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    Zola
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Zola

    Eine Twitteraturverfilmung

    Von Jochen Werner

    Y'all wanna hear a story about why me & this bitch here fell out???????? It's kind of long but full of suspense.“ Mit diesem Tweet, der rasch viral ging, setzte die afroamerikanische Sexarbeiterin A'Ziah „Zola“ King am 27. Oktober 2015 an, eine am Ende 147 (!) Tweets umfassende True-Crime-Geschichte zu erzählen. Zigtausend Twitter-Follower*innen verfolgten ihre auch von diversen Hollywoodstars und -sternchen geteilte Erzählung gebannt. Auf den Fotos, die King dazu postete, war sie gemeinsam mit Jessica Rae Swiatkowski zu sehen, die sie zunächst nur als „white bitch“ vorstellte.

    Die beiden jungen Frauen hatten sich in einem Hooters-Restaurant kennengelernt, wo Zola kellnerte, und dann rasch festgestellt, dass sie sich beide als Stripperinnen etwas dazuverdienen. Also wurde beschlossen, gemeinsam einen „hoe trip“ nach Florida zu unternehmen – eine Art Dienstreise also, die nicht ungewöhnlich ist in der Sexworkbranche, in der es auch darauf ankommt, neuen Kunden an neuen Orten stetig neue Schauwerte zu bieten.

    Zunächst ist die Reise nach Florida noch ein echtes Abenteuer ...

    Nach anfänglicher Skepsis lässt sich Zola darauf ein, mit der noch ganz frischen neuen Freundin, ihrem Partner Jarrett und ihrem nigerianischen Mitbewohner „Z“ nach Tampa zu fahren – eine fatale Fehleinschätzung, die sie unversehens in eine Spirale aus Menschenhandel und Gewalt hineinrutschen lässt. Die Namen wurden in der Verfilmung ausgetauscht – aus Jessica wird Stefani, aus Jarrett wird Derrek, aus Z wird X. Aber ansonsten klappert Regisseurin Janicza Bravo die Social-Media-Story derart gewissenhaft Tweet für Tweet ab, dass man „Zola“ mit Fug und Recht als eine werkgetreue Literaturverfilmung betrachten kann, selbst wenn ihr nur ein Haufen Tweets und kein Roman zugrundeliegt.

    Und als True-Crime-Kurzgeschichte gibt Zolas Erzählung auch durchaus einen guten Filmstoff her. In Tampa angekommen, stellt sich X (Colman Domingo) nämlich als gewaltbereiter Zuhälter heraus, der nicht nur Anspruch auf den Verdienst von Stefani (Riley Keough) erhebt, sondern sie auch als Full-Service-Prostituierte zum Schnäppchenpreis im Netz verhökert. Die ob dieser unerwarteten Umstände verstörte Zola (Taylour Paige) wird per Gewaltandrohung daran gehindert, den Road Trip in die Zwangsprostitution abzubrechen. Welche Rolle Stefani in dieser mehr als nur ein bisschen dubiosen Konstellation allerdings wirklich spielt, wird immer unklarer – spätestens, als der eifersüchtige und nicht besonders helle Derrek (Nicholas Braun) enthüllt, dass es keineswegs das erste Mal ist, dass sie nichtsahnende junge Frauen in die Fänge ihres Zuhälters lockt…

    Kurz und knackig in maximal 280 Zeichen

    Das Positivste, was sich über „Zola“ sagen lässt, ist zunächst einmal, dass er die zentralen Prinzipien von Twitter – fasse dich bündig, kürze alles Überflüssige raus, sei pointiert – auch auf sein filmisches Narrativ anwendet. In knappen 86 Minuten ist die Geschichte erzählt – und stylish sieht es auch aus, wie man es von adaptiertem Social-Media-Content und der für schicke Hipster-Ästhetik bekannten Independent-Filmschmiede A24 („The Green Knight“) wohl zu Recht erwartet. Die Voraussetzungen sind also eigentlich ganz gut für einen rasanten, hochglänzenden kleinen Thriller. Leider geht die Rechnung nicht so ganz auf, und das liegt vielleicht auch an der angestrebten Werktreue.

