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    Tatort: Inferno
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Inferno

    Lebensgefahr im Krankenhaus

    Von Lars-Christian Daniels

    Der „Tatort“ aus Dortmund sorgte in den vergangen Monaten gleich mehrfach für Schlagzeilen: Nach dem soliden „Tatort: Zorn“, mit dem das Team aus Westfalen nicht ganz an das meist hohe Kriminiveau der Vorjahre anknüpfen konnte, schrieb der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau einen harschen Beschwerdebrief an den WDR. Der Politiker sah seine Stadt und deren Einwohner in ein schlechtes Licht gerückt – und wurde von Hauptdarsteller Jörg Hartmann prompt zu einem Friedensgipfel eingeladen, um die Angelegenheit bei einem „lecker Pilsken“ aus der Welt zu schaffen. Darüber hinaus gab der WDR bekannt, dass Hartmanns Kollegin Aylin Tezel der Krimireihe 2020 den Rücken kehrt – die Schauspielerin möchte sich „neuen künstlerischen Herausforderungen“ widmen. Außerdem berichteten mehrere Medien über die Pläne für ein geplantes „Tatort“-Crossover aus Dortmund und München unter der Regie von Dominik Graf („Die geliebten Schwestern“), das anlässlich des 50. Geburtstags der Krimireihe für das kommende Jahr produziert werden soll. An Gesprächsstoff mangelt es also nicht – und auch Richard HubersTatort: Inferno“ zählt zu der Sorte Sonntagskrimi, über die am Montag noch fleißig debattiert werden wird.

    Die Internistin Dr. Gisela Mohnheim wird in einem Ruheraum der Ruhr-Emscher-Klinik mit einer Plastiktüte über dem Kopf tot aufgefunden. Hat sie jemand erstickt oder hat die Ärztin sich selbst das Leben genommen? Rechtsmedizinerin Greta Leitner (Sybille J. Schedwill) gibt als Todesursache Herzversagen an. Die Dortmunder Kommissare Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Bönisch (Anna Schudt), Nora Dalay (Aylin Tezel) und Jan Pawlak (Rick Okon) hören sich am Arbeitsplatz der Toten um: Auf der Notaufnahme klagen die Mitarbeiter von Dr. Dr. Andreas Norstädter (Alex Brendemühl) über Überstunden und Stress – darunter auch die tierliebe Krankenschwester Lexi Wolter (Lisa Jopt), der labile Pfleger Peter Norén (Niklas Kohrt) und die vielbeschäftigten Ärzte Dr. Andrea Müller-Seibel (Doris Schretzmayer) und Dr. Lars Klinger (Ulrich Brandhoff), dem Norstädter einst die Stationsleitung weggeschnappt hatte. Aber auch in Mohnheims privatem Umfeld lief es nicht rund: Ihr Ehemann Paul (Karsten Mielke) gibt den Kommissaren gegenüber an, dass seine Frau eine Affäre hatte, während Mohnheims Sohn Jens (Malik Blumenthal) in die Drogensucht abgerutscht ist…

    Spannende Ermittlungen im Schwesternzimmer.

    Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“, resümiert Pawlak nach einer ersten Befragungsrunde in der Notaufnahme, und sein Chef Faber entgegnet ihm barsch: „Tja, das ist bei uns ja anders!“ Der exzentrische Kommissar bringt damit in gewohnt trockener Manier auf den Punkt, was den 14. Fall der ungleichen Ermittler aus dem Ruhrpott und auch die 13 Vorgänger kennzeichnet: Von einem funktionierenden Team kann in Dortmund kaum die Rede sein, weil jeder der Kommissare sein Päckchen zu tragen hat und sich dadurch viele Reibungspunkte ergeben. Während Bönisch diesmal als Moderatorin des zum dritten Mal in dieser personellen Konstellation ermittelnden Quartetts fungiert und Pawlak die Probleme mit seiner Familie telefonisch in den Griff zu kriegen versucht, leidet Dalay an heftigen Panikattacken. Gerade an diesem Beispiel zeigt sich, dass der Dortmunder „Tatort“ mittlerweile zu einer Art Miniserie innerhalb der Krimireihe gereift ist: Während in anderen Städten meist jeder Fall für sich alleine steht, knüpft die Handlung hier direkt an den eingangs erwähnten „Tatort: Zorn“ an, in dem die junge Kommissarin im Alleingang einen Bombenanschlag verhindern wollte und der nervlichen Belastung nun Tribut zollen muss.

    Ein Serienmörder im Hintergrund

    Und dann ist da noch Faber, der seine Jagd auf seinen aus dem Gefängnis entflohenen Erzfeind – den Serienmörder Markus Graf (Florian Bartholomäi), der im nächsten Dortmunder „Tatort: Monster“ wieder mit dabei sein wird – noch lange nicht aufgegeben hat: Das Enfant terrible unter den aktuellen „Tatort“-Ermittlern hat diesmal schwer mit dem Trauma zu kämpfen, von Graf um Frau und Kind gebracht geworden zu sein und findet in dem undurchsichtigen Chefarzt Norstädter ein Gegenüber, das zu Fabers eigener Verwunderung schon nach dem Austausch weniger Sätze zur Ursache seiner Alpträume durchdringt. Das lange Zeit subtile Psychoduell zwischen dem Kommissar und dem tatverdächtigen Norstädter, der Faber stets überlegen zu sein scheint, ist zweifellos das Reizvollste an diesem „Tatort“ und gipfelt schließlich in einem hochemotionalen Finale, bei dem die Filmemacher aber über ihr Ziel hinausschießen: Hier verliert der 1090. „Tatort“ binnen Minuten die Bodenhaftung, die ihn eine gute Stunde lang kennzeichnet – und die selbst den schärfsten Kritikern der umstrittenen Folgen aus Dortmund bis dahin wenig Angriffsfläche bietet.

    Denn eigentlich setzen Drehbuchautor Markus Busch („Die Räuberin“) und Regisseur Richard Huber („Kreutzer kommt“) auf eine klassische Whodunit-Konstruktion, wie man sie im „Tatort“ 2019 bisher eher selten zu sehen bekam (zuletzt im Kölner „Tatort: Bombengeschäft“): Dem üblichem Leichenfund zum Auftakt folgen die Erkenntnisse der Gerichtsmedizin und die Befragungen im Umfeld des Mordopfers, ehe mit dem obligatorischen zweiten Toten nach einer guten Dreiviertelstunde die Karten neu gemischt werden. Dabei ermitteln die Kommissare weitestgehend im Mikrokosmos Notfallaufnahme, der nur durch Fleißarbeit im Präsidium und Hausbesuche bei Tatverdächtigen aufgebrochen wird: Ähnlich wie 2017 ihr kürzlich in den TV-Ruhestand gewechselter Münchner Krimikollege Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) im grandiosen „Polizeiruf 110: Nachtdienst“ verbringen Faber & Co. einen Großteil der Zeit auf kalten Fluren, im Schwesternzimmer und zwischen Krankenbetten und Infusionsschläuchen. Dass die Filmemacher in Zeiten des Pflegemangels auch noch kritisch die Überlastung des deutschen Krankenhauspersonals aufarbeiten, ist ein weiterer Pluspunkt dieses lange Zeit unaufgeregten, aber dramatisch endenden Krimidramas.

    Fazit: Richard Hubers „Tatort: Inferno“ ist ein typischer und über weite Strecken gelungener Beitrag aus Dortmund, in dem der Fokus auf der Gefühlswelt der Kommissare liegt und der solide Kriminalfall erst am Ende die Bodenhaftung verliert.

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