Rust – Legende des Westens
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
3,5
gut
Rust – Legende des Westens

Hinter dem Skandal steckt ein überraschend guter Film

Von Oliver Kube

Bereits im Frühjahr 2020 ließ „Jagd auf Roter Oktober“-Star Alec Baldwin verkünden, dass er als Hauptdarsteller, Co-Autor und Produzent des Western „Rust – Legende des Westens“ agieren werde. Aufgrund der COVID-Pandemie verzögerten sich die Aufnahmen allerdings um mehr als ein Jahr. Im Herbst 2021 war es dann zwar endlich so weit, aber am Set kam es zu einem schrecklichen Unfall: Eine Revolver-Requisite war aus noch immer nicht abschließend geklärten Gründen mit scharfer Munition statt mit Platzpatronen geladen worden. Im Laufe der Aufnahmen feuerte Baldwin die Waffe wie geplant ab und erschoss so unabsichtlich die Chef-Kamerafrau Halyna Hutchins („Time Cut“). Regisseur und Co-Autor Joel Souza („Im Netz der Gewalt“) wurde ebenfalls getroffen, kam aber mit vergleichsweise leichten Verletzungen davon. Die Dreharbeiten wurden umgehend gestoppt.

Es folgten polizeiliche Untersuchungen und diverse juristische Verfahren. Die Familie von Hutchins traf eine Vereinbarung mit der Produktionsfirma und im April 2023 wurden die Dreharbeiten wiederaufgenommen. Und auch wenn das Resultat mit einem um ein Vielfaches teureren Mammutprojekt wie Kevin Costners „Horizon“-Saga nicht mithalten kann, ist „Rust“ ein atmosphärisch wie visuell überzeugender Western klassischer Schule, der es verdient hat, von Genre-Fans gesehen zu werden. Dabei wissen besonders die in Montana und New Mexico gedrehten Außenaufnahmen mit ihrer authentischen Epik zu begeistern.

Harland Rust (Alec Baldwin) hat jahrelange Erfahrungen damit, sich zu verstecken… 24 Bilder
Harland Rust (Alec Baldwin) hat jahrelange Erfahrungen damit, sich zu verstecken…

Wyoming in den 1880ern: Im noch nicht zu den USA gehörenden Prärie-Territorium tritt der vor Jahren untergetauchte Outlaw und Mörder Harland Rust (Alec Baldwin) plötzlich wieder in die Öffentlichkeit. Er riskiert sogar eine Verhaftung, um seinen dem Tode geweihten Enkel Lucas (Patrick Scott McDermott) vor dem Galgen zu retten. Der 13-Jährige soll aufgeknüpft werden, weil er für den Tod eines benachbarten Ranchers verantwortlich gemacht wird.

Nach der blutigen Befreiung aus der Gefängniszelle flieht das Duo mit dem Ziel Mexiko durch ein gesetzloses, von kriegerischen indigenen Stämmen bevölkertes Land. Ein hohes Kopfgeld wird ausgesetzt, weshalb Opa und Neffen schon bald nicht mehr nur von Marshal Wood Helm (Josh Hopkins) und seinen Männern, sondern auch von einer Vielzahl von Glücksrittern verfolgt werden. Der gefährlichste, weil intelligenteste und zugleich rücksichtsloseste ist der Profi-Kopfgeldjäger Fenton „Preacher“ Lang (Travis Fimmel)…

Darf man das?

Ob es richtig war, den Film trotz des tödlichen Unfalls fertigzustellen, muss jede*r für sich selbst entscheiden. Dasselbe gilt für die Frage, ob man sich einen Film ansehen möchte, in dessen Entstehungsprozess ein Mensch ums Leben gekommen ist. Nach dem Abspann sieht man am Set entstandene Bilder von Halyna Hutchins, zu denen Regisseur Joel Souza aus dem Off erklärt, dass er, die Produzenten sowie die Familie der Verstorbenen gemeinsam beschlossen hätten, das Werk zu vollenden, damit auch ihre letzten Aufnahmen noch öffentlich zu sehen sind und nicht einfach in den Archiven des Studios verschwinden. Alle Erlöse der Veröffentlichung von „Rust“ gehen laut einer finalen Einblendung an die Hinterbliebenen von Hutchins.

