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    Little Joe - Glück ist ein Geschäft
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Little Joe - Glück ist ein Geschäft

    Angriff der Körperfresser-Blumen

    Von Christoph Petersen

    Nach ihrem provokanten Debüt „Lovely Rita“ (2001) wurde drei Jahre später auch Jessica Hausners zweiter Film „Hotel“ erneut beim Filmfestival in Cannes in der Reihe Un Certain Regard uraufgeführt. 15 Jahre und drei Langfilme später hat es die österreichische Autorin und Regisseurin mit „Little Joe“ nun erstmals in den offiziellen Wettbewerb des prestigeträchtigen Festivals an der Croisette geschafft. Dass Hausner mit ihrem Sci-Fi-Thriller-Drama erstmals ein Projekt in englischer Sprache gedreht hat, ist dabei nicht die einzige Neuerung. Denn während der nahezu ohne Plot auskommende „Hotel“ damals noch von vielen als prätentiöse Stilübung abgetan wurde, lässt sich dieser Vorwurf „Little Joe“ ganz sicher nicht machen. Eher das Gegenteil ist der Fall: Der Plot ist schnell durchschaut und trotzdem erklärt andauernd jemand etwas. So entwickelt die zumindest in Ansätzen starke Inszenierung nur selten ihr volles Potenzial.

    Die Gentechnikerin Alice (Emily Beecham) hat eine neuartige Blume entwickelt, die, solange man sie gut behandelt und ihr gut zuredet, einen Duft verströmt, der glücklich macht. Genauer gesagt sendet die Little Joe getaufte Pflanze das Hormon Oxytocin aus, das etwa auch dafür sorgt, dass Mütter ihre neugeborenen Babys lieben. Um diesen Effekt zu erzielen, musste Alice die Blumen allerdings auch steril machen, sie können sich also nicht auf natürliche Art fortpflanzen. Aber die Natur findet ja bekanntlich immer einen Weg – und so scheinen die Pflanzen ihre menschlichen Pfleger zu „bestäuben“, was dazu führt, dass sie fortan nur noch ein Ziel haben: Dafür zu sorgen, dass es den Blumen gutgeht und es möglichst noch mehr von ihnen gibt. Oder aber die alleinerziehende Alice bildet sich das alles nur ein, schließlich ist sie ja auch bei einer Psychiaterin (Lindsay Duncan) in Therapie...

    Alice weiß nicht, ob sie ihrem Kollegen Chris noch trauen kann...

    Die streng präparierten Gewächskammern, in dem die einzelnen Blumen feinsäuberlich und im gleichmäßigen Abstand voneinander platziert sind, in einzelnen Plastik-Erdsäcken, aus denen nur ein kleines Quadrat herausgeschnitten wurde, passen eigentlich perfekt zu Hausners gewohnt strengem Kompositionsstil. Genauso wie das kraftvolle Rot der Little Joes und die auch sonst meist betont satten Farben. Die ersten Kamerafahrten entlang den Reihen von Setzlingen liefern auch tatsächlich den erwarteten Augenschmaus – und dann lässt sich Hausner sogar zu einem ganz klassischen Jump Scare hinreißen, wenn sich die gerade noch geschlossenen Blüten nach einem kurzen Bücken plötzlich wie von Geisterhand geöffnet haben. Aber mit der Zeit nutzt sich das Motiv irgendwann ab und die Blumen verlieren zunehmend ihren hypnotischen Schrecken. Und außerhalb des Treibhausglases findet Hausner diesmal nur selten Bilder, die mit den konstant grandiosen Einstellungen aus ihrem großartigen Pilger-Drama „Lourdes“ mithalten können.

    Was die Bilder zunehmend an Kraft verlieren, kann der absolut brillante Score zumindest ein Stück weit abfedern: Die auf den 1982 verstorbenen japanischen Avantgarde-Komponisten Teiji Ito zurückgehenden kakophonischen Klangteppiche fahren direkt ins Mark und würden mit ihrem metallischen Jaulen wohl selbst Aufnahmen von mit Wollknäueln spielenden Katzenbabys hochgradig verstörend wirken lassen. Zudem gibt es eine wunderbar intensiv geratene Dialogsequenz, in der Alices Sohn Joe (Kit Connor) seiner zunehmend an ihrem Verstand zweifelnden Mutter vermeintlich einen Streich spielt. Aber davon abgesehen wird Spannung in „Little Joe“ eher klein geschrieben, dafür ist das Drohszenario auch einfach nicht eindringlich genug. Schließlich ist das einzig sichtbare Symptome der mit den Pollen von Little Joe infizierten Menschen, dass sie plötzlich glücklicher sind.

    ... und auch ihr eigenes Sohn scheint seit dem Kontakt mit der Blume nicht mehr derselbe zu sein.

    Thematisch bietet „Little Joe“ hingegen eine ganze Reihe von Angeboten zur Interpretation. Von toxischer Männlichkeit (schließlich beinhalten die Pollen die männlichen Keimzellen einer Pflanze und Alice wird von ihrem Sohn, ihrem Kollegen und ihrem Boss zurückgehalten) bis hin zu unserer modernen Gesellschaft, in der das persönliche Glück das höchste Gut zu sein scheint und das Unglück schnell als pathologisch eingestuft und mit Medikamenten behandelt wird. Aber der meiste Subtext wird dann doch vom ausformulierten Plot verdrängt: Es gibt in „Little Joe“ gleich zwei Figuren, die quasi nur dafür da sind, um dem Zuschauer Informationen zu vermitteln: die Psychiaterin, der Alice ihre Gedanken mitteilen kann, und die vermeintlich paranoide Kollegin Bella (Kerry Fox), die dem Zuschauer den „Plan“ der Blumen erklärt (wobei man nicht immer so ganz nachvollziehen kann, wie sie überhaupt zu diesen Schlussfolgerungen gekommen ist).

    Nach inzwischen fünf Langfilmen lässt sich deshalb zumindest die These aufstellen, dass Hausner immer dann am besten ist, wenn sie ihre Bilder statt ihrer Figuren sprechen lässt.

    Fazit: Als zeitgemäßes Update von „Angriff der Körperfresser“ und „Blumen des Schreckens“ wirkt „Little Joe“ letztendlich wie eine durchschnittliche „Black Mirror“-Episode.

    Wir haben „Little Joe“ beim Filmfestival in Cannes gesehen, wo er im offiziellen Wettbewerb gezeigt wurde.

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