben wir nur für Verpflegung und Renovierungsmaßnahmen) in die Bude von Leuten stellen, die sie nicht mal kennt? Die Jungs, 2012 bereits so um die 50 Jahre alt, hatten eben einfach Bock! Um gemeinsam zur Drei-Akkord-Musik auszurasten, braucht es eben nicht zwingend 30.000 Zuschauer, da reichen auf engem Raum auch 30. Diese Haltung aus ihren Punk-Tagen haben sich die Hosen bewahrt – und auch was die handwerkliche Qualität der Musik angeht, steht ein Wechsel zu den Profis zumindest bei den meisten der Bandmitglieder noch immer nicht in Aussicht.

     

    Volle Konzentration auch schon bei der Probe.

    Aber genau dafür lieben Fans wie ich die Band! Und in der Doku „Weil du nur einmal lebst - Die Toten Hosen auf Tour“, für die Cordula Kablitz-Post die Gruppe auf ihrer 2017/2018-Tour durch Deutschland, die Schweiz und Argentinien begleitete, kommen die Hosen noch immer so rüber, wie sie sich ihren Anhängern über die Jahre auf großen wie kleinen Bühnen und in unzähligen Interviews präsentiert haben: bodenständig, immer bereit und ganz bestimmt nicht perfekt. Die Offenheit der Hosen ist immer sympathisch und manchmal saulustig. Ganz gelegentlich gibt es im Film auch entlarvende Momente, aber neue Einsichten werden leider keine geboten. Zudem kommt Regisseurin Kablitz-Post der Band auch nicht so nahe, wie es im ersten Moment womöglich den Anschein hat.

    Wir sind noch keine 60, und wir sind auch nicht nah dran“, singen die Hosen seit 1986 in ihrer „Leckt uns alle am Arsch“-Hymne „Wort zum Sonntag“. Aber so langsam gehört der Text mal geändert, schließlich ist die 2017 gestartete „Laune der Natour“-Tour die letzte vor Campinos 60. Geburtstag. Doch was soll man länger auf dem Alter rumreiten: Die Hosen spielen zum Glück weiter, bis sie direkt von der Bühne in die schon längst reservierten Gräber des Düsseldorfer Südfriedhofs fallen. Wobei Campino im Laufe der Tour auch selbst sehr unangenehm an den körperlichen Verfall erinnert wird: Ein Hörsturz nach dem Berliner Waldbühnen-Konzert im Juni 2018 zwingt die Band zur wochenlangen Pause. „Ohren auf bei der Berufswahl“, kommentiert der angeschlagene Frontsänger, aber zum Lachen ist in diesem Moment keinem seiner Bandkollegen zumute…

    Fehler gehören dazu, gemotzt wird trotzdem

    Eine Tour kann verdammt anstrengend sein – auch wegen Campinos Launen. Er wird sauer, wenn auf der Bühne oder auch nur bei den Proben ein Fehler passiert, weshalb die anderen sein Gemotze aushalten müssen (und der Kameramann mit einem wohl eher nicht ganz sauberen Handtuch beworfen wird). Eine Tour kann aber auch verdammt langweilig sein: Im Bus auf der Autobahn zwischen zwei Konzertstädten hängen selbst die Rockstars müde am Smartphone rum, auch wenn sie wenige Stunden zuvor noch die Verfügungsgewalt über die Körper und Stimmen vieler tausend Fans innehatten.

    Cordula Kablitz-Post, seit mehr als zehn Jahren eine Begleiterin der Band, kontrastiert die Konzertaufnahmen immer wieder mit Bildern des teils grauen Tour-Alltags aus Proben, Rumfahren und Rumsitzen. Damit zerschießt sie die romantisierte Vorstellung eines Rockstar-Lebens und zeigt die Hosen darüber hinaus als Normalo-Kapelle, die sich auch nach 35 Jahren und etlichen Radio-Hits noch zuverlässig verspielt, obwohl sie sehr viel übt. Die Jungs hören sich eben weder wie eine Wir-kloppen-irgendwie-drauflos-Punkgruppe, noch wie eine gutgeölte Vollprofi-Band an. Das ist alles sympathisch und wahrscheinlich recht nahe an der tatsächlichen Bandrealität – aber halt auch nicht mehr als das Bild, das die Hosen schon seit vielen Jahren bereitwillig von sich selbst in vielen Interviews und Reportagen zeichnen.

    Nachsicht mit Campino

    „Weil du nur einmal lebst“ ist damit weniger ein Film über als ein Film von den Toten Hosen. Die Dynamik innerhalb der Band mit ihren klaren Machtverhältnissen, die übrigens in Eric Friedlers Fernseh-Doku „Nichts als die Wahrheit“ (2012) noch deutlich klarer herausgearbeitet wird, bleibt deswegen weitestgehend unbeleuchtet. Nur an wenigen Stellen bekommt man eine Ahnung davon, dass Campino als zwar nicht offizieller, aber faktischer Chef die anderen mehr nervt, als sie es im Film (und vielleicht auch voreinander) zugeben wollen. Wenn Campino wie gewohnt zu spät kommt, wird das von den anderen – obwohl es sie offenkundig stört – mit einer Selbstbeschwichtigung der Sorte „Kann man halt nichts machen.“ abgetan.

    Ab und an nervt „Weil du nur einmal lebst“ zudem mit oberflächlicher und abgedroschener Hosen-Folklore, etwa wenn Bassist Andy Meurer und sein Die-Ärzte-Kollege Rod Gonzalez mal wieder von der vor Urzeiten beendeten, medial aufgebauschten Feindschaft der Bands erzählen. Aber was soll's: Oft genug ist die Tour-Doku auch einfach nur entwaffnend witzig. Man kann einem Film schließlich gar nicht böse sein, in dem die Gitarristen Kuddel und Breiti das musikalische Rezept der vielleicht berühmtesten Bands Deutschlands darauf runterbrechen, schnelle Achtel zu spielen – zumindest wenn sie es denn mal alle im gleichschnellen Tempo hinbekommen.

    Fazit: Launiger, wenn auch etwas oberflächlicher Fanservice ohne neue Einblicke oder Erkenntnisse.

    Wir haben „Weil du nur einmal lebst - Die Toten Hosen auf Tour“ im Rahmen der Berlinale 2019 gesehen, wo der Film in der Sektion Berlinale Special gezeigt wurde.

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