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    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
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    Wenn die eigene Familie Fremde sind

    Von Janick Nolting

    Eine Coming-of-Age-Geschichte über eine Mittzwanzigerin mag vielleicht ungewöhnlich klingen. Aber wo man ein Ankommen im Erwachsenenalter vermutet, beginnt in „Ohne Rückkehr“ erst der eigentliche Schlamassel. Davy Chou verfolgt in seinem zweiten abendfüllenden Spielfilm nach „Diamond Island“ die Irrwege einer zerrissenen, sich selbst suchenden Identität und legt dabei eine erstaunliche Erbarmungslosigkeit an den Tag. Wo seine Protagonistin glaubt, der eigenen Familiengeschichte näherzukommen, entfremdet sie sich immer stärker von ihrer Lebensrealität. Diesem Prozess beizuwohnen, ergibt eine ebenso frustrierende wie eindrucksvoll komponierte Seherfahrung.

    Mehr oder weniger aus einer Laune heraus, findet sich die 25 Jahre alte Freddie (Ji-Min Park) plötzlich in Südkorea wieder. Ihre Eltern hatten sie einst zur Adoption freigegeben, weshalb Freddie in Frankreich aufgewachsen ist. Nun fasst sie kurzerhand den Entschluss, mithilfe einer Agentur den Kontakt zu ihrer leiblichen Familie zu suchen. Während ihre Mutter ein Mysterium bleibt, gelingt es Freddie tatsächlich, ihren Vater (Oh Kwang-rok) zu treffen. Doch ihre Begegnung offenbart nur die tiefen Gräben zwischen ihnen und ihren Kulturen…

    Zu den Fremden in einer südkoreanischen Kneipe findet die aufgeschlossene Freddie (Ji-Min Park) sofort Zugang – bei ihrer eigenen Familie fällt ihr dasselbe hingegen ungleich schwerer.

    „Ohne Rückkehr“ ist Coming-of-Age-Kino am Puls der Zeit. Davy Chou weiß um die komplizierten, mitunter schwer greifbaren Verkettungen von Migration, historischen Konstellationen, aber auch Familienmodellen, Rollen- und Geschlechternormen. Sein Film trennt diese Facetten nicht voneinander, sondern erkennt sie als übereinanderliegende Schichten. „Ohne Rückkehr“ zeigt Identität folgerichtig als Ansammlung unabgeschlossener Entwicklungen, als ein ewiges Aushandeln, Neuerfinden, vielleicht auch ein Zerbrechen daran. „All The People I’ll Never Be“ („All die Leute, die ich niemals sein werde“), lautete nicht umsonst der sehr viel passendere Ursprungstitel.

    Ein Film über gestörte Kommunikation

    Davy Chous Adoptiv-Drama ist dabei zuvorderst eines der Sprachlosigkeit. Das umfasst auch die Herausforderungen, die er seiner grandiosen Hauptdarstellerin Ji-Min Park auferlegt. Sie hat diesen Film nicht selten mit einem rein körperlichen, nonverbalen Schauspiel zu tragen, die Leinwand allein mit Gesichtsausdrücken zu füllen. Man mag kaum glauben, dass es sich um ihre erste Filmrolle überhaupt handeln soll. Sie meistert diese Hürde mit Bravour.

    Die Fassade, die sie sich schafft, erzählt mit großem Eigensinn von einem Ringen um Ermächtigung über die eigene Biographie, getrieben von der Suche nach verlorenen Puzzleteilen. Einmal beginnt Freddie, in einer Bar zu tanzen. Zuckend bewegt sie sich im Takt der Musik. Ein eindrucksvoller Versuch, den Raum zu beanspruchen, die Fremde mit Leben zu füllen und an sich zu reißen. Gesprochene Worte braucht es da gar nicht mehr.

    Die herausragende Schauspieldebütantin Ji-Min Park braucht oft nicht mal Worte, um die ganze Leinwand für sich in Beschlag zu nehmen.