    Tatsächlich bemüht sich „Zola“ immer ein bisschen zu sehr, den Tonfall des adaptierten Twitter-Threads zu treffen – und ähnlich wie werkgetreue Literaturadaptionen sich stets der Gefahr aussetzen, in ihrer Nachbildung eines nach anderen Regeln funktionierenden Mediums trocken, ja, buchstäblich papieren zu wirken, da wirkt der Twitterjargon hier immer wieder unfreiwillig komisch, wenn man ihn von Filmfiguren aufsagen lässt, an deren reale Existenz wir glauben sollen. Das weiß der Film vermutlich und verkündet deshalb zu Beginn auch, dass lediglich das meiste, was wir im Folgenden sehen werden, tatsächlich geschehen ist – eine Klarstellung allerdings, die weniger auf eigene künstlerische Freiheiten verweist …

    … als vielmehr auf jene, die sich A'Ziah King selbst bei der Niederschrift erlaubt hat und die in einem Rolling-Stone-Artikel – inklusive anderslautender Versionen der übrigen Beteiligten – auch recht umfassend dokumentiert sind. Dass King, mit dem Ziel viral zu gehen, an ihrer Version lang gefeilt hat, zeigt sich bereits darin, dass sie – ohne große Resonanz – bereits zwei frühere Fassungen veröffentlichte, nur um sie dann wieder zu löschen und überarbeitet neu zu posten.

    ... bevor der Striperinnen-Worttrip schon bald in eine düsterere Richtung umschlägt!

    Bei Zolas Geschichte handelt es sich also, soviel lässt sich angesichts dieser Entstehungsgeschichte wohl schlussfolgern, tatsächlich um einen literarisierten Text – einen Text, der nicht nur die Werkzeuge des Social-Media-Storytellings nutzt, sondern dessen Entstehung auch unmittelbar von den Reiz-und-Reaktions-Schemata von Twitter beeinflusst ist. Das Fortschreiten der Erzählung selbst sei stark geprägt von den unmittelbaren Echtzeit-Reaktionen ihrer Follower*innen, gibt King auch freimütig zu, und sie habe sich im Sog des Moments, da sie viral ging, dazu entschlossen, ihre Geschichte als schwarzhumorig stilisierte Räuberpistole zu erzählen.

    Verfälscht, stilisiert, poetisiert – wie auch immer man es nennen will, Zolas Story erfüllt zu einhundert Prozent die stilistischen Anforderungen und Wirkmechanismen des Mediums, für das sie ursprünglich verfasst wurde. Sie ist wahr in dem Sinne, wie etwas eben wahr sein kann, was auf 280 Zeichen verkürzt und so pointiert sein muss, dass es Likes und Shares produziert. Und auch wenn andere Twitter-User längst eine Art Langform in Gestalt endloser Fortsetzungsgeschichten über zig Einzeltweets entwickelt haben, zeigt sich hier: Auch aus 148 x 280 Zeichen entsteht kein Roman, sondern schlimmstenfalls weit weniger und bestenfalls etwas anderes.

    Wovon man glaubt, dass es Jugendsprache sei

    Während die Figur der Zola selbst erwartungsgemäß noch am besten wegkommt, schwächelt der Film insbesondere an der Darstellung der anderen Beteiligten. Stefani, Derrek oder X sind ebenso wie die weniger zentralen Nebenfiguren bloße Abziehbilder, cartoonhafte Witzfiguren ohne Tiefe. Produkte jenes Zwangs zu pointierter Verkürzung, aber keine glaubhaften Menschen. Angesichts des Umstands, dass sie alle auf real existierenden Personen basieren, verwundert der vielstimmige Widerspruch nicht, der – neben all dem Hype – gegen Kings Darstellung eben auch hörbar wurde.

    Und wenn die Verfilmung diesen ohnehin karikaturesken Figuren nun Dialoge in den Mund legt, die zwar hipsterigem Twitterjargon entsprechen, in gesprochener Form jedoch klingen, als hätte ein 60-jähriger Feuilleton-Redakteur mal wieder ein Meinungsstück über Jugendsprache geschrieben, dann kippt „Zola“ endgültig in die Fremdscham und der Eindruck entsteht, dass eine Verfilmung für TikTok vielleicht passender gewesen wäre als ein Kinofilm.

    Fazit: Die Verfilmung eines viralen Twitterthreads als werkgetreue Literaturadaption schlägt formal durchaus ein neues Kapitel in der Kinogeschichte auf. Ob das aber deshalb schon eine gute Idee war, sei dahingestellt – zumindest sind die filmischen Qualitäten von „Zola“ mindestens ebenso dubios wie die Authentizität der True-Crime-Geschichte, die er erzählt.

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