Losgelöst von den tragischen Ereignissen während seiner Herstellung ist „Rust“ zwar kein herausragender, aber doch ein guter Film geworden. Fans klassischer Western sowie von Slowburn-Charakterdramen sollten hier allemal auf ihre Kosten kommen. Zudem wäre es in der Tat schade gewesen, wenn wir die vielen schönen Panoramen der Prärie mit den majestätisch anmutenden Rocky Mountains im Hintergrund nicht zu sehen bekommen hätten. Welche davon genau aber von Halyna Hutchins stammen und welche von der sie ersetzenden Bianca Cline („Marcel The Shell With Shoes On“), ist bislang nicht genau bekannt.

Das üppige Kopfgeld sorgt dafür, dass sich gleich mehrere Parteien an die Fersen der Flüchtigen heften… 24 Bilder
Das üppige Kopfgeld sorgt dafür, dass sich gleich mehrere Parteien an die Fersen der Flüchtigen heften…

Alec Baldwin verortete die von ihm erdachte und in Kollaboration mit Souza in Drehbuchform gebrachte Story noch vor Drehbeginn in der Nähe von „Erbarmungslos“. Damit liegt er zwar nicht völlig daneben, hat dann aber doch einige Regale zu hoch gegriffen. „Rust - Legende des Westens“ ist sicher kein Wildwest-Meilenstein wie das Clint-Eastwood-Meisterwerk. Dafür hätten einige Passagen deutlich gekürzt oder besser gleich komplett weggelassen werden sollen – vor allem einige ausufernde Sequenzen mit den Verfolgern des flüchtigen Großvater-Enkel-Teams. Dass der zuvor schon als ausreichend unsympathisch bis verabscheuungswürdig gezeichnete Kopfgeldjäger eiskalt ein paar Mitbewerber aus dem Weg räumt und kurz danach eine verwitwete Farmersfrau verführt, bringt weder die Figur noch die Geschichte im Ganzen wirklich voran. Trotzdem verbringen wir eine Menge Leinwandminuten mit ihm, während die Hauptstory mehr oder weniger pausiert.

Der Marshal ist mit seiner persönlichen Vorgeschichte ein spannender Charakter: Von zwei seiner Begleiter hätten sich Souza und Baldwin aber besser schon im Drehbuchstadium, spätestens jedoch während des Endschnitts trennen sollen. Dabei handelt es sich um ein in einer Tour streitendes und sich immer wieder prügelndes Brüderpaar (Sam Carson und Devon Werkheiser). Offenbar sollten sie als Comic Relief fungieren, was aber nicht aufgeht. Ihre Einlagen wirken deplatziert und umständlich hineingeklemmt – und eine wirkliche Funktion innerhalb der Gruppe des Marshals erfüllen sie auch nicht.

Ein berührendes Großvater-Enkel-Duo

Die mit Abstand besten Szenen – neben der glaubhaft zurückgenommen choreografierten Shootout-Action – sind die Momente zwischen Baldwins Figur und seinem von Patrick Scott McDermott („Gänsehaut“) dargestellten Enkel. Souza nimmt sich viel Zeit für die beiden – was sich definitiv auszahlt. Wie das Publikum weiß auch der Junge zunächst nämlich nicht, wer der mysteriöse und abweisende alte Kerl ist, der ihn da aus dem Gefängnis geholt hat – und was seine Pläne mit ihm sein könnten. Erst nach und nach entsteht eine Art Vertrauensverhältnis und schließlich sogar emotionale Wärme zwischen ihnen. Das ist alles sehr authentisch dargestellt und streckenweise sogar rührend.

Um die Szene, die zum Tod von Halyna Hutchins führte, nicht noch einmal drehen zu müssen, schrieb Souza das Skript in den 18 Monaten Wartezeit zwischen dem Stopp und der Wiederaufnahme der Arbeiten um. Wie gut und effektiv der zunächst geplante Showdown gewesen wäre, darüber lässt sich nur spekulieren. So wie es in der nun veröffentlichten Fassung präsentiert wird, kommt das Ende allerdings sehr befriedigend daher.

Fazit: Ein etwas zu langer, aber authentischer, unterhaltsamer und streckenweise sogar richtiggehend berührender Western.

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