    Andererseits meint Sprachlosigkeit hier die versagende Kommunikation innerhalb einer Familie, die sich nie gekannt hat. Von ihrem trinkenden Vater erhält Freddie verzweifelte Textnachrichten, eine Flut an Selbstmitleid, Entschuldigungen, unbeholfenen Schlichtungsversuchen. Außerdem taktlose Hilfsangebote für eine Heirat in Südkorea. Sie stoßen auf taube Ohren. Wenn sich Vater und Tochter nebst neuer Familienmitglieder begegnen, ist eine Dolmetscherin nötig. „Ohne Rückkehr“ wechselt zwischen Französisch, Englisch, Koreanisch, immer auf der Suche nach einer gemeinsamen Umgangsform. Davy Chou hat damit auch einen Film über medial geprägte Kommunikation gedreht. Bande werden über dritte Instanzen, Übersetzer, technische Geräte und Institutionen geknüpft, doch auch deren Hilfestellung stößt an Grenzen. Gerade in der Fremdbestimmung des Miteinanders entfaltet „Ohne Rückkehr“ seine große Tragik.

    Er jongliert in all dem Gefühlschaos mühelos mit Momenten der Scham, Kaltschnäuzigkeit, Verzweiflung, aber auch mit versöhnlichen Anklängen. Das Berühren einer symbolträchtigen Narbe an Freddies Schlüsselbein wird etwa zur vorsichtig tastenden Annäherung. Was Freddie mit ihrer Reise nach Korea in Gang setzt, erweist sich als Kreislauf vielfacher Begegnungen und Durchdringungsbemühungen. Über fast eine Dekade hinweg erzählt Davy Chou diese Geschichte und wählt dafür eine Form voller Auslassungen. Seine einzelnen, bruchstückhaften Momentaufnahmen überführen das Einzelschicksal ins Universelle.

    Heimat, was ist das überhaupt?

    Letztendlich stellt „Ohne Rückkehr“ nichts anderes als die verschiedenen Bedeutungen von Heimat an sich zur Debatte. Mit überholten Vorstellungen von Orten und kulturellen Differenzen war und ist er allein nicht zu fassen. „Ohne Rückkehr“ erzählt davon auf ähnlich offen gehaltene, generationsübergreifende Weise wie etwa Lulu Wangs gefeiertes Sterbedrama „The Farewell“. Plötzlich entdeckt da jemand einen großen blinden Fleck in der eigenen Familiengeschichte. Das, was schon immer zu einem selbst gehört haben soll, erweckt nur Unverständnis und Unbehagen. Freddies Streben nach einem Gefühl der Ganzheit und Zugehörigkeit gleicht dadurch ebenso einem Kampf gegen die eigenen unerreichbaren Vorstellungen. Sie lässt sich treiben durch sinnestrübende Partynächte, durch ein Labyrinth vorbeiziehender Neonlichter und unnahbarer Menschen.

    Fast ein wenig schade, dass ihr sonstiges Leben weitgehend vage umrissen bleibt. So verschlingend die Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte gerät, so stark wird ihre Figur zuvorderst über diesen Konflikt definiert. Und doch ist wiederum clever gewählt, wie ihr der Film mit seiner sprunghaften Erzählweise einen Schutzwall lässt. Fast scheint es so, als würde sich seine Protagonistin nicht nur gegen Traditionen und die Traumata ihrer Vergangenheit, sondern auch gegen eindeutige Zuschreibungen durch das Publikum wehren. Und so präsentiert sie sich in immer neuen Stadien und Gestalten ihrer persönlichen Entwicklung. Sie ist immer dieselbe und doch eine andere, auch äußerlich. Ewig könnte der Film so weitergehen. Man weiß eigentlich nach der ersten Hälfte, dass er keine einfachen Lösungen oder Befriedigungen zeigen kann. Dass er einem schlussendlich dennoch so kraftvoll den Boden unter den Füßen davonreißt, zeugt von großer inszenatorischer Klasse.

    Fazit: „Ohne Rückkehr“ nähert sich einfühlsam der Komplexität von Identitäts- und Heimatbegriffen. Ein schier aussichtsloser Versuch, mit der eigenen Familiengeschichte ins Reine zu kommen – ganz wunderbar gespielt von Hauptdarstellerin Ji-Min Park.

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